Herdecke. Im letzten Teil der Gräber-Geschichten geht es um das Leben von Sozialdemokrat und Gewerkschafter Walter Freitag.
Auf dem Grabfeld oberhalb der Urnenmauer auf dem Friedhof an der Zeppelinstraße finden sich nur noch wenige Familiengräber. Ein Grabstein fällt beim Besuch des Friedhofs sofort ins Auge: Ein wuchtiger Stein aus Schwarz-Schwedisch, dem bis in die 1960er Jahre wichtigsten Grabsteinmaterial auf deutschen Friedhöfen. Versehen ist der Stein lediglich mit dem quer gesetzten Namenszug ‚Walter Freitag‘. Sofort stellt sich der Betrachter die Frage: Wer war dieser Mann, der hier mit seiner Unterschrift im Gedächtnis bleiben soll?
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Am 14. August 1889 als Sohn eines Maschinisten in Remscheid geboren, wuchs Walter Freitag in die Arbeiterbewegung hinein: Als gelernter Dreher wurde er 1907 Mitglied im Deutschen Metallarbeiterverband, 1908 trat er der SPD bei. Von Beginn an engagiert, übernahm er nach dem Ersten Weltkrieg wichtige Funktionen im Metallarbeiterverband (1920 Leiter des Bezirks Hagen) und in der Sozialdemokratischen Partei (1931 Vorsitzender des Unterbezirks Hagen- Schwelm). 1932 wurde er für die SPD Mitglied des Preußischen Landtags. Seit Mitte der 1920er Jahre wohnte Walter Freitag mit seiner Familie und der verwitweten Mutter im Haus Wetterstraße 59 in Herdecke, einem roten Backsteinhaus, im Volksmund ‚Löwenburg‘ genannt.
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Für die Nationalsozialisten gehörte Freitag zu den verhassten „Systempolitikern“, entsprechend gingen sie ab Mai 1933 gegen ihn vor: Mit dem Verbot der Gewerkschaften verlor er zuerst seine Arbeit, dann wurde er verhaftet. In den KZs Neusustrum im Emsland und Lichtenburg bei Torgau an der Elbe musste Walter Freitag schwere Misshandlungen ertragen. Am 31. August 1934 aufgrund der sogenannten Hindenburg-Amnestie aus dem KZ entlassen, jahrelang arbeitslos und mit Aufenthaltsverbot in Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis belegt, wohnte er mit der Familie in Dortmund. Erst während des Zweiten Weltkriegs fand er Arbeit beim Hoerder Hüttenverein. Nach Ende des Krieges gehörte Walter Freitag zu denen, die vom ersten Tag nach der Befreiung von den Nationalsozialisten am politischen Neuanfang arbeiteten.
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Aufgrund seiner Erfahrungen in der Weimarer Republik mit konkurrierenden Gewerkschaften setzte er jetzt auf ein völlig neues Gewerkschaftsmodell, der sogenannten Einheitsgewerkschaft. Schon im KZ Lichtenburg hat er mit Wilhelm Leuschner, Karl Mierendorf und anderen sozialdemokratischen Häftlingen über das Gewerkschaftsmodell in der Zeit nach den Nationalsozialisten diskutiert. Zusammen mit Gleichgesinnten betrieb er daher nicht die Wiedergründung des von den Nazis verbotenen Metallarbeiterverbandes, sondern die Gründung einer neuartigen Gewerkschaftsorganisation. Unter dem Namen ‚Industriegewerkschaft Metall‘ sollten sich alle in der Metallindustrie beschäftigten Arbeiter organisieren, unabhängig von ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung.
Mitglied im ersten Bundestag
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Das neue Gewerkschaftsmodell setzte sich weitgehend durch, so dass 1949 tatsächlich der ‚Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)‘ als Dachverband der neuen Einheitsgewerkschaften, die in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen gegründet worden waren, gebildet werden konnte. Walter Freitag, seit 1948 IG Metall Vorsitzender, wurde stellvertretender Vorsitzender des DGB. Zuvor war er 1949 als SPD-Vertreter für Witten und den Ennepe-Ruhr-Kreis in den ersten deutschen Bundestag gewählt worden. Walter Freitag war damit einer der wichtigsten Gewerkschaftler Deutschlands. Sein Name bleibt auf immer mit der Montanmitbestimmung verknüpft. Er verschaffte der Arbeitnehmerschaft der Eisen- und Stahl-Industrie gegenüber der Militärregierung Gehör. 1950/51 war er maßgeblich an der Verteidigung der gerade erst gewonnen Montanmitbestimmung gegen die Regierung und die in ihre alte Position zurückgekehrte Unternehmerschaft beteiligt. Von 1952 bis 1956 wurde er als Nachfolger von Christian Fette zum Bundesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt.
Walter Freitag wohnte nach dem Krieg bis zu seinem frühen Tod am 7. Juni 1958 im Alter von 68 Jahren wieder in der Wetterstraße Nr. 59, in dem Haus, das er 1933 gekauft hatte und das ihm die Nationalsozialisten 1933 sofort weggenommen hatten. In Herdecke wurde vor einigen Jahren eine Straße in Erinnerung an den Gewerkschaftler und Sozialdemokraten aus Herdecke benannt, die ausgebaute ehemalige Ladestraße unmittelbar hinter dem Bahnhof. Die Informationen am Namensschild der ‚Walter-Freitag-Straße‘ enthält leider keinen Hinweis auf seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten.