Herdecke. In 2023 und danach wird der Betreuungsbedarf für Kinder groß sein. Ob Großtagespflegestelle oder neue Kita als Lösung kommen, bleibt weiter offen.

Der erste Beschluss fiel im November. Einstimmig beauftragten die Fraktionen im Jugendhilfeausschuss die Stadtverwaltung, mit dem Träger Funtime eine Kooperation zur Einrichtung und zum Betrieb einer Kinder-Großtagespflegestelle in Herdecke für sechs Jahre einzugehen. So könnten – wie berichtet – neun Betreuungsplätze entstehen. Im Finanz- und Hauptausschuss legten die CDU, Grünen sowie FDP aber einen anderen Antrag dazu vor, der Streit setzte sich im Rat fort. Nach der Abstimmung dort steht fest, dass nichts fest steht.

Hoher Bedarf an Betreuungsplätzen

Unstrittig ist der erste Teil des Haushaltsantrags der Koalition: In 2023 und den Folgejahren besteht ein hoher Bedarf an Betreuungskapazitäten für Kinder in Herdecke. Allerdings meinen CDU, Grüne und FDP auch, dass kürzlich im Jugendhilfeausschuss die Auswirkungen des besagten Großtagespflege-Beschlusses nicht abgesehen werden konnten. Diesem Fachgremium fehlten Fakten und Zahlen, sagte Andreas Disselnkötter als Fraktionssprecher der Grünen im Rat. Daher der Vorschlag, Geld im Etat 2023 einzuplanen und vorerst zu sperren, ehe in der ersten Sitzungsrunde im neuen Jahr eine endgültige Entscheidung fällt. Zudem wolle die Koalition größer denken, nur eine neue Kindertagesstätte bringe wesentliche Verbesserungen.

Ein falsches Signal

Karin Striepen von der SPD stufte den Antrag als keine gute Idee ein und sprach von einem „verkehrten Signal“. Realistisch betrachtet, könne eine neue Kita nicht vor 2024 in Betrieb gehen. Es brauche aber bald eine Großtagespflegestelle, die zumindest einigen Eltern helfe. Das sei eine „vernünftige Lösung“, fügte Parteigenosse Klaus Klostermann an. So argumentierte auch das Duo Pia Blothe und Nico Fischer (Die Partei). Während eine Kindertagesstätte womöglich gar erst 2026 fertig sein könnte, fehlen schon 2023 Kapazitäten, eine Großtagespflege biete auch pädagogisch gute Möglichkeiten. „Daher sollten wir den Träger auch nicht lange warten lassen.“ Fischer habe erfahren, dass das Einrichten dieser Institution schnell gehen könne und es somit eine Betreuungs-Hoffnung für eine Kinder-Generation gebe.

Beigeordnete mahnt Entscheidung an

CDU-Fraktionschef Patrick Wicker warf der SPD vor, in dieser Hinsicht „furchtbar ambitionslos“ zu sein und sprach über Geld. 120.000 Euro für gerade einmal neun Kinder in einer Großtagespflege seien zu viel. „Wir sollten erst weitere Varianten bewerten.“ Auch Parteikollege Christian Brandt wollte nicht ausschließen, dass der Jugendhilfeausschuss-Beschluss am Ende doch bestehen bleibe. Die Mittel-Sperrung sei aber richtig, zumal die Stadt die entsprechenden Daten zum konkreten Betreuungs-Bedarf (Kindpauschalen) erst im März weiter geben muss. „Wir brauchen eine Entscheidung im Februar“, sagte Herdeckes Beigeordnete Bettina Bothe. Mit einer Mehrheit von 20 zu 15 Stimmen setzte sich schließlich die Koalition im Rat durch. Die Verwaltung soll im ersten Jugendhilfeausschuss 2023 Szenarien vorstellen, wie „eine quantitativ ausreichende und qualitativ hochwertige Betreuung langfristig und kostensparend sichergestellt werden kann“.

Weitere Optionen prüfen

Bereits im Finanz- und Hauptausschuss gab es Kritik an der Koalition und deren „Rolle rückwärts“, wie Karin Striepen erstaunt sagte. Der infrage kommende Träger habe wohl bereits passende Räume gefunden. Andreas Disselnkötter wiederum meinte, dass der Träger noch kein Konzept habe und ein „Hoppla-Hopp-Verfahren“ doch nicht zielführend sei. Neben der Großtagespflege gelte es, weitere Optionen zu prüfen, etwa den Platz in der städtische Vinkenbergschule oder über den katholischen Kindergarten. Wilhelm Huck von der FDP äußerte wegen der Kosten Bedenken und wünschte sich dazu dauerhafte Verbesserungen: „Die Tagespflege ist die teuerste, eine Kita die pädagogisch beste Lösung.“

Kritik an Fachausschuss-Zweifeln

Das Vorgehen der Koalition kritisierte dann die SPD-Fraktionsvorsitzende. „Es gab einen einstimmigen Beschluss im Fachausschuss, das können wir uns künftig sparen, wenn so etwas kurz danach wieder infrage gestellt wird“, meinte Nadja Büteführ. „Es ist ein guter Brauch, diesen Empfehlungen zu folgen.“ Darauf entgegnete Patrick Wicker, dass die Hoheit über Haushaltsfragen beim Rat liege und Finanzfragen richtigerweise im Hauptausschuss auftauchen. „Und außerdem macht es doch keinen Sinn, zunächst kopflos viel Geld zu investieren, wenn wir am Ende deutlich mehr erreichen können.“ Die CDU und Koalition befürworten eine neue Kita mit vier Gruppen.

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Die schwierige Gemengelage verdeutlichte Silvia Stahlberg von den Grünen. Sie habe sich im Jugendhilfeausschuss gewissermaßen in die Enge gedrängt gefühlt und habe dem Antrag nur angesichts des Drucks zugestimmt, um „nicht neun Eltern vor den Kopf zu stoßen“. Eine lange Vertragslaufzeit von sechs Jahren habe sie aber erschrocken, zumal sie das Konzept nicht kenne. „Wir sollten uns erst anhören, auf welcher Basis der Träger die Kinder behüten kann.“ Dem widersprach Nico Fischer geschockt, eine Planung liege sehr wohl vor. Und außerdem: „Was ist pädagogisch wertvoller – neun Kinder in andere Städte fahren zu lassen oder hier in Herdecke nach einzelnen Lösungen suchen? Ja, wir brauchen sinnvollerweise eine neue Kita, aber das geht nicht so schnell.“ Außerdem seien sechs Jahre Vertragslaufzeit gar nicht lang.

Elternwünsche werden abgefragt

Die Beigeordnete Bettina Bothe erläuterte Verfahrensfragen zur Kinderbetreuung. Im Dezember laufen nun Gespräche mit Trägern über Platzzahlen ab Sommer 2023, das Jugendamt spricht mit den Einrichtungsleitungen über konkrete Planungen. In diesen Tagen holt die Verwaltung auch Elternwünsche für das nächste Kindergartenjahr ein. Anfang Januar liegen die Jahrgangsdaten für infrage kommende Mädchen und Jungen vor, Zu- und Absagen erfolgen von den Einrichtungen turnusgemäß ab Mitte Januar. Zudem könnte es vor der dauerhaften Erweiterung der Kita St. Philippus und Jakobus dort eine mobile Lösung geben. Die katholische Kirche könne womöglich ab August in einer viergruppigen Einrichtung weitere U3- und Ü3-Plätze anbieten.

Weitere Haushalts-Entscheidungen

Die SPD beantragte 5000 Euro im Haushalt 2023 für weiterführende Schulen, damit diese damit ein Präventivprogramm „Gegen häusliche Gewalt“ organisieren können. Aus den Reihen der Koalition gab es dafür Lob angesichts des wichtigen Themas und auch Kritik, dass der Antrag mehr Details enthalten müsse. CDU, Grüne und FDP einigten sich mit der SPD, Geld in den Etat einzustellen und erst nach konkreten Fachausschuss-Beratungen freizugeben. Die Koalition bekam wiederum 2000 Euro bewilligt, damit 2023 eine Gesundheitskonferenz in Herdecke stattfinden kann.

Der Rat genehmigte 883.600 Euro außerplanmäßige Mittel als Dringlichkeitsentscheidung, um Hochwasserschäden zu beseitigen (gegenfinanziert über höhere Gewerbesteuer-Einnahmen).