Wetter. Mehr als ein halbes Jahrhundert läuft schon kein Film mehr im ehemaligen Corso-Kino in Wetter. Und doch gibt es jetzt was zu entdecken.

Nach einer Karl-May-Verfilmung lief im Corso-Kino an der Kaiserstraße zum letzten Mal der Vorhang zusammen: „Unter Geiern“ hieß der Film, der Weihnachten 1966 den Schlusspunkt unter ein gutes halbes Jahrhundert Kino-Geschichte in der Kleinstadt setzte. Aber diese Geschichte ist besonders großartig dokumentiert. Auf 58 Seiten hat Friedrich Wilhelm Entrop die ersten vier Jahrzehnte der Corso-Lichtspiele ausgebreitet. Für den Herdecker Kino-Historiker Uli Weishaupt ist die Wiederentdeckung der Dokumentation „ein Lichtblick in dieser trüben Zeit.“ Und auch ohne Corona hätte sein Herz bei diesem Fund sicher einen Hüpfer getan.

Hobby-Heimatforscher Herbert Sabiers aus Wetter hatte den Herdecker Kinokenner auf die Spur von Karl-Heinz Gras gelenkt. Der Vater von Gras war Kinoleiter im Corso und später sogar Inhaber. Aus seinem Nachlass auch stammt die Chronik der Corso-Lichtspiele in Wetter, verfasst zum 40. Geburtstag im Jahre 1952 von Friedrich Wilhelm Entrop. Dieser war Redakteur bei der „Wetterschen Zeitung“ und schrieb seit 1923 wöchentlich Filmkritiken. „Für meine Frau Emmy Kamberg in Wetter“, lautet die Widmung auf dem Titel der Chronik, die Kinobetreiber Paul Kamberg bei Entrop in Auftrag gegeben hatte. Dabei war die Familie Kamberg durchaus nicht immer erfreut von den Filmkritiken: „Sie haben mir mal wieder das Geschäft verdorben“, musste sich der Kritiker mal anhören.

18 Seiten sind der allgemeinen Filmgeschichte gewidmet, 40 zeichnen die Geschichte des Familienbetriebs Kamberg nach. Bei den Eheleuten Albert und Anna Kamberg geht es los, die am 30. März 1912 im ehemaligen Kaiser-Saal der Gaststätte Overbeck an der Kaiserstraße 60 (alt) ein „Lichtspiel-Theater“ eröffneten. Und „Schriftleiter“ Friedrich Wilhelm Entrop endet im Oktober 1952. Da ist Paul Kamberg bei einem Autounfall ums Leben gekommen, seine Frau Emmy Kamberg Inhaberin und Edmund Gras Geschäftsführer im Corso.

Bühne fürs Gymnasium

Albert und Anna Kamberg, Inhaber der Corso Lichtspiele in Wetter von 1912 bis 1946 in einer Aufnahme vermutlich von 1912.
Albert und Anna Kamberg, Inhaber der Corso Lichtspiele in Wetter von 1912 bis 1946 in einer Aufnahme vermutlich von 1912. © WP | Sammlung Familie Gras

Auf einen Rutsch hat Uli Weishaupt die maschinengeschriebene Mappe gelesen. „Ich habe sie in einer Nacht verschlungen; für mich als Hobbyhistoriker mit dem Schwerpunkt Kinogeschichte ist das so spannend wie ein Krimi“, schrieb Weishaupt im vorigen November zum 85. Geburtstag von Karl-Heinz Gras. Spannend ist die Lektüre für den heutigen Herdecker aber auch, weil sie ihn in seine eigene Jugend zurück führt. Er war einer der wenigen Schüler, die von 1958 bis 1967 täglich mit dem Zug von Hagen nach Wetter pendelten. Auf dem Schulweg vom Bahnhof zum damals noch am See gelegenen Gymnasium ging’s erst an der Lichtburg vorbei - und mit einem kleinen Umweg auch am Corso.

„Einmal im Jahr besuchten wir vormittags eine Schülervorstellung im Corso“, erinnert sich Uli Weishaupt. Stets waren das so genannte Kulturfilme. Besonders beeindruckt hat ihn Goethes Faust mit Will Quadflieg. Auch an eine schulische Weihnachtsfeier mit Schulchor und Schulorchester auf der Corso-Bühne kann er sich erinnern.

Gelegentlich ist Uli Weishaupt damals noch von Hagen aus abends mit Freunden ins Kino nach Wetter gekommen und hat sich Filme angesehen, „die ich so gut fand, dass ich sie mit der Clique noch mal erleben wollte.“ Es gab aber auch noch andere Motive für einen Kinoabend: „Besonders begehrt waren immer die Plätze in der Loge, weil man dort unauffällig flirten konnte“, schmunzelt er. Lang ist es her, dass „Unter Geiern“ im Corso lief. Dabei ist das Gebäude den Tieren treu geblieben. Heute gibt es hier Zoo-Bedarf, und nicht nur der Treppenaufgang von der Kaiserstraße hoch erinnert an die alten Kino-Zeiten.

>>>Herdecker Kinohistoriker spricht von „Sensationsfund“

„Nur ganz wenige ältere Filmtheater verfügen über eine Chronik“, schreibt Friedrich Wilhelm Entrop in seiner Dokumentation über 40 Jahre Corso-Kino in Wetter von 1952. Und Uli Weishaupt, Kinohistoriker heute aus Herdecke, gibt ihm beinahe sieben Jahrzehnte später Recht: „Welche Kleinstadt hat schon ihre Kino-Geschichte als Teil ihrer Kulturgeschichte aufgearbeitet“, fragt Weishaupt angesichts dieses „Sensationsfundes.“

Weishaupt, der bereits die Geschichte von fünf Hagener Kinos und vom Herdecker Onikon veröffentlich hat, weiß: Nur wenige Großstädte haben bisher ihre Kino-Geschichte nacherzählen lassen. Die Verfasser seien meist Hochschullehrer, die ihre Studenten in die Archive geschickt hätten, um in alten Zeitungsbänden zu wühlen. Hier aber sei ein zeitgenössischer Zeitungsredakteur der Verfasser - mit absolut vorzeigbarem Ergebnis: „Ich kenne keine Kino-Chronik, die so gut recherchiert und auf so hohem Niveau formuliert ist wie Ihre Corso-Chronik“, schreibt Weishaupt an Karl-Heinz Gras, Sohn des letzten Corso-Inhabers Edmund Gras. Entrop selbst hängt seine Chronik hoch auf: „Man kann die Gegenwart nur begreifen, wenn man die Vergangenheit kennt.“ Da passt es, dass Weishaupt und Gras die Mappe nach der Auswertung dem Stadtarchiv in Wetter zur Verfügung stellen wollen.

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