Herdecke. Wie die Werner-Richard-Schule in Herdecke Rücksicht nimmt auf Ukraine-Flüchtlinge und was ein einziges Wort anrichten kann

Sollen die Kinder aus der Ukraine wie die anderen Jungen und Mädchen an der Werner-Richard-Schule in Herdecke auf die Lerngruppen verteilt werden oder brauchen sie den schützenden Raum einer Vorbereitung? Auch in Sport oder Kunst? Und wie lange noch werden sie in Herdecke zur Schule gehen und nicht wieder in Kiew oder sonst wo in ihrem Heimatland? Nicht nur Schulleiter Matthias Wittler befindet sich auf schwankendem Boden, wenn es um die richtige Aufnahme von Alexej, Erika oder Daria geht.

Frauke Dethloff ist Lernpädagogin und an der Werner-Richard-Schule als Schulhelferin tätig. Zu ihr kommen die insgesamt drei Mädchen und zwei Jungen und lernen zum Teil erst einmal das Alphabet. In der Ukraine wird kyrillisch geschrieben. Einige haben daheim schon Englisch gehabt. Da ist etwas zum Aufbauen. Und doch sind immer wieder kurze Spielpausen nötig, damit die kleinen Köpfe nicht überfordert werden. Der Wille zum Lernen jedenfalls ist vorhanden, sagt Frauke Dethloff: „Die Kinder sind sehr ehrgeizig und ungeduldig.“

Erst die Sprache lernen

Spaß soll die Heranführung an die deutsche Sprache machen. Und deshalb dreht die Lernpädagogin den Spieß gerne mal um. Dann sind es die Kinder, die ihr etwas beibringen. Ein paar Worte in ukrainisch, beispielsweise. Frauke Dethloff hat Erfahrung damit, Kinder aus Kriegs- und Krisenregionen an der Herdecker Grundschule zu unterrichten. 2016 war sie zur Stelle, als Familien und mit ihnen die Kinder vornehmlich aus Syrien nach Deutschland kamen. Umständlich war es damals, Sprachbrücken zu bauen. Heute hilft das Handy. Ein Wort wird gesucht? Eingeben oder aufsprechen, und der passende Begriff liegt in Übersetzung vor.

Die syrischen Kinder von 2016 sind längst in weiterführende Schulen gewechselt, höchstens ein jüngeres Geschwisterkind wird in Herdecke auf die Grundschule geschickt. Die Lehren von damals helfen Frauke Dethloff aber auch heute. „Man muss sehr differenziert vorgehen, damit die Kinder schnell in die Schule finden“, sagt sie. Deshalb gibt es den Förderunterricht in der kleinen Gruppe, und nur in ausgewählten Fächern sind die Gäste aus der Ukraine mit dabei. Bei Sport geht das noch leicht. Aber in Englisch hat das in der Vorstellung besser geklappt als in der Praxis.

Plötzlich am Abgrund

Die Kinder, die vor einem halben Jahrzehnt mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen sind, trugen schlimme Erfahrungen im Gepäck und meist die Erinnerung an eine längere, abenteuerliche Flucht. Die Ukraine liegt näher, und manche Mütter haben sich vielleicht noch vor den erwarteten Bombardements auf den Weg gemacht. Frauke Dethloff jedenfalls stellt fest: „Die Jungen und Mädchen aus der Ukraine sind scheinbar nicht so traumatisiert wie damals die Kinder aus Syrien.“ Viel Potenzial für Quatsch hätte die muntere Handvoll, und dann denkt die Lernpädagogin doch besonders an eines der Mädchen: „Manchmal macht es ganz und gar zu“, ist völlig abwesend, unansprechbar und ohne jeden Anknüpfungspunkt für Hilfe.

Frauke Dethloff hat nicht nur ein paar zentrale Begriffe und Floskeln aus der ukrainischen Sprache von ihrer kleinen Schar gelernt, sie weiß nun auch, was offenbar gar nicht geht. Mit ihren paar Brocken russisch hatte sie die Kinder anfangs zur Ordnung rufen wollen. Das „Stoi“ für Stopp wirkte anders als gedacht: Auf einmal war sie da, die Angst vor der Sprache der Okkupanten, die wohl doch mit ins ferne Deutschland genommen wurde. Die Ukraine ist nicht Russland. Wer wüsste das besser als die Kinder auf der Flucht.