Herdecke/Witten. Holz und Beton als Baustoff-Kombi der Zukunft: Darum schaut ein Grüner in Herdecke so gerne zur Uni in Witten

Rund 100 Wohneinheiten sollen Am Berge in Herdecke entstehen. Das kann ruhig zukunftsweisend geschehen, sagt Axel Störzner. Was dem grünen Ratsmitglied vorschwebt, ist in Witten zu besichtigen. Unter viel Aufmerksamkeit ist dort gerade das zentrale Campus-Gebäude in Betrieb genommen worden. Viel Holz, viel Beton, viel Flexibilität. Ein Beispiel auch für Wohnungsbau in Herdecke?

Fenster mit Holzrahmen, raumhohe Stützen aus Holz, das Treppenhaus aber aus Stahlbeton: Hybridbauweise nennt sich so etwas. Um den harten Kern herum bilden Ständer aus dem natürlichen Material eine tragfähige Konstruktion. Dr. Annaliesa Hilger hat das schon öfter erklären müssen. Sie ist an der Uni Witten/Herdecke zuständig für mehr Nachhaltigkeit. Seit der Eröffnung des neuen Campus-Gebäudes wollten nicht nur Kanzler anderer Unis etwas über das zukunftsweisende Konzept wissen.

Ist Holz nicht brandgefährlich? Im Gegenteil, sagt Annaliesa Hilger. Gerade die Feuerwehr wisse die dicken Holzträger zu schätzen. Ihr Zustand wäre im Falle eines Feuers wie ein Brandstandsanzeiger. Beton verrate deutlich weniger über eine Einsturzgefahr. Vom Vorurteil zu zwei entscheidenden Vorzügen: Der äußere Teil ist leicht abbaubar, und im Gebäude gibt es ein Höchstmaß an Flexibilität.

Nachhaltig und variabel

Die Bibliothek liefert Annaliesa Hilger das Beispiel. Ging es vor Jahren noch um Stellplatz für möglichst viele Bücher, sind heute Bildschirmarbeitsplätze für die Lesenden gefragt. Und wer wagt die Prognose, wie die Räumlichkeiten in einem Jahrzehnt aufgeteilt werden sollten? Corona hat gezeigt, dass plötzlich viel Platz gefragt war für die nötigen zwischenmenschlichen Abstände. 80 Prozent der Wände sind nicht tragend. Da lässt sich was machen, wenn sich die Ansprüche ändern. Und schon hat Annaliesa Hilger den Sprung zu den Wohnungen gemacht, die Am Berge entstehen können. Sie sagt: „Flexibilität beim Wohnen wird immer wichtiger.“

Dr. Annaliesa Hilger ist für Nachhaltigkeitsmanagement der Uni Witten/Herdecke zuständig. Der Veranstaltungsraum, in dem sie steht, kommt ohne Stützen aus, weil die Decke von oben gehalten wird.
Dr. Annaliesa Hilger ist für Nachhaltigkeitsmanagement der Uni Witten/Herdecke zuständig. Der Veranstaltungsraum, in dem sie steht, kommt ohne Stützen aus, weil die Decke von oben gehalten wird. © Klaus Görzel

Auch deshalb sieht Axel Störzner in dem Wittener Gebäude ein Best-Practice-Beispiel: Neben Rohstoffeinsatz und Umweltverträglichkeit zeigt es, dass wenig für die Ewigkeit festgeschrieben ist. Wenn die Kinder aus dem Haus sind und die Wohnung zu groß wird, lassen sich ja vielleicht zwei draus machen, wagt er einen Blick in die Zukunft auch Am Berge. Jedenfalls hat Herdecke schon jetzt das Problem, dass viele Menschen in für sie zu groß gewordenen Wohnungen und Häusern leben und junge Familien auf der Suche nach mehr Platz sind.

Sicherlich werden aus den massiven Stützen keine Betten, um ein Beispiel zu wählen, wenn die Holzkonstruktion eines fernen Tages einmal abgetragen wird. Aber ein Müllproblem gibt es mit dem Naturmaterial schon mal nicht, und der CO2-Abdruck eines solchen Hybrid-Gebäudes ist auch deutlich kleiner als bei herkömmlicher Bauweise, ist Axel Störzner überzeugt. Für ihn ist klar: Die 100 Wohneinheiten am Berge sind eine Chance. Störzner sagt: „Die Zukunft soll stattfinden in Herdecke.“

Im Fachausschuss hat der Herdecker, der in Dortmund Architekten bei nachhaltigen Lösungen berät, schon mal aufs hybride Bauen hingewiesen. Seine Vorstellung: Die Herdecker Politik macht den Bauträgern Vorgaben, dass beispielsweise Holz und Beton prägend sein sollen oder auch Fassadengrün. Hat er keine Angst, dass sein Vorschlag in der politischen Diskussion zerrieben wird? Selbstsicher sagt Störzner: „Wir haben keinen Erkenntnisproblem, warum wir Dinge ändern müssen. Wir haben ein Umsetzungsproblem, das wir in Herdecke mutig lösen sollten.“

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