Wetter/Herdecke. Senioren wollen sich eher verkleinern, andere entdecken ihr Zuhause in der Pandemie neu. Experten über Trends auf dem aktuellen Wohnungsmarkt.
Die vielen Treppen, der große Garten oder der Tod des Partners – wenn Menschen alt werden, gibt es viele Gründe, das Eigenheim zu verlassen und sich kleiner zu setzen. Vorausgesetzt, es findet sich eine adäquate, barrierefreie, möglichst zentrumsnah gelegene Wohnung. Kein einfaches Unterfangen, wie die Lokalredaktion bei heimischen Genossenschaften, Wohnungsunternehmen und Maklern erfuhr, die zudem einen Überblick über den aktuellen Wohnungsmarkt geben. Und der ist, wen wundert‘s, tatsächlich auch von der Pandemie geprägt.
Die Seniorin
Als ihr Mann 2018 starb, war an einen Umzug nicht zu denken. Inzwischen ist Karin Fricke aus ihrem großen Zweifamilien-Haus ausgezogen und lebt in einer kleinen Wohnung ihres Sohnes. Im Erdgeschoss. „Ich kann jedem nur Mut machen, diesen Schritt zu gehen. Denn es ist vernünftig. Man darf nur nicht zu lange warten“, sagt die 81-Jährige heute. Natürlich müsse man gut abwägen. Und: Es sei ja auch nicht einfach, sein eigenes Reich, die gewohnte Umgebung zu verlassen. „Aber mein Haus wurde zunehmend zur Belastung. Für mich war es jetzt sozusagen der letzte Zeitpunkt, einen solchen Umzug zu stemmen. Und dann sollte man, wenn man Kinder hat, gemeinsam mit ihnen überlegen, oder sich andere Hilfe holen. Es gibt übrigens auch Literatur zu diesem Thema“, so die Wetteranerin.
en-wohnen im Kreis
Tatsächlich bekräftigt auch Alexander Dyck von en-wohnen, der Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft für den Ennepe-Ruhr Kreis, dass es immer wichtiger werde, sich rechtzeitig um Wohnraumfragen zu kümmern. „Das trifft auf alle Gesellschaftsgruppen und Familienformen, insbesondere auf die Senioren zu. Wir stellen immer wieder fest, dass Senioren sich sehr schwer tun, ihr Haus zu verkaufen, wenn kein geeignetes Angebot ,Eigentumswohnung/Mietwohnung’ in Aussicht steht. Die Ansprüche sind recht hoch, die durch das eigene Haus geprägt sind, zum anderen sind die Senioren, die ihr Haus verkaufen, in der Regel sehr zahlungskräftig, weil durch den Hausverkauf aktuell sehr hohe Preise erzielt werden.“ Die Senioren-Nachfrage bei vollmodernisierten Siedlungen und bei anstehenden Neubauprojekten sei deutlich: „Jede Wohnung, die wir modernisieren, ist zügig auch an diese Zielgruppe vermietet. Bei Neubauprojekten ist die Mieternachfrage bereits in der Planphase deutlich höher als das Angebot“, so Alexander Dyck. Deswegen gelte für en-wohnen auch im Hinblick auf Senioren, den Bestand zu modernisieren und unterschiedliche Barrieren abzubauen, insbesondere bei guter Qualität der Wohnungen, guter Qualität der Siedlungen und guter Infrastruktur (Einkauf/Ärzte/Schule/Kindergarten/öffentliche Verkehrsanbindung). Dycks Fazit: „Da auf anhaltend hohem Niveau modernisiert und gebaut wird, sehen wir eine gute Versorgung der Senioren mit geeignetem Wohnraum, während die Kaufpreise, Mietpreise und insbesondere die Betriebs-Heiz-Nebenkosten angesichts der Flucht ins Betongold, der Entwicklung der Energiepreise und der günstigen Finanzierungskonditionen weiter stark ansteigen werden.“ Die Entwicklung der Bevölkerungs- und Haushaltszahlen sei ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Nachfrage nach Wohnraum: „Hier sehen wir insbesondere in den letzten Jahren einen Trend, der bei gutem Wohnungsangebot die Stadt Wetter positiv beeinflusst.“
Wohnstätte in Wetter
Zur aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt sagt Claudia Büchel, Geschäftsführerin der Wohnstättengenossenschaft Wetter (WSG): „Es besteht in unserem Hause eine Warteliste mit Wohnungsinteressenten mit den unterschiedlichsten Wohnbedürfnissen. Von Single-Wohnungen über Wohnungen für Auszubildende und Studenten bis zu Wohnungen für Familien und Senioren, etc. Keine dieser Zielgruppen dominiert in unserer Warteliste.“ Die Anforderungen einer barrierearmen Wohnung würden bei der WSG, wann immer es möglich sei, im Zuge von Wohnungsmodernisierungen berücksichtigt. „Allerdings müssen wir uns an den baulichen Gegebenheiten im Bestand orientieren, wie z.B. bei dem Anbau eines Aufzuges oder den Einbau einer ebenerdigen Dusche. Als weitere Schwierigkeit ist die topographische Lage in unserer Stadt zu berücksichtigen“, gibt Claudia Büchel zu bedenken. Und: „Hinzu kommt, dass Senioren wegen des Kohorten-Effekts eine quantitativ höhere Flächennachfrage aufweisen als vor 20 Jahren. Größere Wohnungen werden allerdings nicht nur von Familien, sondern auch von Singles, Wohngemeinschaften oder Paaren vermehrt nachgefragt. Wir erklären uns das mit dem durch Corona erhöhten Aufkommen von Home-Office.“ Zudem habe sie eine Besonderheit registriert: „Die Fluktuationsquote sank in unserem genossenschaftlichen Bestand ein weiteres Jahr in Folge, da aufgrund von Corona die Mieter in ihren Wohnungen verbleiben. Hierdurch stehen weniger Wohnungen für eine Neuvermietung zur Verfügung.“
HGWG in Herdecke
Der Blick nach Herdecke zeigt: Auch dort hat Corona Einfluss auf den Wohnungsmarkt genommen: Dort registriert die Herdecker Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft (HGWG) aktuell mehr suchende Familien als etwa Senioren. Große Wohnungen ab vier Zimmer, stadtnah mit Balkon stünden laut Simon Jeschke ganz oben auf der Liste. „Vor ein paar Jahren waren es noch vermehrt Alleinstehende und junge Pärchen, die kleine Wohnungen suchten. Die Suche gleicht oft auch Wellenbewegungen“, so Simon Jeschke von der Mieterabteilung der HGWG. Nun zum Corona-Einfluss: Auffällig in der Statistik der Mieterwechsel sei, dass es vor der Pandemie im Schnitt 160 Mieterwechsel im Jahr gegeben habe; sprich: 160 Mieter zogen aus. Seit Corona habe sich diese Zahl deutlich verringert: So hätten etwa im Jahr 2020 nur 120 Mieter ihre Wohnung verlassen, und auch aktuell gebe es seit Beginn des neuen Jahres nur wenige freie Wohnungen, die die HGWG anbieten könne. „Offenbar verändern Menschen in der Pandemie sich nicht wie sonst üblich. Woran immer es auch liegen mag. Es kann finanzielle Gründe haben, denn ein Umzug ist ja immer auch teuer“, meint Simon Jeschke. Corona wirbele da so manches durcheinander. Festzuhalten bleibe, dass unterm Strich nicht die Zahl der Anfragen, sehr wohl aber die der Kündigungen zurückgegangen seien. In Bezug auf den Bedarf nach stadtnahem Wohnraum von Senioren erklärt der -Geschäftsführer der HGWG, Klaus-Dieter Gördes: „Wir haben am Herdecker Bahnhof 75 Wohnungen gebaut. Das Projekt wurde letztes Jahr fertiggestellt, und alle Wohnungen waren schnell weg. Es gab deutlich mehr Bewerber als Wohnungen. Dort sind übrigens auch einige Mieter eingezogen, die zuvor ihr Haus verkauft haben.“
Der Makler
Die Nachfrage nach barrierefreiem Wohnraum sei riesig, sagt Sören Fritze vom gleichnamigen Immobilienmakler-Unternehmen in Herdecke. Er sieht darin aber weniger einen aktuellen Wohnungsmarkt-Trend als vielmehr eine großes gesellschaftliches Thema: „Bedürfnisse verändern sich im Alter, auch die an eine Immobilie.“ Dass Senioren mit Mitte 80 ihr Riesenanwesen mitsamt Garten verkaufen wollen, sei nicht Anzeichen für einen Trend, sondern „reine Überforderung“. „Und Kinder oder Enkel haben heute auch weniger Zeit als es früher vielleicht noch der Fall war, sich um den Garten oder das Haus der Eltern beziehungsweise der Großeltern zu kümmern. Oder sie wohnen weiter weg“, so Sören Fritze.
Dass das Angebot an barrierefreiem Wohnraum gering ist, sieht er nicht; „denn Neubauten werden ja nur noch barrierefrei genehmigt“. Aber die Geschwindigkeit auf dem Markt habe enorm zugenommen. „In altengerechte, moderne Wohnungen wollen auch Jüngere einziehen“, weiß der Makler. Und die hätten beim Suchen und Finden von Wohnraum einen klaren Vorteil, weil sie digital unterwegs seien: „Man muss seine Suche verändern, denn die Angebote werden heute digital gemacht. Meine Großeltern aber wüssten gar nicht, wie sie an eine Wohnung etwa bei Immoscout herankommen sollten.“ Und er ergänzt: „Lange überlegen kann man heute nicht mehr. Wenn etwas frei ist, egal ob zum mieten oder kaufen, muss man fix sein.“ Ob er Auswirkungen der Pandemie auf den Wohnungsmarkt registriere? „Durchaus. Vor Corona ging der Trend zu kleinen Wohnungen, weil viele Menschen eher auf ihre Arbeit fokussiert waren“, weiß Sören Fritze, „Corona hat da zu einer Trendwende geführt, so dass der Aspekt des Wohlfühlens im Zuhause wieder eine Rolle spielt. Die nicht mehr 40, sondern 70 Quadratmeter große Wohnung ist auch ein Refugium und nicht nur eine Übernachtungsmöglichkeit.“