Herdecke. Die Grünen in Herdecke: Vor einem Jahr noch Spitzenkandidatin und Parteichefin, denkt Sarah R. Gerigk jetzt über den Rückzug aus dem Rat nach.

Kurz vor den letzten Worten bricht ihre Stimme dann doch noch, zeigt sich die innere Bewegtheit: Sarah Gerigk, vor einem Jahr noch Vize-Fraktionschefin und Co-Vorsitzende der Grünen in Herdecke, hält gerade ihre vielleicht letzte Rede vor dem Rat. Sagt sie selbst. Über Weihnachten will sie klären, ob sie weiter für jene Partei Rats-Politik macht, in die sie durch ihre Eltern hineingewachsen ist.

Den letzten Stein ins Rollen gebracht hat eine Ratsfrau der SPD. Genauer gesagt: eine ehemalige Ratsfrau der SPD. Pia Blothe hat im Oktober der SPD-Fraktion den Rücken gekehrt und sich politisch mit Nico Fischer zusammen getan. Der war bis dahin Einzelkämpfer für die PARTEI im Herdecker Rat. Mit Blothe gemeinsam bildet er aber nun eine Fraktion, und wegen der neuen Fraktion sind jetzt alle Ausschüsse neu von den Parteien besetzt worden: Alle Ausschüsse haben für die neue Fraktion einen Sitz mehr. Nicht mehr für den Hauptausschuss und den Verkehrsausschuss benannt: Sarah Gerigk.

In ihrer Erklärung im Rat spricht sie von einem „Scherbenhaufen innerparteilicher Auseinandersetzungen“ und „einem Klima an Vorwürfen“. Von der Aufbruchstimmung nur ein Jahr zuvor nach der Kommunalwahl sei nichts mehr geblieben. Über die Grenzen zur CDU und FDP hinweg habe es Verbindungen gegeben für weniger Parteipolitik und frischen Wind für Veränderungen. Wenig sei davon geblieben, übrigens auch bei der CDU, wo Julia Brunow binnen weniger Monate erst nicht mehr Fraktionsvorsitzende und dann nicht mehr Parteivorsitzende war.

Sarah Gerigk ist Ärztin am Herdecker Gemeinschaftskrankenhaus. Zu den innerparteilichen Streitigkeiten kam für sie die deutliche Mehrbelastung durch Coronabedingte Personalausfälle bei der Arbeit. Das habe die politische Basisarbeit erschwert. Doch statt Verständnis habe es Vorwürfe aus den grünen Reihen gegeben. Andreas Disselnkötter, Fraktionssprecher der Grünen, widerspricht: „Wir haben immer Verständnis gehabt für ihren Job.“ Bei der Aufstellung der Listen für die Neubesetzung der Ausschüsse aber habe sie sich „nicht zur Verfügung gestellt“.

Disselnkötter spricht von einem „sachlichen und harmonischen Austausch“ innerhalb der Fraktion bei der Umbesetzung der Ausschüsse. Damit verbunden gewesen sei „auch ein längst überfälliger Generationswechsel, etwa in Bezug auf Peter Gerigk.“ Denn Peter Gerigk, über Jahre Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat und Mit-Architekt der Jamaika-Koalition 2009, ist auch nicht mehr in den Verkehrsausschuss geschickt worden. Hier saß er nach der Kommunalwahl 2020 weiter als sachkundiger Bürger.

Streit um Fläche für Gewerbe

Im Mai hatte es einen Eklat in einer Ausschusssitzung gegeben. Für Sarah Gerigk stellt sich die Diskussion über ein mögliches Gewerbegebiet auf Bonsmanns Wiese so dar: „Ich sollte im Sinne einer Koalition für die Flächenversiegelung einer 3ha großen Wiese als Gewerbegebiet ohne entsprechende Ausgleichsflächen stimmen.“ Ihr und ihrem Vater Peter Gerigk schien dieser Preis für ein Bündnis von CDU, Grünen und FDP zu hoch. Ein Riss ging durch die Grünen im Ausschuss. Noch am Abend nach der Sitzung wurde nach Wegen gesucht, Peter Gerigk seinen Platz im Ausschuss zu nehmen.

Aber nicht nur die Grünen haben die Neubesetzung der Ausschüsse für Veränderungen genutzt. Auch die CDU wünscht den Rest der Ratsperiode mit einer geänderten Ausschusszuordnung. Julia Brunow, nicht mehr Vorsitzende von Partei und Fraktion, wurde nicht mehr für den Hauptausschuss benannt. Dieser Platz sei traditionell dem Parteivorsitz vorbehalten, heißt es in der CDU. Weil die neue Vorsitzende Doris Voeste aber kein Ratsmandat hat, sitzt nun ihr Stellvertreter Jan Torwesten im Hauptausschuss. Auch im Wirtschaftsförderungsausschuss war Julia Brunow nicht mehr gesetzt.

SPD reibt sich an neuer Fraktion

Anlass für die Neubesetzung der Ausschüsse nur ein Jahr nach den konstituierenden Sitzungen war der Schwenk von Pia Blothe an die Seite von Nico Fischer. Das jüngste Ratsmitglied der SPD hatte im Oktober erklärt, mit dem Vertreter der PARTEI im Herdecker Rat eine Fraktion zu gründen.

Bei der Sitzung des Rates jetzt trat Dr. Nadja Büteführ, Fraktionsvorsitzende der SPD, ans Mikrofon: „Wenig komisch“ habe sie den Übertritt und die Art und Weise der Verkündung empfunden, ließ sie Pia Blothe wissen. Das Wort „Mandatsklau“ wolle sie nicht bemühen, sagte Büteführ – und tat es damit doch.

Austritt und die mediale Umsetzung waren wohl auch schon Thema eines Telefonates zwischen Büteführ und Fischer, wie dieser in einem Statement berichtet. Fischer will sich den Schuh aber nicht anziehen: „Wenn jemand aus einer anderen Partei zu mir kommt, weil er oder sie sich dort nicht ernst genommen fühlt, dann zeige ich um so mehr, dass die Person mir wichtig ist.“

>>> Der Kommentar von Klaus Görzel: Begradigung

Ganz nebenbei ist eine Ära zu Ende gegangen: Peter Gerigk hat nach vielen Jahren in der Herdecker Politik seinen letzten Sitz in einem Ausschuss eingebüßt.

Wenn der jetzige Fraktionschef Andreas Disselnkötter von einem „längst überfälligen Generationswechsel“ spricht und Gerigks Namen nennt, ist das wenig charmant. Aber Disselnkötter scheint genervt.

Vor Jahren entzündeten sich an Peter Gerigk und seinem Stil schon einmal die innerparteilichen Auseinandersetzungen. Eine Spaltung der Grünen für den Rest der Ratsperiode war die Folge. Diesmal bleibt der Rest ungleich stärker.

Das jetzige Getöse haben die „neuen“ Grünen, viele sind erst seit der letzten Kommunalwahl so richtig aktiv,offenkundig einkalkuliert. Nicht nur Disselnkötter war es wohl leid.