Herdecke. Kurz vor dem erzwungenen Auszug aus dem Convivo-Haus in Ende ist überraschend ein Senior gestorben. Er wollte nicht weg aus dem Dorf, so der Sohn
96 Jahre sind schon biblisch. Plötzlich kam der Tod. „Er hat sein Alter gehabt“, sagt der Sohn, und doch ist er überzeugt: „Ohne das Drumherum hätte er Hundert werden können.“ Das Drumherum ist die Insolvenz des Seniorenhauses in Kirchende mit den ganzen Auflösungserscheinungen und den Perspektiven für die Bewohner.
„Er wollte einfach nicht mehr“, sagt der Sohn, und obwohl der Todestag jetzt schon ein paar Tage zurück liegt, gerät seine Stimme ins Stocken. Einen Tag vorher noch hatte sich ein Platz in einem Altenheim in Ennepetal gefunden. Ein Platz überhaupt und noch dazu dicht dran an Sohn und Familie. Da lag der Senior tot auf dem Boden in seinem Zimmer, als es zum Kaffeetrinken gehen sollte. „Auch im Heim hat niemand damit gerechnet“, schiebt der Sohn nach.
Alles geschafft, selbst Corona
Der Vater hat erst im Pütt gearbeitet und dann bei der Reme in Wetter. Anfangs war er noch recht mobil, als er sich das damalige GVS-Altenzentrum Kirchende als letzten Wohnsitz ausgesucht hatte. Und bis zum Schluss war er völlig klar im Kopf, sagt der Sohn über den Vater und ist überzeugt, woher die plötzliche Schwäche des Vaters kam: „Der wollte da nicht weg.“ Hat er es auch so gesagt? Der Sohn verneint. Groß über Gefühle reden, das sei nicht die Art dieser Generation gewesen.
Gründe für einen Auszug hätte es auch vorher schon gegeben. Aber auch der Schmutz („Meine Frau und ich haben am Ende selbst zum Putzzeug gegriffen“) oder Mäusebesuch auf dem Zimmer hatten nicht wirklich in Frage gestellt, dass die Wahl des Altenzentrums im Herzen Kirchendes die richtige gewesen war. Freunde und Bekannte der Eltern sind hier hin gezogen, die Mutter ist in diesem Haus gestorben. In den fünfziger Jahren schon waren die Eltern nach Ende gezogen. Das später errichtete Seniorenhaus blieb immer nah.
Richtig zufrieden war der Senior aber nur in der ersten Zeit. Der Gemeinnützige Verein für Sozialleistungen (GVS) war Betreiber, dann aber plötzlich insolvent. Der Bremer Konzern Convivo übernahm wie alle anderen GVS-Senioreneinrichtungen in Herdecke auch das Haus in Kirchende. Und alles wurde zunehmend schlimmer, sagt der Sohn. Als er sich – bestärkt auch vom Personal – endlich bei der Heimaufsicht beschwerte, kam die Insolvenz. Die Gemeinschaft im Haus wurde auseinander gerissen. Der Auszug war unvermeidlich.
„Alles haben wir überstanden“, sagt der Sohn und denkt dabei an die schwere Zeit der Corona-Ausbrüche gerade auch in dem Heim in Kirchende mit vielen Toten. Der Vater erkrankte und genas. Über Monate beschränkte sich der Kontakt aufs Telefon. Das war nicht einfach. Der Vater hörte schlecht, ein Verstärker am Hörer half ein bisschen. Auch Besuche am Fenster sorgten dafür, die Verbindung nicht abreißen zu lassen.
„Alles hat er noch alleine gemacht, bis zum letzten Tag“, bäumt es sich in dem Sohn noch einmal auf. Sicher hätte der Vater sterben müssen, aber nicht jetzt. Ganz plötzlich sei er des Lebens müde geworden, mit 96. Vor wenigen Wochen noch, vor der Nachricht der Insolvenz von Convivo und dem unvermeidlichen Umzug, „hatte er noch ganz viele Pläne.“
Geld des Anwohners: Convivo braucht Monate bis zur Herausgabe
Neben der Trauer um den verstorbenen Vater muss sich der Sohn mit Convivo und dem Insolvenz-verwalter wegen Geldforderungen auseinandersetzen.
Per Rentenüberleitung ging die Rente des Vaters direkt an den Altenheimbetreiber. Zuletzt lag der Rentenbetrag über den monatlichen Forderungen. Nun ist unklar, wann der Sohn an das angespar-te Geld kommt und ob er es komplett bekommt oder nur mit dem Anteil, mit dem Gläubiger abge-funden werden. Ungeklärt bleibt auch, was aus dem angesparten Taschengeld für den Senior wird, das der Heimbetreiber für den Bewohner aufbewahrt hatte.
Zu keiner der beiden Fragen konnte der Insolvenzverwalter auf Nachfrage der Redaktion eine verbindliche Aussage treffen. Die Aufarbeitung von Ansprüchen der Bewohner erfordere „einen erheblichen Zeitaufwand. Neben der Prüfung der Anspruchsberechtigung ist die insolvenzrechtliche Einordnung vorzunehmen.“
Zudem sollten für vergleichbare Sachverhalte Convivo-weit einheitliche Lösungen gefunden werden. Die Prüfungen von Ansprüchen werde voraussichtlich bis zu drei Monate in Anspruch nehmen.