Wetter. Familien in schwierigen Situationen zu unterstützen kostet eine Kommune viel Geld. Noch teurer aber wird es, wenn Familie ersetzt werden muss.

Was für ein dicker Batzen Geld. 15.274.384 Euro – ein hoher Einzelbetrag auf der Ausgabenseite im Haushalt der Stadt Wetter. Ausgegeben werden diese über 15 Millionen Euro für Transferaufwendungen in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Was sich dahinter verbirgt und welche Hilfen denn da eigentlich so teuer sind für die Stadt Wetter, darüber hat die Lokalredaktion mit Margot Wiese gesprochen. Sie ist Leiterin des Fachbereichs 3 für Jugend, Soziales, Schule, Kultur, Sport und Archive.

Frage: Vielleicht erklären Sie vorab, was sich hinter dem Begriff Transferaufwendungen verbirgt?

Margot Wiese: Transferaufwendungen sind Aufwendungen, zu denen eine Kommune verpflichtet ist, denen keine konkreten städtischen Gegenleistungen gegenüberstehen. Beispiele für Transferaufwendungen sind die Leistungen der Sozial- und Jugendhilfe sowie die Kreisumlage. Nehmen wir zum Beispiel die Tageseinrichtungen für Kinder (9.991.584 Euro). Die Stadt Wetter zahlt die Betriebskosten für die Kitas freier Träger wie etwa AWO oder Kirche. Dazu sind wir gesetzlich und vertraglich verpflichtet. Zu den Betriebskosten gehören z.B. alle Sach- und Personalkosten u.a. auch die Gebäudeunterhaltung und Energiekosten. Bedingt durch den Ausbau weiterer Plätze steigen die Aufwendungen für Betriebskosten entsprechend – die Kinderarche zum Beispiel hat in diesem Jahr eine dritte Gruppe bekommen.

Frage: Als Bürgerin bzw. Bürger kann man ja erahnen, dass Einrichtungen wie Kitas eine Kommune viel Geld kosten. Aber welche weiteren Ausgaben gehören noch zu den Transferaufwendungen?

Das sind u.a. die sogenannten Familienunterstützenden Maßnahmen. Darunter fallen wiederum viele verschiedene Aufgaben wie die sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) und die Erziehungsbeistandschaften. Sie sind eines der „ambulanten Standbeine“ des Jugendamtes. Wir wollen ja verhindern, dass Kinder bzw. Jugendliche in stationäre Einrichtungen kommen. Sie sollen möglichst in ihren häuslichen und familiären Bezügen bleiben. Das gelingt nicht immer, aber „ambulant vor stationär“ ist unser Leitmotiv. Und das gilt, so lange die Kollegen das verantworten können, es fachlich sinnvoll, richtig und notwendig ist. Dazu kommt, dass ein stationärer Platz auch deutlich teurer ist als die ambulante Hilfe. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Nicht die Kosten stehen im Vordergrund bei der Entscheidung, sondern dass die Maßnahme dem Kind tatsächlich hilft. Aber eine stationäre Unterbringung zu vermeiden, gelingt eben nie zu 100 Prozent, das wäre auch lebensfremd. In Wetter belaufen sich die Kosten für die Familienunterstützende Maßnahmen in diesem Jahr auf 1.095.100 Euro. Und: Sie bewegen sich weiterhin auf einem hohen Niveau.

Frage: Wir halten also bisher fest: Der Kita-Betrieb ist teuer. Ein echter Kostentreiber innerhalb der Transferaufwendungen sind aber die Familienersetzenden Maßnahmen. Hört sich selbsterklärend an, aber was fällt alles unter diese Maßnahmen, und warum muss die Stadt Wetter dafür beinahe rund zwei Millionen Euro (1.923.700 Euro) in den Haushalt einplanen?

Zu den Familienersetzenden Maßnahmen gehören Maßnahmen wie etwa Vollzeitpflege in Pflegefamilien, Inobhutnahme, Einzelbetreuung, Heimerziehung und Unterbringungen in anderen betreuten Wohnformen. Die aktuellen Fallzahlen in Wetter gliedern sich in 41 Vollzeitpflegefälle, 13 Fälle von Heimerziehung und 13 Fälle unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in einer Nachbetreuung.

Frage: Wann werden solche Familienersetzenden Maßnahme notwendig?

Unsere Bezirkssozialarbeiter sind in allen Ortsteilen unterwegs und stehen stets in engem Kontakt und Austausch mit Familien, die sich in einer schwierigen Situation befinden. Wenn alle ambulanten Maßnahmen wie Gespräche, Beratungen, ambulante Therapien oder ähnliches nicht mehr ausreichen, dann sprechen wir mit den Eltern über eine stationäre Maßnahme. Im besten Fall arbeitet die Familie mit. Gemeinsam mit allen Beteiligten werden ein Hilfeplan erstellt und Ziele vereinbart. Diese Hilfen müssen von den Eltern beantragt werden.

Frage: Und wenn Eltern nicht einsehen, dass die ambulanten Hilfen für ihr Kind nicht ausreichen?

Dann müssen wir das Familiengericht einschalten. Wenn die Eltern mitziehen, wird das Kind zum Beispiel in einer Wohngruppe oder einer anderen stationären Einrichtung untergebracht. Wenn nur wir als Jugendamt eine stationäre Maßnahme befürworten, entscheidet das Gericht.

Frage: Können Sie etwas zu den Kosten sagen...

Die Kosten für einen Platz in einer stationären Einrichtungen lagen in der Vergangenheit im Monat bei 3500 bis 4000 Euro. Aktuell liegt der Betrag bei ca. 5000 bis 6000 Euro pro Platz und Monat – u.a. auch wegen des gestiegenen Mindestlohns. Es gibt darüber hinaus intensive Wohngruppen für besonders schwierige Kinder und Jugendliche. In solchen Einrichtungen kann ein Platz auch schon mal bis zu 10.000 Euro kosten, da bei solchen Maßnahmen oftmals zusätzliche therapeutische Angebote vorgehalten werden. Eine Schwierigkeit ist, dass wir als Stadt bei einem Zuzug einer Familie das vorhandene „Hilfesytem“ übernehmen müssen. Kommt also eine Familie hierher nach Wetter, deren Kind bereits in einer Einrichtung in Schwerte lebt, müssen wir die Unterbringung in genau dieser Einrichtung übernehmen. Auch wenn es bei uns eine deutlich kostengünstigere Einrichtung gäbe. Die Fallübernahme aus anderen Städten ist gesetzlich geregelt. Sollte sich dann in der weiteren Hilfeplanung ein anderes Hilfesetting ergeben, dann können wir auch eine andere Hilfeart bewilligen. Es ist natürlich wichtig, dass ein junger Mensch durch den Umzug seiner Familie nicht vorschnell aus seiner sonstigen vertrauten Umgebung – nämlich der Wohngruppe- genommen wird. Hier bestehen soziale Bezüge und Bindungen, die für die Entwicklung entscheidend sind

Frage: In welchen Fällen werden Kinder noch stationär untergebracht?

Das passiert, wenn der absolut schlimmste Fall vorliegt – die Kindeswohlgefährdung. Dann erfolgt als akute Maßnahme nach einer Überprüfung durch uns eine Inobhutnahme. Die betroffenen Kinder kommen dann in eine Inobhut-Stelle. In Wetter haben wir zwei Bereitschafts-Pflegefamilien für Kinder von 0 bis 5 Jahren. Es kommt aber auch vor, dass Jugendliche von sich aus zu uns kommen und sagen, dass sie nicht mehr zu Hause bleiben wollen. In diesen Fällen wird natürlich zunächst geprüft, welche Gründe bestehen, dass ein Jugendlicher nicht mehr im Elternhaus verbleiben möchte und welche Maßnahmen vor einer stationären Unterbringung möglich sind.

Frage: Wie viele Fälle von Familienersetzenden Maßnahmen muss die Stadt Wetter aktuell finanzieren?

Wir haben 41 Vollzeitpflegefälle, also Pflegekinder in Pflegefamilien, 13 Fälle von Heimerziehung und 13 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Letztere sind eigentlich seit 2015 immer weniger geworden, weil die Jugendlichen inzwischen erwachsen geworden sind. Seit Mitte des Jahres ist allerdings wieder eine höhere Zuweisung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu registrieren. So wurden der Stadt Wetter in den letzten Monaten neun Kinder und Jugendliche zugewiesen. Für diese Kinder/Jugendlichen müssen die Kollegen eine entsprechende Unterbringungsmöglichkeit finden und diese natürlich auch begleiten. Für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge erhält die Stadt eine Kostenerstattung durch das Land. Letztlich kann man eben nicht alles planen, es gibt immer wieder Unwägbarkeiten. In diesem Jahr liegen die Kosten für die Familienersetzenden Maßnahmen bei knapp zwei Millionen Euro. Es ist Fakt, dass das immer schon ein hoher Posten im Etat war. Aber es gab Jahre, da hatten wir noch deutlich höhere Kosten durch stationäre Maßnahmen.

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