Herdecke/Wetter. Die ESV nutzt ein ehemaliges Seniorenheim für Spezialpflege. War für den Nutzungswechsel eine Genehmigung nötig? Die Stadt Herdecke prüft weiter.

Mitte August schreckten Schreie von Bewohnern der Spezialpflege am Nacken außer den Nachbarn auch Politik und Verwaltung auf. Sofort begann im Rathaus die Prüfung, ob die veränderte Nutzung der ESV im vormaligen Alten- und Pflegeheim von Convivo am Nacken einer Anzeige oder gar einer Genehmigung bedurft hätte. Zwei Monate läuft die Prüfung jetzt. Ein Ende ist nicht absehbar. Dabei hat der Ennepe-Ruhr-Kreis der ESV gleich den Rücken gestärkt.

Was wird genau geprüft? Gibt es bereits Zwischenergebnisse? Was sind die möglichen Folgen für den Weiterbetrieb der von der ESV so etikettierten Spezialpflege am Nacken? Auf alle diese Fragen kann die Stadt Herdecke zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Antwort geben. Immerhin das ist zu erfahren: Die Prüfung sei „aufwendig und baurechtlich anspruchsvoll, da es um die Frage geht, welche Arten von (Spezial-)Pflege von den bisher erteilten Baugenehmigungen noch gedeckt sind bzw. in einem Wohngebiet zulässig sind.“ Eine Fachanwaltschaftskanzlei ist länger schon eingeschaltet.

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Schreie sind Ausdruck der Krankheit

Im Sommer sind zunächst die Senioren vom Nacken geschlossen in die bezugsfertige Senioreneinrichtung an der Goethestraße umgezogen. Betreiber ist die Evangelische Stiftung Volmarstein (ESV), die in Herdecke fast alle Einrichtungen aus der Insolvenzmasse von Convivo übernommen hat. Für die Parkanlage Nacken hatte die ESV eine neue Verwendung: Hier ist die Spezialpflege eingezogen, die bislang im Haus Bethanien untergebracht war. Das Haus soll renoviert werden. Als die erste Hälfte vom Stiftungsgelände in Volmarstein an den Nacken umgezogen war, meldeten sich die Anwohner. Immer wieder würde Schreie von Bewohnern nach außen dringen. Schreckliche Schreie seien das, berichteten die Anwohner. Sie gingen durch Mark und Bein, würden klingen, als müsse man sofort zur Hilfe eilen. Unerwartbar seien die Ausbrüche, Kindern in der Nachbarschaft schwer zu vermitteln, auf der Terrasse und drinnen im Haus kaum auszuhalten. Von einem Wertverlust der Häuser und Überlegungen zum Verkauf war die Rede.

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Nachdem ein Anwohner der Bürgermeisterin seine Nöte geschildert hatte, gab es einen Ortstermin. Andere Nachbarn kamen, berichteten von den Schreien und hätten das gar nicht so eindringlich tun müssen - vom nahen Heim war beinahe durchgängig zu hören, was für viele Nachbarn so unerträglich ist. Vertreter fast aller Parteien waren am Nacken und horchten auf. Der neue Betreiber hätte eine Umnutzung beantragen müssen, zeigte sich im Beisein der Anwohner Doris Voeste überzeugt. Sie ist die CDU-Stadtverbandsvorsitzende und frühere Planungsamtschefin von Herdecke.

Die Evangelische Stiftung warb zunächst um Verständnis für ihre Bewohner. Viele von ihnen seien an Chorea Huntington erkrankt. Zum Krankheitsbild gehöre ein Kontrollverlust, phasenweise sei das Lautieren einzige Kommunikationsmöglichkeit für die Betroffenen. Der Umzug habe die Bewohner aufgewühlt. Gewiss werde es nach der Eingewöhnung leiser. Erste Verlegungen im Haus seien erfolgt, die Anwohner würden bald zu einem Tag der Offenen Tür eingeladen. Nur daran ließ die ESV keinen Zweifel: Die Unterbringung der Spezialpflege ist eine Dauerangelegenheit. Versäumnisse in Sachen Umnutzungsanzeige sieht sie nicht.

Kein Unterschied zur Senioreneinrichtung

Auch für die Heimaufsicht des Kreises gab es eigentlich nichts zu prüfen. Von der Redaktion um eine Stellungnahme zu den formalen Bedenken gebeten, kam im August wörtlich: „Einer besonderen Zustimmung durch die Aufsichtsbehörden bedarf es nicht.“ Nach dem Wohn- und Teilhabegesetz NRW gebe es zwischen einer klassischen Senioreneinrichtung und einer Spezialpflegeeinrichtung keinen Unterschied. Während die ESV sich durch diese Einschätzung gestärkt fühlte, spielt sie für die Stadt bei der von ihr angestoßenen Prüfung erklärtermaßen keine Rolle.

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Der Kreis sei für die baurechtliche Frage nicht zuständig, heißt es bei der Stadt auf Nachfrage. Der Heimaufsicht wird nur eine Prüfung der Frage zugebilligt, ob der Betrieb den Pflegevorschriften entspricht. Sollte die städtische Prüfung tatsächlich Fehler der ESV im Verfahren offenbaren - was heißt das dann für den Betrieb des Hauses am Nacken? Folgt daraus eine bauliche Nachbesserung, eine Strafe oder gar ein Auszug der jetzigen Heimbewohner mit ihrem erhöhten Pflegebedarf? Die Antwort der Stadt dazu: Derzeit keine Aussage.