Herdecke. Nach dem Versteck-Fall in Attendorn geraten Jugendämter ins Visier. In Herdecke erklärt ein Duo die teure Arbeit vom Allgemeinen Sozialen Dienst.

Der aktuelle Fall aus Attendorn, wo ein achtjähriges Mädchen fast das gesamte Leben eingesperrt in einem Haus verbringen musste, hat alle Mitarbeitenden in Jugendämtern aufgeschreckt. Auch in Herdecke verfolgen Leiterin Daniela Leogrande und ihr Stellvertreter Manfred Bröring das Geschehen in der sauerländischen Stadt. Das Duo erklärt im Beisein der Beigeordneten Bettina Bothe, warum in diesem erweiterten Zusammenhang die Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) so wichtig und zugleich so teuer sind.

Ein Teil der 15,9 Millionen Euro, die im städtischen Haushalt 2022 für die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bereit standen, geht quasi auf das Konto von sechs sozialpädagogischen Angestellten des ASD, der beim Jugendamt angesiedelt ist und an dessen Spitze Manfred Bröring steht. „Unsere Aufgaben sind vielfältig und lassen sich in mehrere Bereiche gliedern“, sagt der Teamleiter. Dazu zählen unter anderem das Führen von Vormundschaft, die Eingliederungshilfe, Hilfen zur Erziehung oder die Jugendhilfe im Strafverfahren, wenn die Stadtverwaltung Berichte über Heranwachsende und deren Lebensverhältnisse sowie Sozialprognosen anfertigen soll. Der Reihe nach.

Pflegekinderdienst

Mit Blick auf die Attendorner Ereignisse sticht beim Herdecker ASD der Pflegekinderdienst hervor. Erfährt dieser von Mädchen oder Jungen mit massiven Problemen, stellen sich mitunter auch Fragen nach einer veränderten Unterbringung – beispielsweise bei Pflegeeltern. Bei diesen leben hier momentan 25 Kinder. Grundsätzlich kümmere sich das Amt in diesem Zusammenhang auch um die Betreuung sowie Begleitung von Vater und Mutter.

Besonderheit: Auch Jugendämter aus anderen, meist benachbarten Kommunen können Mädchen und Jungen an Herdecker Pflegeeltern übergeben. Erst nach zwei Jahren geht dann die komplette Verantwortung an die Stadt des Wohnortes über. „Für uns bedeutet das doppelte Arbeit, da wir zum einen dann nach 24 Monaten den Fall steuern und zum anderen die Kosten mit dem ursprünglich zuständigen Jugendamt abrechnen müssen“, sagt Bröring und bestätigt, dass es einen entsprechenden Bedarf gibt.

Hilfen zur Erziehung

In dieser Hinsicht spielen die Beratung und Unterstützung von heimischen Familien mit verschiedenen Erziehungsproblemen die zentrale Rolle (Garantenstellung). Hilft diese Begleitung nicht, kann der ASD auch andere Träger kontaktieren und Kinder in ambulante Maßnahmen oder stationäre Unterkünfte zuweisen. „Das sind die Ausnahmen, gewissermaßen Worst-Case-Fälle. Manchmal kommen solche Anfragen auch von überforderten Eltern. Es kommt aber immer auf ein pädagogisches Feingefühl an“, erläutert Daniela Leogrande.

Aktuell berät der Allgemeine Soziale Dienst 41 Herdecker Familien mit unterschiedlichen Konstellationen. Das Spektrum reicht von losen Anfragen bis hin zur engmaschigen Begleitung. Darunter Eltern, die im Zuge von Scheidungen um das Umgangs- oder Sorgerecht streiten. Bei Gerichtsverfahren muss auch das ASD-Team mitwirken, das dann verpflichtende Stellungnahmen abgeben muss. In neun Fällen sei das derzeit der Fall. „Dabei müssen wir die Perspektive des Kindes berücksichtigen, die wir über Gespräche mit den Eltern und Kindern ermitteln. Das ist arbeitsintensiv und bindet viel Personal“, meint Bröring.

Dahinter steckt die Aufgabe, bei einer Kindeswohlgefährdung die Wächterrolle einzunehmen (Garantenstellung). Das Jugendamt erhalte mal anonyme Hinweise oder auch Mitteilungen von Ärzten, Nachbarn, aus Schulen oder aus den betreffenden Familien selbst. Nach einer standardisierten Überprüfung im Zusammenwirken von mindestens drei Fachkräften entscheide der ASD, wie es weitergeht. Also beispielsweise weitere Stellen befragen, Geheimnisträger möglicherweise von ihrer Schweigepflicht entbinden oder an einem bestimmten Zeitpunkt die Eltern einschalten und befragen. „Das Timing ist wichtig. Und Hausbesuche machen wir in solchen Fällen stets zu zweit“, berichtet der Teamleiter. „Wir müssen aber nicht jede Woche ein Kind in Obhut nehmen.“

Corona und Flüchtlingswellen

„Durch die Pandemie haben wir verstärkt Meldungen dazu erhalten“, erzählt Bettina Bothe. Das habe Vor- und Nachteile: Einerseits sei erfreulich, dass Menschen genauer hinschauen und sich um das Wohlergehen von Kindern sorgen. Andererseits haben sich demnach viele der insgesamt rund 60 Hinweise in der Corona-Zeit als haltlos erwiesen, wodurch wiederum Personal gebunden war.

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Kommen zudem minderjährige Flüchtlinge unbegleitet zunächst in größere Städte und dann im Folgeschritt durch Zuweisung nach Herdecke, fallen sie ebenfalls in die Zuständigkeit des hiesigen Jugendamtes. Das meldet momentan 13 Heranwachsende aus arabischen Ländern. „Wir müssen uns dann um die teure Unterbringung kümmern, da dort Verantwortlichkeiten für Tag und Nacht bestehen. Pro Kopf sind das rund 5000 Euro im Monat“, sagt Leogrande und spricht von steigenden Fallzahlen. Zuweisungen kommen vom Landschaftsverband Rheinland, ehe der ASD verschiedene Träger als Kooperationspartner für Unterkünfte ansprechen kann. „Für uns ist das eine von vielen Pflichtaufgaben“, so Bröring.

Nur gelegentlich tauche die Möglichkeit auf, kostensparend bei zwei gleichen inhaltlichen Angeboten das günstigere auszuwählen. Grundsätzlich bezeichnen die Verantwortlichen die genannte Heimunterbringungen mit der Rundum-Verantwortung sowie vollständiger Lebensausstattung (auch Verpflegung und Kleidung) oder Eingliederungshilfen als Kostentreiber. Intensiv-pädagogische Angebote können in Einzelfällen schon mal monatlich fünfstellig ausfallen.

Eingliederungshilfe

Während sich der Ennepe-Ruhr-Kreis um Heranwachsende mit körperlich-geistigen Behinderungen kümmert, widmet sich der ASD Mädchen und Jungen mit seelischen Beeinträchtigungen. 37 so genannte Eingliederungshilfen hat das Herdecker Jugendamt aktuell vorliegen und muss beispielsweise Integrationshilfen von externen Trägern bezahlen. Dabei handelt es sich unter anderem um die Bewältigung des Schulalltags. „Das ist fast so teuer wie eine vollstationäre Unterbringung“, sagt Manfred Bröring zu vierstelligen Beträgen pro Monat und pro Kind.

Dazu zählen auch Therapien (zum Beispiel Autismus), Förderungen bei Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten oder heilpädagogische Maßnahmen nach entsprechenden Gutachten von Fachleuten wie Ärzten oder Psychiatern. Die für die Bewilligung erforderliche Teilhabebeeinträchtigung wiederum müssen städtische Angestellte prüfen, sie verantworten die Steuerung solcher Maßnahmen. „Pro Kind besprechen wir zweimal im Jahr die dazugehörige Hilfeplanung.“

Fazit

„Zum Glück haben wir immer wieder Erfolgserlebnisse. Wir sind ein kleines Team und müssen all die mitunter sehr komplexen Angelegenheiten abdecken, während es in anderen Jugendämter Spezialisten für einzelne Themen gibt“, sagt Daniela Leogrande. Beigeordnete Bettina Bothe bestätigt: „Für uns ist es schwer, Stellen mit diplomierten Pädagogen und Sozialarbeitern zu besetzen.“ Aktuell suche das Amt personelle Verstärkungen auf Verwaltungsebene.

Bürokratie und aufwendige Kostenermittlungen lassen sich in diesem Themenfeld nur selten vermeiden. Heimunterbringungen schlagen schon mal mit sechsstelligen Beträgen im Jahr zu Buche. Über Beratungen lasse sich zwar manches vermeiden, aber das klappt laut Bröring halt nicht immer. „Außerdem ist es doch besser, frühzeitig Menschen auf ihrem Weg Hilfestellungen zu geben. Damit können auch hohe Transferaufwendungen im weiteren Lebensverlauf vermieden werden.“