Wetter. Earth Music in Wetter: Kulturschaffende und Veranstaltungstechniker wie Günter Erdmann leiden besonders unter Corona. Ein zäher Kampf auch 2021.

Mitunter lässt sich unnötigerweise fast schon eine Art Wettbewerb ausmachen, welche Branche nun zu den größten Verlierern im Corona-Zeitalter zählt. Sicher ist: Kulturschaffende und Veranstaltungstechniker gehören nicht zu den Gewinnern der Krise. Günter Erdmann kann das bestätigen. Über sein Unternehmen Earth Music lockt er normalerweise viele Künstler zu Konzerten nach Wetter. In seiner Halle an der Reme-Straße 14 im Schöntal erklang aber der letzte Akkord am 6. März 2020. Anfragen zu Ton- und Videoproduktionen seither? Weitgehend Fehlanzeige.

Seit mehr als einem Jahr kämpft Günter Erdmann um das berufliche Überleben. Eine harte Zeit. Aufgeben? „Das Wort existiert bei mir nicht. Mein Leben steckt in dieser Firma.“ Im März 2020 dachte „ich noch naiv wie ein Greenhorn bei Karl May“, dass sich das Thema Corona plus Folgen in drei Monaten erledigt habe. Logisch, dass er für das vorerst letzte Konzert in der gut besuchten Earth-Music-Halle mit Stammgast Pat McManus ein Hygienekonzept entwickelt und umgesetzt hatte. „Es geht ja auch um Verantwortung und Respekt den Mitmenschen gegenüber, der fehlt mir seit Monaten an anderen Stellen.“

Neun geplante Konzerte musste der 65-Jährige 2020 absagen. Auch für 2021 hatte Erdmann Termine mit einigen Bands und international bekannten Musikern vereinbart, ehe er alle Bemühungen stoppte. „Es wird auf unbestimmte Zeit keine Auftritte in der Earth-Music-Halle geben. Ich setze hier auf eine Wohnzimmeratmosphäre und will nicht, dass Abstandsregeln, Masken und andere Corona-Vorgaben einen gemütlichen Abend dominieren. Das wäre ja eine Art Mini-Gefängnis.“ Pessimistisch klingt er, wenn er über den Rest des Jahres spricht. „Die fehlende Perspektive, das ist das Schlimme. Ich weiß nicht, worauf ich hinarbeiten soll. Mir ist ja der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Das macht einen auch psychisch kaputt.“

Immerhin erhalte der Wetteraner Zuspruch auch von auswärtigen Gästen. Kürzlich sagte ihm ein Berliner, dass er die Kulturstunden im Schöntal und das Wiedersehen mit Gleichgesinnten (etwa auch aus Frankfurt) vermisse.

Seit März 1980 ist Erdmann selbstständig, Einnahmen über seine Firma plante er auch für seine Rente ein. Die Geschäfte liefen dank vielfacher Vernetzungen (er arbeitete früher beispielsweise für eine Lautstärker-Firma) über Jahre gut. Nun muss er mit Geld jonglieren, um laufende Kosten abzudecken. Womöglich zu Lasten seiner Vorsorge für den Ruhestand. Und die staatliche Unterstützung? „Im Dezember haben mein Steuerberater und ich zuletzt einen Antrag dazu eingereicht. Es gab kurz darauf die Bestätigung, dass dieser eingegangen sei und die Bearbeitung ein paar Tage dauern würde. Seither ist nichts passiert.“ Entsprechend kritisch äußert er sich über politisch Verantwortliche, die ihn ratlos und misstrauisch machen. „Wenn ich dann noch höre, dass sich manche am Leid anderer bereichern, enttäuscht mich das maßlos. Das sehen viele aus meiner Branche auch so.“

Auch gewohnte Anfragen zur Veranstaltungstechnik („Mit meinem Licht- und Ton-Equipment könnte ich die Dortmunder Westfalenhalle ausstatten“) bleiben aus. Beschäftigt er sich sonst mit intensiven Planungen für Messen, Tagungen oder Präsentationen, gehen selbst von treuen Kunden seit Monaten kaum noch Aufträge ein. Dabei hatte der Dienstleister erst kurz vor Ausbruch der Pandemie eine bemerkenswerte Summe in neue Gerätschaften investiert und seine Anlagen mit Reparaturen auf aktuellen Stand gebracht.

Zeit für Eigenkompositionen

Das Jahr 2021 könne er beruflich wohl weitgehend ebenso streichen wie die vorigen Corona-Monate. Nur ‘rumsitzen und abwarten passt aber nicht zu Günter Erdmann. Also begann der studierte Musiker, der früher in einigen Bands aktiv war und Stücke für andere oder auch für Filme schrieb, wieder mit Eigenkompositionen. Demnächst erscheine ein neues Album. „Es ist alles fertig.“ Noch aber laufen Verhandlungen mit einem Verlag.

Eine CD-Produktion als One-Man-Show: Der 65-Jährige schrieb alles selbst, spielte jedes Instrument und sang jeden Text. Dabei spürte er seine „feinfühlige, sensible künstlerische Ader. Die Lieder spiegeln meine Lebenssituation wider, sie kommen aus dem Herzen.“ Logisch, dass Corona auch mal metaphorisch in seinen englischen Texten (Erdmann lebte und arbeitete einst vier Jahre in Großbritannien) auftaucht. Wobei er nicht platt über die Pandemie-Auswirkungen jammern wolle, daher erzähle er auch Lustiges. „Manches ist mir beim Zähneputzen eingefallen. Für mich ist die Musik ein Ventil: Wenn ich im Studio sitze und produziere, sprudeln die Ideen. Dann vergesse ich schon mal die Zeit.“

Nichts los auf der Bühne in der Schöntal-Halle: Veranstaltungstechniker wie Günter Erdmann  leiden besonders unter der Corona-Krise
Nichts los auf der Bühne in der Schöntal-Halle: Veranstaltungstechniker wie Günter Erdmann leiden besonders unter der Corona-Krise © Unbekannt | Steffen Gerber

Erdmann bezeichnet sich selbst als Stehaufmännchen. Und an die Rente denke er längst noch nicht. Er kann sich auch noch über einen (seltenen) Auftrag freuen: Der Betriebsrat eines großen Unternehmens hatte in der vergangenen Woche die Earth-Musik-Halle gebucht, um von dort die Sitzung digital für Mitarbeiter ausstrahlen zu können. Ein Hoffnungsschimmer. „Ich möchte doch nur mein normales Leben zurück und für mein Geld ordnungsgemäß arbeiten.“

Der 65-Jährige wolle positiv bleiben, es werde schon irgendwie weiter gehen. Zumal er kein Steigerungspotenzial mehr sehe, wie sich die Corona-Situation für ihn und seine Branche noch verschlimmern könnte. Oder wie er es in einem seiner neuen Lieder formuliert: „Ich stehe im Eisregen, man fühlt sich allein gelassen.“