Herdecke. Rat und Ausschüsse: Alle Fraktionen in Herdecke kritisieren die AfD. Sei es inhaltlich oder auch wegen Fehlzeiten und „tendenziöser Anfragen“.
Viele Themen knüpften sich die Fraktionsvertreter in den vergangenen Wochen vor. In den verschiedenen Ausschusssitzungen herrschte allerdings fast immer dann eine angespannte Atmosphäre, wenn es um Anfragen oder Anträge von der Alternative für Deutschland, kurz AfD, ging. Beobachtungen aus einigen Herdecker Gremien zum politischen Klima.
Ratssitzung
Neben einer Anfrage, ob und wie sich die Stadtverwaltung auf einen Blackout vorbereite, hatte die AfD einen Antrag zum Verzicht auf die Gender-Sprache eingereicht. Ratsmitglied Oliver Haarmann erklärte, dass Einfachheit und Verständlichkeit einer Sprache ein hohes Gut seien. Mehrgeschlechtliche Bezeichnungen seien ein elitäres Phänomen, das in linksliberalen Kreisen auftauche und von einer Mehrheit abgelehnt werde.
CDU-Fraktionsvorsitzender Patrick Wicker wollte vor seinen inhaltlichen Aspekten zunächst einmal Grundsätzliches loswerden. Da gleich zwei Mitglieder der AfD anwesend seien und deren Vertreter zuvor schon mal fehlten, ließe sich nun auch mal von Angesicht zu Angesicht Klartext reden. In dieser Sitzungsperiode habe die hiesige Alternative für Deutschland nämlich „ihr wahres Gesicht“ in Herdecke gezeigt. Häufig habe die AfD Musteranträge vorgelegt, in denen sie teilweise „offen“ ihre rechte Gesinnung gezeigt und Stimmung gegen Migranten gemacht habe. Wicker sprach von einem seltsamen Demokratieverständnis der AfD, während deren Ratsmitglied Oliver Haarmann lautstark protestierte.
Nachdem die Sitzungsleiterin per Glocke Ruhe angemahnt hatte, meldete sich Nadja Büteführ (SPD). Die Alternative für Deutschland verfahre nach dem Prinzip „copy and paste“: Ein Antrag in einer Stadt tauche in ähnlicher oder identischer Art und Weise etwas später in anderen Kommunen auf. Die Sozialdemokratin sah in dem AfD-Vorstoß zur Gender-Sprache „intellektuell viel Luft nach oben“. Andreas Disselnkötter als Fraktionsvorsitzender der Grünen sprach von einem „Antrag aus der Mottenkiste. Der AfD geht es um Ausgrenzung und Diskriminierung“.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Sowohl Wicker als auch Wilhelm Huck von der FDP gaben zu, dass manche in ihren Parteien der Gender-Sprache ebenso kritisch gegenüber stehen. Gleichwohl wollten beide Fraktionen generell keinem AfD-Antrag zustimmen, weshalb erst die CDU (Stadtverwaltung soll möglichst auf Gender-Sprache verzichten) und dann die FDP (keine Vorschriften für Verwaltungsmitarbeitende) eigene Entwürfe zu diesem Thema vorlegten. Bei der Abstimmung erhielten dann aber alle drei Vorlagen keine Mehrheit.
Zudem berichtete Evelyn Koch als Gleichstellungsbeauftragte, dass die Stadt derzeit eine interne Broschüre zur „Fairen Sprache in der Verwaltung“ fertig stelle. Dieser Leitfaden enthalte aktuelle Anregungen sowie Tipps für eine gendergerechte und inklusive Sprache.
Anfrage zu Sicherheitsthemen
Im Ausschuss für Wirtschaftsförderung und Tourismus hatte die AfD, von der kein Vertreter in der Sitzung anwesend war und Oliver Haarmann entschuldigt fehlte, zuvor vermeintliche Vorfällen bei der diesjährigen Veranstaltung „Herdecke karibisch“ auf die Tagesordnung gesetzt. Die Fraktion habe im Nachgang von Berichten über Aggressionen und Handgreiflichkeiten einer „Gruppe von jungen Männern“ gegenüber friedlichen Besuchern des Festes erfahren. Aus Angst vor Repressalien durch die Täter möchten die Opfer demnach anonym bleiben und auf eine Anzeige bei der Polizei verzichten. Zudem fragte die AfD nach Sicherheitskosten bei anderen Veranstaltungen.
Kämmerer Dennis Osberg antwortete, dass die Stadtverwaltung keine Kenntnisse von Übergriffen habe. Während der Veranstaltung „Herdecke karibisch“ wurde die Polizei wegen angeblicher körperlicher oder verbaler Auseinandersetzungen zwischen Personen dreimal am späten Abend alarmiert. In allen Fällen gab es den Angaben der Polizei zufolge keine Erkenntnisse bzw. keine erforderlichen Maßnahmen, weil es sich entweder um einen Fehlalarm handelte oder sich die jeweilige Situation offenbar schon wieder beruhigt hatte.
Sicherheitslage im heimischen Freibad
Die AfD-Fraktion hatte im Ausschuss für Umwelt, Klima und Sicherheit Fragen zur Sicherheitslage am städtischen Freibad in Herdecke gestellt.
Begründung (Wortlaut): Zu Beginn des Sommers eskalierten anfängliche Albernheiten mit Wasserpistolen unter „jungen Männern“ in einem Berliner Freibad und mündeten in eine Massenschlägerei, die erst durch einen Großeinsatz der Polizei beendet werden konnte. Selbst die heutzutage obligatorisch gewordenen Sicherheitskräfte des öffentlichen Bades waren der Lage schlichtweg nicht Herr geworden. Auch in Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg kam es im Juni 2022 in Freibädern zu sexuellen Übergriffen, Messerstechereien, Schlägereien und sogar Angriffen auf Kinder. Dieses Gewaltproblem ist seit vielen Jahren bekannt: Im Sommer 2019 ereigneten sich in nordrhein-westfälischen Freibädern zahlreiche solcher Gewaltausbrüche.
Die AfD Herdecke wollte wissen, ob der Stadt hier problematische, also gewalt- und kriminalitätsaffine, Gruppen junger Männer (mit Migrationshintergrund) bekannt seien, die ein Sicherheitsrisiko am Freibad darstellen? Rechtsdezernent Lars Heismann verneinte. Es gebe keine konkret benennbaren Gruppen, ungeachtet der Staatsangehörigkeit, die die Freibad-Sicherheit möglicherweise gefährden.
Nach der AfD-Anfrage und der Ausschusssitzung veröffentlichten Herdeckes Grüne eine Pressemitteilung. Sie sorgen sich, da sich die „tendenziöse AfD-Anfrage gegen uns alle richtet, indem sie ohne Anlass und völlig ohne Bezug auf Herdecke den Zusammenhalt der Herdecker Gesellschaft untergräbt.“
Zudem erklärte Herdeckes Beigeordneter, dass die Stadt für Sicherheitsmaßnahmen rund um die Maiwoche in den vergangenen Jahren mehr Geld als früher aufwende. Das liege an veränderten Konzepten wegen der Ansammlung junger Leute am Bleichstein oder auch am Sanitätsdienst. Bis einschließlich 2019 übernahm diesen der Herdecker Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes. Seit 2022 reichen die Kapazitäten dieser Gruppe dafür aber nicht mehr aus, so dass der Stadt als Organisatorin erstmalig Kosten von 18.630 Euro entstanden. Zum Vergleich: 2017 gab die städtische Verwaltung 3089 Euro insgesamt für Sicherheitsfragen während der Maiwoche aus, in diesem Jahr waren es 31.259 Euro.
Die anderen Fraktionen nahmen diese Zahlen zur Kenntnis. Irmingard Schewe-Gerigk von den Grünen nannte das Verhalten der AfD „unverschämt“, da diese einerseits die Antwort scheinbar nicht hören wolle und andererseits sich deren Anfrage „gegen uns alle richtet, da sie den Zusammenhalt untergraben will“. Das bestätigte Sylke Gröne von der SPD, während Nico Fischer (Die Partei) sagte: „Es ist eine Frechheit, Mitarbeitende der Stadt mit solchen Anfragen zu belästigen.“
Hauptausschuss
Im Hauptausschuss war kürzlich kein Vertreter der AfD Herdecke anwesend. Gegen Ende der Sitzung stellte Patrick Wicker als Fraktionsvorsitzender der CDU mit Blick auf den leeren Platz fest: „Die AfD hat keine Lust mehr auf Ausschusssitzungen.“ Für Wicker war das „höchstbefremdlich“.
Sein Kollege Andreas Disselnkötter von den Grünen fand das Fernbleiben „unmöglich“ und sagte: „Die AfD stellt Anfragen und kommt nicht, um die Antworten zu hören – ein Affront gegen die Verwaltung“. Nico Fischer (Die Partei): „Leider können wir die heiße Luft, die die AfD mit ihren Anträgen verbreitet, nicht zum Energiesparen nutzen.“
In der jüngsten Sitzungsrunde fehlten AfD-Vertreter in manchen Gremien. Auch teilweise dann, wenn die Fraktion im Vorfeld Fragen oder Anträge eingereicht hatte. Bei der Alternative für Deutschland in Herdecke konzentriert sich vieles auf Ratsmitglied Oliver Haarmann, der Mitglied in einigen Ausschüssen ist und in der Hauptausschuss-Sitzung laut Protokoll entschuldigt fehlte. Martin Lüling saß jüngst in der Ratssitzung neben ihm.
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Damit stellt sich auch die Frage nach der Aufwandsentschädigung. Laut Gemeindeordnung ist diese bis zum Ende einer Ratsperiode zu zahlen, auch wenn ein Ratsvertreter ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr komme und die politische Arbeit vollständig einstellt: „Es gibt keine Handhabe, keine Kontrollinstanz“, heißt es. Gemäß Entschädigungsverordnung des Landes NRW erhalten Ratsmitglieder derzeit eine Aufwandsentschädigung ausschließlich als monatliche Pauschale in Höhe von 320 Euro. Diese wird auch in den sitzungsfreien Monaten gezahlt. Die Herdecker Stadtverwaltung führe keine Statistik, welche Mandatsträger ihr Amt über längere Zeit nicht wahrnehmen. In den über das Ratsinformationssystem öffentlich einsehbaren Niederschriften der einzelnen Sitzungen ist die Anwesenheit der Mandatsträger jeweils vermerkt.
Die Stadtverwaltung sei gesetzlich dazu verpflichtet, auf Anfragen der Mandatsträger zu antworten. Dies ergibt sich aus dem Auskunftsanspruch der Mandatsträger und der Rolle des Rates als Kontrollinstrument der Verwaltung. Details dazu regeln die Gemeindeordnung NRW (§47 und §55) sowie die Geschäftsordnung des Rates der Stadt Herdecke (§18). Die Verwaltung habe keine Möglichkeit zur Sanktionierung, wenn Mandatsträger an Sitzungen nicht teilnehmen. (mit kg)