Herdecke. Lange Schlangen vor den Ämtern wollte Hermann Kinder den Flüchtlingen aus der Ukraine und der Stadt Herdecke ersparen. Jetzt blickt er zurück

Die fünf Monate des Bestehens hat Hermann Kinder mit im Herdecker Ehrenamtsbüro gesessen. Gerade ist das Büro geschlossen worden. Was hat den vor drei Jahren Zugereisten aktiv werden lassen für die Menschen auf der Flucht? Das erzählt er im Interview mit der Redaktion.

Was hat Sie bewegt, zu der Info-Veranstaltung im März über Ukraine-Flüchtlinge in Herdecke zu gehen?

Hermann Kinder: Die Ausgangslage war: Der Krieg in der Ukraine hatte begonnen. Man sah im Fernsehen viele Bilder vor Berliner Behörden, wo elendig lange Schlangen waren von Flüchtlingen, die irgendetwas von den Behörden wollten und immer nur warten mussten. Da ich beruflich im Öffentlichen Dienst war, weiß ich, dass man viel eher Aufgaben neu dazu bekommt als Personal. Mir war klar: Die Stadt Herdecke bekommt eine Menge an Aufgaben dazu, aber sie wird kein Personal dafür haben. Ich wollte die langen Schlangen nicht vor den Herdecker Gebäuden haben.

Was noch hat sie motiviert?

Ich bin im Sozialausschuss stellvertretendes Mitglied und habe gedacht: Man kann auch mal was Aktives tun. Allerdings hatte ich angenommen, ich würde noch viel näher ran an der Stadt Hilfsfunktionen übernehmen können.

Haben Sie sich vorher schon einmal für Flüchtlinge eingesetzt?

Nicht direkt. Aber meine Partnerin ist beim Roten Kreuz, und daher kenne ich beispielsweise Kleiderkammer als Hilfsangebot.

Längst nicht alle Teilnehmer der Infoveranstaltung haben Hilfe angeboten. Was hat Sie bewogen, diesmal mehr zu tun als beispielsweise bei den vielen Syrienflüchtlingen 2016? Mehrarbeit für die Behörden gab’s auch damals schon…

In Herdecke bin ich nicht aktiv geworden, weil ich damals am linken Niederrhein gewohnt habe. Und dort habe ich nichts gemacht, weil es eine Veranstaltung wie die im März nicht gegeben hat. Sie hat einem gleich deutlich gemacht, wie viel Hilfe gebraucht wird. Ich denke, dass die Veranstaltung der Auslöser war. Man hat gemerkt, es sind schon viele Flüchtlinge da, auch vor Ort in Herdecke. Das hatte ich bis dahin nicht gedacht.

Wie fanden Sie die Idee mit dem Ehrenamtsbüro?

Das war eine gute Sache, auch wenn keiner wusste, was auf uns zu kommt, wie viele Menschen uns brauchen und ansprechen. Die Vorstellung zunächst war sicherlich eine andere, es war die, dass wir im Büro mehr Flüchtlinge sehen würden. Das ist gar nicht der Fall gewesen. Ich habe keinen Ukrainer oder keine Ukrainerin dort erlebt. Es waren eigentlich immer nur Deutsche, die Möbel abgeben wollten oder andere Angebote gemacht haben.

Wie lief es im Ehrenamtsbüro ab?

Wir hatten eine gemeinsame Runde. Zu viert, später zu fünft, haben wir die fünf Tage der Woche mit jeweils zwei Stunden abgedeckt. Der Austausch intern ging über eine Whatsapp-Gruppe.

Wenn die Flüchtlinge nicht direkt zu Ihnen gekommen sind – gab es Anrufe von Herdeckern, die sich einsetzen wollten für Menschen aus der Ukraine und um Rat gebeten haben?

Einmal hat eine Frau angerufen, die eine Flüchtlingsfamilie aufgenommen hatte und Tipps haben wollte. Sonst gab es eher Angebote von Möbeln oder Spielzeug und die Frage, wo das hingegeben werden kann. Da haben wir eng mit dem VCS und dem Lager im Gahlenfeld zusammengearbeitet.

Waren Sie enttäuscht, dass kein Ukrainer gekommen ist?

Enttäuscht, nein (lacht).

Was haben Sie sich für Gedanken dazu gemacht, immerhin sind ja doch ziemlich viele Menschen aus der Ukraine hier in Herdecke untergekommen?

Die Stadt selbst hat das auch anders erwartet. Sozialdezernentin Bettina Bothe hat das in der Abschlussveranstaltung für das Ehrenamtsbüro damit erklärt, dass die Ukrainer Europäer sind und sich mehr selbst organisiert und untereinander vernetzt haben als etwa die Flüchtlinge aus Syrien.

Hat nach der Aufbruchstimmung der Veranstaltung im März die Stadt Herdecke und die Bürgerschaft in Herdecke aus Ihrer Sicht genug getan für die Flüchtlinge oder haben Sie gedacht, da müsse noch mehr passieren?

Ich sehe keine großen Defizite. Für eine Antwort bin ich aber vielleicht auch zu weit weg gewesen von den Menschen, denen etwas gefehlt haben könnte.

Unter den Menschen, die sich auch vor sechs Jahren schon für die Flüchtlinge eingesetzt haben, gibt es teilweise den Vorwurf, den Ukrainern sei vergleichsweise der rote Teppich ausgerollt worden. Fakt ist: Damals gab es kein Ehrenamtsbüro…

Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Die Bürgermeisterin hat auf der Versammlung im Zweibrücker Hof immer wieder gesagt: Wir wollen nicht ein Ehrenamtsbüro machen nur für die Menschen aus der Ukraine. Motto war: „Herdecke hilft“. Das Angebot war für alle offen. Das Bessere kann auch dadurch entstanden sein, dass man seit 2016 Erfahrungen gemacht hat. So hieß es damals: Kommt alle rein. Wir schaffen das. Aber problematisch blieb, dass niemand arbeiten durfte. Jetzt ist das anders.

Der Überfall auf die Ukraine liegt jetzt ein halbes Jahr zurück – fürchten Sie, dass die Stimmung umschlagen könnte wegen der Folgen bei den Spritpreisen oder beim Gas, die jetzt alle tragen müssen?

Das glaube ich nicht. Ich höre das auch nicht in meinem Umfeld.

Wie geht die Hilfe für Menschen auf der Flucht bei Ihnen weiter, wenn das Ehrenamtsbüro geschlossen ist?

Wenn etwas ähnliches kommt, wäre ich wieder dabei. Die Bürgermeisterin hat bei der Infoveranstaltung deutlich gesagt: Das wird ein Marathon und nicht die Geschichte einer kurzfristigen Aufnahme. Das braucht eine längere Zeit.

Möchten Sie dann näher dran sein an den Betroffenen?

Gerne. Schulen sind aktuell ein Problem. Auch wenn ich kein Lehrer war: Ich habe Mathematik studiert. Und es gibt Nachhilfe-Angebote. Das könnte ich mir auch für mich vorstellen.