Wetter/Hagen. Mit einem Schuss hat sich ein Polizist in Wetter gegen einen Messerangriff gewehrt. Vor Gericht zeigt sich: Der Einsatz hinterlässt tiefe Spuren.

Ein Kampf auf Leben und Tod: Anders kann das, was ein Polizist und seine Kollegin in einem vermeintlich harmlosen Einsatz wegen einer Ruhestörung in Wetter erfahren mussten, nicht genannt werden. Im Verfahren gegen den Mann, der offenbar plötzlich zwei Messer in der Hand hielt und für den es erneut um eine Unterbringung in der Psychiatrie geht, sagten die beiden betroffenen Beamten nun vor dem Hagener Schwurgericht aus.

Das Erlebte hat Spuren hinterlassen. Der 50-Jährige strahlt eine ruhige Gelassenheit aus, er ist, das verrät der erste Blick, alles andere als zart besaitet. Und doch setzte ihm der Gang in den Zeugenstand zu, und je näher der Moment kam, in dem es um den lebensbedrohlichen Zwischenfall in der Nacht auf den 16. Mai in einer Wohnung in der Gartenstraße ging, desto größer wurde seine Anspannung. So groß, dass er irgendwann um Fassung rang, eine kurze Unterbrechung und einen Schluck Wasser benötigte, bevor er wieder reden konnte.

Er sprach von diesem Bauchgefühl, das er gehabt habe, „so ein komisches Gefühl“, als sie in der Nacht zum zweiten Mal ausrücken mussten, weil der 58-jährige Beschuldigte aus Wetter die Nachtruhe störte. Sein Instinkt gab ihm auf traurige Weise Recht. Nachdem er die Wohnungstür eintreten musste und mit seiner Kollegin nach dem Mann suchte, wurde die Lage aus dem Nichts brandgefährlich. Mit zwei großen Messern stürmte der plötzlich auf ihn zu. Der Kampf begann und endete schließlich damit, dass er, nach mehreren Androhungen und einem „Runterzählen“ einen Schuss in das Bein des Angreifers abgeben musste – um sein eigenes Leben zu retten.

An den Gedanken „Er oder ich“ erinnerte er sich im Zeugenstand und fügte wenig später hinzu: „Ich wollte ihn nicht erschießen oder überhaupt verletzen.“ Körperlich betrachtet, trug der 50-Jährige nur leichtere Blessuren davon. Viel schwerer wiegen die seelischen Folgen – schlaflose Nächte und Flashbacks oder auch wegen der bedrückenden Erinnerungen die Notwendigkeit, Spind und Waffenfach zu tauschen. „Die erste Zeit war echt mies.“ Und dabei scheint es noch nicht einmal die erfahrene Todesangst zu sein, die ihn so mitnimmt. Es sei der Umstand, dass ihn jemand dazu gebracht habe, auf ihn zu schießen. Zudem leidet auch seine Familie. Die Angst ist für die Angehörigen nun ständiger Begleiter.

Der Beschuldigte schweigt meist

Auch bei seiner Kollegin ist die Betroffenheit groß, der Schock sitzt tief. So tief, dass sich die 25-Jährige an einige Details der Tatnacht nicht erinnern kann . Das sei eine recht belastende Situation gewesen. „Die Anspannung bleibt“, gibt sie zu und erklärt, dass Ruhestörungen seitdem der blanke Horror für sie seien. Und sie erklärt, therapeutische Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Der Mann, der verantwortlich für die Traumatisierung beider sein soll, schwieg im Wesentlichen. Nur einmal meldete er sich zu Wort, zitierte einen Paragraphen und sprach von seinem Wohnungsrecht.

Schreckmomente auch in Aachen

Der 58-Jährige, offenbar ein begnadeter Klavierspieler, der seine Nachbarn oft mit Musik erfreute, wurde bereits in der Vergangenheit auffällig, landete immer wieder in der Psychiatrie und wurde dort auch 1996 vorläufig untergebracht. Er leidet, so eine frühere Diagnose, unter paranoider Schizophrenie und war schon damals nicht schuldfähig. Immer wieder griff er seine Eltern, die er im Wahn als Feinde sah, brutal an, verschonte aber auch Taxi-Fahrer nicht. Zuletzt attackierte er seine Mutter so massiv, dass die ältere Dame in Todesangst mit Hilfe mehrerer Zeuginnen aus dem Fenster flüchtete. Diese Tat war Anlass für die Anordnung der Unterbringung in der Psychiatrie, aus der er aber irgendwann wieder entlassen werden konnte. In diesem Jahr verschlimmerte sich der Zustand des Wetteraners dann jedoch offenbar wieder. Etwa vier Wochen vor dem Zwischenfall in Wetter sorgte er in Aachen für Schreckmomente.

Ein Passant, der nur auf ihn zuging, um sein Haus zu betreten, wirkte augenscheinlich so bedrohlich auf den 58-Jährigen, dass der schon da ein Messer zückte. Glückliche Fügung: Zufällig stand ein Streifenwagen in der Nähe. Die Beamten beobachteten den Vorfall, griffen sofort ein und verhinderten damit vielleicht Schlimmeres. Danach verbrachte der Wetteraner einige Tage in einer Aachener Klinik. Danach kehrte er zurück, und es kam zu den Ereignissen in der Mai-Nacht. Im aktuellen Verfahren soll nun entschieden werden, ob der Beschuldigte nach wie vor schuldunfähig ist und ob er erneut untergebracht werden muss. Dafür sind weitere Verhandlungstage bis Anfang des neuen Jahres geplant.