Herdecke. Zwei Vorwürfen sieht die ESV wegen der Schreie von Heimbewohnern am Nacken ausgesetzt. Das bleibt vorläufig davon übrig
Die Not der Anwohner ist groß. Seit ein paar Wochen ist die ehemalige Senioreneinrichtung am Nacken mit Schwerstpflegefällen belegt. Schreie der Kranken ängstigen und beunruhigen seitdem die Anwohner. Einige denken an verkaufen. Andere überlegen rechtliche Schritte. Bei einem Termin vor Ort spitzten Politiker mehrerer Parteien die Ohren. Sie vernahmen die Sorgen der Anwohner, und zwischendrin immer wieder Schreie. Hätte der neue Betreiber, die ESV, die Umnutzung beantragen müssen, wie die frühere Planungsamtschefin und jetzige CDU-Parteivorsitzende Doris Voeste überzeugt ist? Und wurde ein falsches Bild von der geplanten Nutzungsabsicht vermittelt, wie sich aus Äußerungen von Bürgermeisterin Dr. Katja Strauss-Köster schließen lässt?
Während die Verwaltung prüft, ob die Umnutzung einer Genehmigung bedurft hätte, ist für die Evangelische Stiftung Volmarstein klar: Altenzentrum oder Spezialpflege macht in diesem Zusammenhang keinen Unterschied. Bestätigung dafür kommt aus dem Kreishaus. Auf Nachfrage der Redaktion heißt es: „Nach dem Wohn- und Teilhabegesetz NRW gibt es zwischen der klassischen Senioreneinrichtung und einer Spezialpflegeeinrichtung keinen Unterschied.“ Konkret sind am Nacken Bewohner mit Chorea-Huntington eingezogen. Ihr Krankheitsbild passe zu dem genehmigten Zweck, ältere oder pflegebedürftige Menschen oder auch Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. Der Kreis wörtlich: „Einer besonderen Zustimmung durch die Aufsichtsbehörden bedarf es nicht.“
Zweite Umzugsgruppe folgt
Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster sieht die Umnutzung des Seniorenzentrum zu einer Spezialpflegeeinrichtung auch vor dem Hintergrund, dass Herdecke dadurch nun einen Altenheimstandort weniger hat. Die Verwandlung in eine Spezialpflege „war uns allen nicht bewusst“, so die Bürgermeisterin über Stadtverwaltung und Politik. Und schon gar nicht sei klar gewesen, dass die Unterbringung von Chorea-Huntington-Patienten eine dauerhafte Angelegenheit sein sollte. Das Haus Bethanien, der bisherige Ort ihrer Unterbringung, soll umgebaut werden. Ein erster Schwung der Bewohner ist bereits von Volmarstein zum Nacken umgezogen, ein zweiter soll folgen.
Die Evangelische Stiftung Volmarstein kann den Vorwurf nicht nachvollziehen, sie habe ihr Absichten nicht deutlich genug gemacht. Bereits im Mai war von ihr das Konzept für einen großen Ringtausch vorgestellt worden, nachdem die Bewohner vom Nacken in das neue „Seniorenhaus“ an der Goethestraße ziehen sollten. „In der Parkanlage Nacken schaffen wir Wohnraum für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf“, hieß es in einer Antwort an die Redaktion. Um 48 Menschen mit Chorea Huntington gehe es, 36 Senioren mit schwersten Behinderungen und 12 Personen mit extremer Adipositas. Von einer vorübergehenden Unterbringung am Nacken war an keiner Stelle die Rede. Eine solche Einschränkung findet sich auch nicht in einem ausführlichen Zeitungsbericht über die Absichten der ESV.
Erste Schritte zur Abmilderung
Auch für die Heimaufsicht im Ennepe-Ruhr-Kreis hat keinerlei Veränderung oder Nachbesserung stattgefunden. Hier heißt es: „Uns gegenüber wurde von Anfang an ein dauerhafter Umzug der Nutzerinnen und Nutzer in die Vitus-Höhe kommuniziert“, so der neue Name der Einrichtung. Im Mai hatte die Stiftung ihre Vorstellungen auch im Sozialausschuss vorgestellt. Laut Protokoll haben Nicolas Stark und Christina Bösken zwar etwas zum geplanten Umzug der Senioren vom Nacken zur Goethestraße gesagt, zur Nachfolgenutzung am Nacken gibt das Protokoll allerdings nichts her. Ein genaueres Protokoll hat ein Mitglied des Ausschusses aus gar nicht nötig. Verwundert reagiert es auf angebliche Aussagen der ESV Richtung Übergangsregelung. „Das war doch völlig eindeutig“, so die Erinnerung, „es ging immer nur um eine Dauergeschichte.“
Die ESV hat mittlerweile durch erste Schritte versucht, die Schreie weniger zu den Nachbarn durchdringen zu lassen. Im Haus Bethanien seien sie nicht Alltag gewesen, so Pressesprecherin Astrid Nonn unter Hinweis auf den besonderen Stress für die Bewohner durch den Umzug: „Wir gehen davon aus, dass das besser wird.“