Herdecke. Spezialisten heben tonnenschwere Maschinen aus der Tiefe: RWE setzt im Pumpspeicherkraftwerk Herdecke am Hengsteysee die aufwenige Revision fort.
In Zeiten der Energiewende hat der Strom gewissermaßen viele Väter. Ein wichtiger Faktor bei der Erzeugung ist nach Ansicht von RWE weiterhin die Pumpspeicher-Technik. Eines seiner insgesamt drei Kraftwerke dieser Art betreibt der Konzern seit 1930 in Herdecke am Hengsteysee und benannte es zunächst nach dem Pionier Arthur Koepchen. Seit 1989 laufen an diesem traditionsreichen Standort Maschinen der zweiten Generation. Momentan allerdings nicht, seit Mitte April ruht die Produktion wegen einer aufwendigen Revision.
Für die größte Generalüberholung seit mehr als 30 Jahren geht das Pumpspeicherkraftwerk Herdecke (PSW) für voraussichtlich zehn Monate vom Netz. Nach den mehrmonatigen Sanierungsarbeiten 2020 am Oberbecken im Ardeygebirge lässt RWE nun bei der Fortsetzung am Ufer zahlreiche Großkomponenten tief im Innern der Anlage überarbeiten. All das koste insgesamt mehr als 15 Millionen Euro.
Warnton vor Ziehbewegung
Ein Blick in den Abgrund. Im Erdgeschoss der Maschinenhalle schauen RWE-Angestellte und externe Fachleute (das Revisions-Team besteht aus 50 Mitarbeitern) in den 50 Meter tiefen Schacht. Ein knarzender Warnton erinnert an Zellenöffnungen im Gefängnis. Das Geräusch signalisiert in regelmäßigen Abständen: Unten tut sich was, Vorsicht. An 13 Stahlseilen hängt der Rotor des Generators. Gewicht 300 Tonnen. Genau so viel kann der oben befestigte Kran heben. Wieder das eindringliche Hupen. Millimeterweise kommt das schwerste Einzelteil der gesamten Anlage dem Hallendach näher. Geduld. Es dauert Stunden, ehe dieser XXL-Flaschenzug die sieben Meter lange Antriebsmaschine hinaufwuchtet.
Große Revision im Pumpspeicherkraftwerk von RWE in Herdecke
„Die Vorbereitungen waren sehr aufwendig, das ist alles genau ausgelegt“, erklärt Hubert Fabinski. Der stellvertretende Betriebsleiter des PSW Herdecke blickt in die Tiefe und nennt Details, auf die es bei den enormen Gewichten ankomme. Etwa auch beim bereits ausgebauten Kugelschieber, womöglich der größte Wasserhahn Europas als 180 Tonnen schwere und knapp 5,5 Meter große Zuflussregulierung.
In Revisionszeiten kann RWE anhand einzelner Teile die Pumpspeicher-Technik gut erläutern oder auf Besonderheiten hinweisen. „Jedes Werk dieser Art ist individuell an die örtlichen Begebenheiten angepasst“, sagt Fabinski. Wobei sich die Anforderungen geändert haben. Produzierte diese Anlage wie auch zuvor das seit 1986 unter Denkmalschutz stehende Koepchenwerk direkt nebenan lange vor allem nachts günstigen Strom, rauscht das Wasser heutzutage auch tagsüber durch das Rohr im Hang. „Die Einsatzlage hat sich verändert“, sagt Olaf Winter als zuständiger RWE-Sprecher für die konventionelle Erzeugungstechnik. „Das PSW Herdecke mit seiner schnellen Verfügbarkeit wird in Zeiten der Energiewende im Vergleich zu früher häufiger angefragt, die Intervalle der Stromeinspeisung sind aber deutlich kürzer.“
Spezialwagen für das Rohr im Hang
Das Außergewöhnliche dieser Anlage am Hengsteysee: die dreiteilige, 16 Meter lange und 500 Tonnen schwere Welle. Die besteht aus dem Generator, einem Zwischenstück und der Turbine. All dies und noch manches mehr bauen die Spezialisten Stück für Stück aus, schicken es in spezielle Werkstätten und montieren die sanierten Teile dann voraussichtlich ab Herbst wieder.
Ausgleich bei wetterbedingten Schwankungen
Da im Netz der Anteil an Solar- und Windstrom steige, werden laut Roger Miesen (Vorstandsvorsitzender der RWE Generation SE) flexible Energiespeicher zum Ausgleich bei wetterbedingten Schwankungen immer wichtiger. „Unser Pumpspeicherkraftwerk in Herdecke unterstützt die Versorgungssicherheit, indem es Energie bei Stromüberschuss einspeichert und bei Bedarf wieder bereitstellt. Wir machen die Anlage fit für die Zukunft“, so Miesen.
Gespannt sind die Mitarbeiter auf den Zustand der rund 400 Meter langen Verbindung zum Speicherbecken. Für neue Beschichtungen und zwecks Sanierung dieses Druckstollens im Hang baut RWE einen Sonderwagen, damit Fachleute in dem 4,75 hohen Rohr Ausbesserungen vornehmen können.
„Bisher läuft Teil zwei der Revision gut, obwohl wir hier auf dem Gelände wenig Platz etwa zum Abstellen von Containern haben und natürlich Corona viele Anpassungen erforderlich macht“, berichtet Fabinski, als das knarzende Warnsignal wieder ertönt. Geduld ist gefragt. Wohl bis zum Frühjahr 2022.