Wetter. Letztlich konnte nicht einwandfrei geklärt werden, was wirklich an dem Tag vor vier Jahren geschah. Es stand Aussage gegen Aussage.

„Da bleiben zu viele Fragezeichen.“ – Im Fall des 28-Jährigen, der Ende 2017 eine Bekannte in seiner Wohnung in Wetter vergewaltigt haben sollte, stand es Aussage gegen Aussage. Nun wurde das Urteil vor dem Hagener Landgericht verkündet. Die 1. Große Strafkammer hielt sich an den Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Der Mann wurde freigesprochen.

„Heirat oder Anzeige“

Im Juli begann das Verfahren gegen den 28-Jährigen, der in der Zwischenzeit von Wetter wegzog. Ihm wurde zur Last gelegt, seine Bekannte, damals 19, kurz vor Weihnachten 2017 mit Gewalt zu sexuellen Handlungen gezwungen zu haben. Ein Vorwurf, den er vehement bestritt. Er sprach von einvernehmlichem Sex, von ihren Heiratsabsichten und seiner ablehnenden Haltung dazu, davon, dass sie ihn vielmehr bestohlen hätte und von einem Anruf mit drohendem Inhalt: „Heirat oder Anzeige.“ Auch legte er dem Gericht Screenshots von WhatsApp-Nachrichten vor, die von der jungen Frau stammen und seiner Entlastung dienen sollten.

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Am zweiten von insgesamt vier Verhandlungstagen wurde die Hauptzeugin gehört. Sie, die ihre Strafanzeige wenige Tage nach Erstattung zunächst zurückzog und erst später wieder ein Interesse an seiner Bestrafung offenbarte, bestätigte ihre Vorwürfe gegen den Angeklagten, schilderte Angst, Scham, Verzweiflung und den Umstand, dass sie noch heute unter den Folgen des Erlebnisses leide. Und sie versicherte, die besagten WhatsApp-Nachrichten keinesfalls verfasst zu haben. Wobei ihre Aussage an einigen Stellen nicht frei von Widersprüchen und Inkonstanten war (wir berichteten).

Die 1. Große Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Jörg Weber-Schmitz tat alles, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Unter anderem wurden etliche Zeugen gehört – die Gynäkologin der jungen Frau, ihre damaligen Freundinnen und Vertraute, eine Polizeibeamtin. Und doch blieben am Ende, wie Verteidiger Thorsten Merz in seinem Plädoyer treffend bemerkte, ganz viele Fragezeichen. Staatsanwältin Bettina Hirschberg listete die Auffälligkeiten in der Aussage der Hauptzeugin in ihrem Schlussvortrag auf.

So ging es unter anderem um die Frage, wann die heute 23-Jährige Strafanzeige erstattete, um die Länge eines Aufenthalts in Frankfurt nach dem Dezembertag, um die Begründung ihrer Motivation einer Rücknahme der Strafanzeige oder auch um Widersprüche mit Blick auf die Aussagen ihrer Freundinnen. Die Vertreterin der Anklage verwies auf den früheren Mitbewohner des Angeklagten, der Gespräche und Gelächter gehört haben wollte – nicht jedoch Schreie und Weinen. Auch sah sie mögliche Motive für eine Falschbelastung – die Heiratsabsichten der jungen Frau, ihre Gefühle für den 28-Jährigen oder auch seinen Vorwurf, sie habe ihn bestohlen. Es gebe Zweifel, welcher Schilderung hier gefolgt werden müsse.

Verteidiger Thorsten Merz
Verteidiger Thorsten Merz © Sylvia Mönnig

So wie Verteidiger Thorsten Merz beantragte sie, den Mann freizusprechen. Indes hatte Nebenklagevertreterin Ruth Marie Fischer keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten. Ihre unerfahrene Mandantin habe in der Situation große Angst gehabt, sei völlig alleine gewesen, habe sich später bei Rücknahme der Anzeige überfordert gefühlt und sowohl die Ärztin als auch die Freundinnen hätten sie nach dem Zwischenfall als völlig verstört und völlig aufgelöst beschrieben. „Das kann man, ehrlich gesagt, nur als Albtraum bezeichnen.“ Etwaige Widersprüche begründete sie mit dem Zeitablauf. Sie verwies zudem auf die dauerhaften Folgen für die 23-Jährige, der es nach wie vor schlecht gehe. Einen konkreten Antrag stellte die Rechtsanwältin der jungen Frau, die immer wieder ohne Erfolg gegen Tränen ankämpfte, nicht. Vielmehr erklärte sie zum Ende ihres Plädoyers: „Ich beantrage, zu entscheiden, was recht ist.“

Der Vorsitzende Richter Jörg Weber-Schmitz verkündete letztlich den Freispruch und betonte, dass es der Kammer trotz aller Mühe nicht gelungen sei, festzustellen, was sich ereignet habe. Er sprach von einem Aussage-gegen-Aussage-Fall.

„Das heißt nicht, dass die Zeugin lügt oder dass der Angeklagte lügt.“ Aber die Angaben der Zeugin, in der sich zahlreiche Inkonstanten befunden hätten, hätte nicht gereicht, um die Einlassung des Angeklagten zu widerlegen.

Vielmehr seien ihre Theatralik und der Wunsch einer Bestrafung über das normale Maß hinausgegangen. Die Frage, ob die WhatsApp-Nachrichten tatsächlich von ihr geschrieben worden seien, sei letztlich nicht mehr relevant gewesen.

Hier komme der Zweifelsgrundsatz zum Tragen. Obgleich sich die Kammer gewünscht hätte, klären zu können, wer hier die Wahrheit gesprochen habe.