Wetter/Herdecke. Das Jugendamt in Hagen wurde wegen des Umgangs mit einem Jungen massiv kritisiert. Warum es in Wetter und Herdecke bessere Ansätze gibt.

Der Fall einer Familie aus Hagen kam kürzlich bundesweit in die Schlagzeilen. Dort war ein fünfjähriger Junge auf das Dach seines Wohnhauses geklettert, nachdem er von den Eltern in seinem Zimmer eingesperrt worden war. Nachbarn informierten die Polizei und die wiederum das Jugendamt. Nach lediglich einer Nacht in der Obhut der Behörde wurde der betroffene Junge seinen vermeidlich fahrlässig handelnden Eltern wieder anvertraut. Das sorgte für einen Eklat. Inzwischen ist der Junge bei Pflegeeltern untergebracht. Dass es Konzepte gibt, die so einem Fall vorbeugen können, zeigen die Herangehensweisen bei den Jugendämtern in Herdecke und Wetter.

+++Hier der Eklat aus Hagen+++

Herdeckes Sozialer Dienst und das Kindeswohl

Mit Blick auf die Hagener Ereignisse sticht beim Herdecker ASD der Pflegekinderdienst hervor. Erfährt dieser von Mädchen oder Jungen mit massiven Problemen, stellen sich mitunter auch Fragen nach einer veränderten Unterbringung – beispielsweise bei Pflegeeltern. Bei diesen leben hier momentan 25 Kinder. Grundsätzlich kümmere sich das Amt in diesem Zusammenhang auch um die Betreuung sowie Begleitung von Vater und Mutter.

Besonderheit: Auch Jugendämter aus anderen, meist benachbarten Kommunen können Mädchen und Jungen an Herdecker Pflegeeltern übergeben. Erst nach zwei Jahren geht dann die komplette Verantwortung an die Stadt des Wohnortes über. „Für uns bedeutet das doppelte Arbeit, da wir zum einen dann nach 24 Monaten den Fall steuern und zum anderen die Kosten mit dem ursprünglich zuständigen Jugendamt abrechnen müssen“, sagt Bröring und bestätigt, dass es einen entsprechenden Bedarf gibt.

+++5-Jähriger hockt alleine auf dem Dach+++

Hilfen zur Erziehung

In dieser Hinsicht spielen die Beratung und Unterstützung von heimischen Familien mit verschiedenen Erziehungsproblemen die zentrale Rolle (Garantenstellung). Hilft diese Begleitung nicht, kann der ASD auch andere Träger kontaktieren und Kinder in ambulante Maßnahmen oder stationäre Unterkünfte zuweisen. „Das sind die Ausnahmen, gewissermaßen Worst-Case-Fälle. Manchmal kommen solche Anfragen auch von überforderten Eltern. Es kommt aber immer auf ein pädagogisches Feingefühl an“, erläutert Daniela Leogrande.

Aktuell berät der Allgemeine Soziale Dienst 41 Herdecker Familien mit unterschiedlichen Konstellationen. Das Spektrum reicht von losen Anfragen bis hin zur engmaschigen Begleitung. Darunter Eltern, die im Zuge von Scheidungen um das Umgangs- oder Sorgerecht streiten. Bei Gerichtsverfahren muss auch das ASD-Team mitwirken, das dann verpflichtende Stellungnahmen abgeben muss. In neun Fällen sei das derzeit der Fall. „Dabei müssen wir die Perspektive des Kindes berücksichtigen, die wir über Gespräche mit den Eltern und Kindern ermitteln. Das ist arbeitsintensiv und bindet viel Personal“, meint Bröring.

Dahinter steckt die Aufgabe, bei einer Kindeswohlgefährdung die Wächterrolle einzunehmen (Garantenstellung). Das Jugendamt erhalte mal anonyme Hinweise oder auch Mitteilungen von Ärzten, Nachbarn, aus Schulen oder aus den betreffenden Familien selbst. Nach einer standardisierten Überprüfung im Zusammenwirken von mindestens drei Fachkräften entscheide der ASD, wie es weitergeht. Also beispielsweise weitere Stellen befragen, Geheimnisträger möglicherweise von ihrer Schweigepflicht entbinden oder an einem bestimmten Zeitpunkt die Eltern einschalten und befragen. „Das Timing ist wichtig. Und Hausbesuche machen wir in solchen Fällen stets zu zweit“, berichtet der Teamleiter. „Wir müssen aber nicht jede Woche ein Kind in Obhut nehmen.“

Wann und wie die Stadt Wetter eingreift

Margot Wiese (Leiterin des Fachbereichs 3 für Jugend, Soziales, Schule, Kultur, Sport und Archive in Wetter) erklärt, wann Familienersetzende Maßnahmen notwendig werden: „Unsere Bezirkssozialarbeiter sind in allen Ortsteilen unterwegs und stehen stets in engem Kontakt und Austausch mit Familien, die sich in einer schwierigen Situation befinden“. Wenn Maßnahmen wie Gespräche, Beratungen, ambulante Therapien und Co. nicht ausreichen, dann wäre eine stationäre Maßnahme der nächste Schritt. Alle Beteiligten würden sich zusammensetzen und Ziele vereinbaren sowie einen Hilfeplan ausarbeiten. Letztlich liegt das Beantragen der Hilfen aber bei den Eltern.

„Dann müssen wir das Familiengericht einschalten“

Für den Fall, dass die Eltern uneinsichtig sind und den Zustand ihrer Kinder als ausreichend geholfen ansehen, hat Wiese eine klare Meinung: „Dann müssen wir das Familiengericht einschalten. Wenn die Eltern mitziehen, wird das Kind zum Beispiel in einer Wohngruppe oder einer anderen stationären Einrichtung untergebracht. Wenn nur wir als Jugendamt eine stationäre Maßnahme befürworten, entscheidet das Gericht“.

Die stationäre Unterbringung von Kindern sei im absolut schlimmsten Fall vorgesehen – der Kindeswohlgefährdung. Das Kind oder die Kinder würden dann in einer Inobhut-Stelle untergebracht werden. „In Wetter haben wir zwei Bereitschafts-Pflegefamilien für Kinder von 0 bis 5 Jahren. Es kommt aber auch vor, dass Jugendliche von sich aus zu uns kommen und sagen, dass sie nicht mehr zu Hause bleiben wollen. Dann wird natürlich erst geprüft, welche Gründe bestehen, dass ein Jugendlicher nicht mehr im Elternhaus verbleiben möchte und welche Maßnahmen einer stationären Unterbringung möglich sind“, so Wiese weiter.