Herdecke. Louis Marx ist 1874 zu einem der sechs Schulrepräsentanten an der evangelischen Volksschule gewählt worden. Das gefiel nicht allen Bürgern.
Auf der untersten Ebene, direkt an der Zeppelinstraße und mit einem eigenen kleinen Tor versehen, befindet sich seit 1887 der jüdische Teil des Friedhofs Wienberg/Zeppelinstraße. Dort finden sich insgesamt 16 Grabmäler aus der Zeit zwischen 1891 und 1938. Unter ihnen fällt besonders ein Grabmal ins Auge: Eine Amphore aus Diabas, ein früher häufig für Grabmale genutzter leicht grünlich schimmernder Stein, auf einem Sockel aus (natürlichem) Kalksandstein. Die Amphore zeigt Spuren der Verwitterung, ein Henkel ist bereits abgebrochen, die Inschrift ist kaum mehr zu entziffern. Es handelt sich um das Grabmal von Louis Marx (*22. 9. 1835 †24. 12. 1911) und seiner Ehefrau Rica, geborene Reifenberg (*7. 5. 1840 †23. 5. 1922).
Der Kaufmann Ludwig, genannt Louis Marx, Sohn von Moses Marx (1802), wurde in Kamen geboren. Nach Herdecke kam er als fast 30-jähriger Mann im Jahre 1864 durch seine Heirat mit Friederike (genannt Rica) Reifenberg. Sie war die jüngste Tochter von Samuel Reifenberg und seiner Frau Julie. Durch den frühen Tod ihres Vaters (1845) sowie des noch unverheirateten Halbbruders Joseph (1848) war sie Erbin der Manufakturwarenhandlung S. Reifenberg geworden. Samuel Reifenberg war bereits vor 1820 nach Herdecke gekommen, hatte hier einige Zeit als kaufmännischer Angestellter gearbeitet und dann recht erfolgreich selbst ein Geschäft gegründet. Schon bald erwarb er den „Treppkens Kotten“ an der Ecke Haupt-/Wetterstraße.
Die Wahl zum Schulrepräsentanten
Louis Marx führte ab 1864 das Geschäft S. Reifenberg über Jahrzehnte erfolgreich weiter und schuf ein ansehnliches Vermögen aus Immobilien und Kapital, während seine Frau zwischen 1867 und 1876 sechs Kinder bekam: Emil (1867), starb mit 13 Monaten, Ernst (1868) übernahm um 1900 das Geschäft. Hermann (1870) machte eine Ausbildung als Drogist/Apotheker und gründete eine Apotheke in Bochum. Die erste Tochter, Anna (1871), starb bereits nach vier Wochen. Der vierte Sohn, Walter (1872), starb am 16. Mai 1891 mit 18 Jahren. Seine Beerdigung war die erste Beerdigung auf dem jüdischen Teil des Wienberg-Friedhofs. Die jüngste Tochter, Henriette (1876), heiratete mit 20 Jahren den fast 20 Jahre älteren Kaufmann Isac Bendheim.
Die Eheleute Marx gehörten zu den Juden in Preußen, die mit Fug und Recht als ‚aufgeklärt‘ bezeichnet werden können und die aktiv ihre rechtliche Gleichstellung anstrebten. Zwar war Louis Marx in der kleinen Herdecker jüdischen Gemeinde aktiv, aber die erhaltenen Dokumente zeigen ihn als einen Mann, der sich für die Gleichstellung der Juden stark macht. So lässt er sich 1874 zu einem der sechs sogenannten Schulrepräsentanten an der evangelischen Volksschule wählen.
Als diese Wahl durch den Landrat von Hymmen in Hagen für nichtig erklärt wurde und der Herdecker Bürgermeister einen neuen Repräsentanten wählen ließ, widersetzte Marx sich dieser Ausgrenzung. Seine Beschwerde an den preußischen Kultusminister Falk hatte Erfolg. Begründung des Ministers: Da Marx von der Stadt Herdecke zur Schulsteuer veranlagt werde, habe er auch das Recht, zum Repräsentant der Eltern gewählt zu werden.
In Herdecke begraben
Auch auf einem anderen Gebiet wurde Louis Marx zum „Vorreiter“ für die Emanzipation der jüdischen Bürger in Preußen. In den 1890er Jahren wurde er mehrfach von der Herdecker Stadtverordnetenversammlung zum Schiedsmann für den 1. Bezirk der Stadt, der damals die Häuser Nr. 1 bis 131 umfasste, gewählt. Er war damit der erste jüdische Schiedsmann in Herdecke.
Louis Marx und seine Frau Rica starben in Wiesbaden. Diesen damals beliebten Kurort hatten sie sich für ihren Lebensabend ausgesucht. Beerdigen ließen sie sich aber in Herdecke. Ihr Lebensglück war beeinträchtigt durch den frühen Tod von drei Kindern. Rica Marx musste im Jahre 1920 auch noch den Tod ihres ältesten Sohnes Ernst, der das Geschäft in Herdecke übernommen und erfolgreich weitergeführt hatte, erleben.
Das Schicksal ihres Sohnes Hermann und Frau, ihrer Tochter Henriette und der Schwiegertochter Klara Marx, haben sie sich sicher nicht vorstellen können. Hermann Marx und seine Frau Helene wurden 1942 in Treblinka ermordet, Henriette Marx, beging am Abend vor ihrer Deportation im September 1942 Selbstmord, und Klara, die Ehefrau von Ernst Marx, wurde in Auschwitz ermordet. Kein Grabstein erinnert an diese Mitglieder der Familie von Louis und Rica Marx.