Herdecke. Das Schicksal des 16-Jährigen Wasil Sowtschuk steht beispielhaft für viele Opfer des NS-Regimes, die in Herdecke zu Tode kamen.
Oberhalb der Urnenmauer des Friedhofs an der Zeppelinstraße befinden sich auf der linken Seite dieses heute weitgehend geräumten Friedhofbereichs (Grabfeld VI) zwei Ehrengrabfelder aus dem Zweiten Weltkrieg, einmal eine dreireihige Anlage und – ein Stück dahinter - eine weitere Reihe von gleichartig gestalteten Grabstätten . Alle Gräbe r sind - typisch für diese Ehrengrabfelder auf dem Friedhof – mit den gleichen Sandsteinplatten, Kissensteine genannt, versehen, auf denen die Namen der Toten und - soweit bekannt - das Todesdatums vermerkt sind.
Beiträge von früherem Geschichtslehrer
Im November geht es in der Lokalausgabe immer freitags um „Gräber und Geschichten“ .
Die Beiträge stammen vom früheren Geschichtslehrer Willi Creutzenberg aus Herdecke.
Die erste Folge galt Pastor Ravenschlag und seiner Frau, die zweite berichtete von den Juden in Wetter und Herdecke .
In der hinteren Reihe liegen die verstorbenen zivilen ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die in den Jahren des Zweiten Weltkriegs in Herdecke Zwangsarbeit leisten mussten. Der erste Stein in dieser Reihe markiert das Grab von Wasil Sowtschuk. Sein Schicksal soll beispielhaft für die hier ruhenden Opfer des Nationalsozialismus stehen, die in Herdecke zu Tode kamen.
Im Mannschaftslager untergebracht
Wasil Sowtschuk wurde am 5. Mai 1927 in Klitchyn (dt. Kulitschi) Kreis Shitomir/Ukraine geboren. Dort war er als Landarbeiter beschäftigt gewesen, bis er im Alter von gerade einmal 15 Jahren von der deutschen Besatzungsmacht wie Millionen anderer Menschen während des Zweiten Weltkriegs aus der Heimat nach Herdecke verschleppt wurde. Seit Dezember 1942 wurde er als Zwangsarbeiter bei der Ewald Dörken AG eingesetzt. Untergebracht war er im ‚Mannschaftslager für russische Zivilarbeiter‘, einem reinen Männerlager, auf dem Gelände der Firma Dörken.
Unter den Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern gab es aufgrund der Ideologie des Nationalsozialismus große rechtliche und soziale Unterschiede. So wurde zwischen zivilen Zwangsarbeitern und kriegsgefangenen Zwangsarbeitern unterschieden. Letztere waren in militärisch bewachten Lagern untergebracht, aber auch hier gab es Unterschiede. Die polnischen, später auch die französischen Kriegsgefangenen wurden nach einiger Zeit ‚zivilisiert‘, d.h. sie erhielten den Status von zivilen Zwangsarbeitern. Sowjetische Kriegsgefangene dagegen blieben bis zum Kriegsende in Lagern schwer bewacht.
Zivile Zwangsarbeiter/innen konnten sich in gewissem Umfang frei bewegen, erhielten eine – wenn auch geringe – Entlohnung. Damit konnten sie sich Lebensmittel oder Hygiene-Artikel kaufen, sofern diese keiner Zwangsbewirtschaftung unterworfen waren. Allerdings waren die zivilen Zwangsarbeitskräfte aus Polen und der Sowjetunion gegenüber solchen aus westeuropäischen Ländern wie Belgien, Niederlande und Frankreich stärker in ihrer Freiheit eingeschränkt. Während letztere i.d.R. in privaten Unterkünften wohnten, sich also außerhalb der Arbeit frei bewegen konnten und sogar zu besonderen Anlässen Heimaturlaub erhielten, mussten sowjetische Arbeitskräfte einen Aufnäher an ihrer Bekleidung mit der Aufschrift ‚OST‘ tragen und wurden lagermäßig mit starker Kontrolle untergebracht.
1250 Männer und Frauen zum Arbeitseinsatz
Während des Zweiten Weltkrieges kamen in Herdecke rund 1250 Männer und Frauen aus den von Deutschland besetzten Ländern zum Arbeitseinsatz. Von wenigen Ausnahmen abgesehen waren diese Menschen nicht freiwillig nach Herdecke gekommen, sondern unter Anwendung von Gewalt, sei es als Kriegsgefangener, sei es als Zivilist, aus ihrer Heimat verschleppt worden. Alle Industriebetriebe, alle landwirtschaftlichen Betriebe und die meisten Handwerksbetriebe in Herdecke bekamen solche Arbeitskräfte zugewiesen bzw. forderten sie sogar an. Summarische Aussagen über ihre Lebensverhältnisse in Herdecke sind kaum möglich, zu unterschiedlich war ihre durch Herkunft und rechtlichen Status bestimmte Situation in Nazi-Deutschland, aber auch die Behandlung durch ihre ‚Arbeitgeber‘ in Herdecke.
Dörken „humaner Arbeitgeber“
Wasil Sowtschuk hatte mit der Ewald Dörken AG einen im Vergleich zu anderen Unternehmen recht humanen Arbeitgeber gefunden. Die Ewald Dörken AG hat sich, soweit man es aus den Dokumenten schließen kann, gut um ihre Zwangsarbeiter gekümmert. Auch Unterbringung, Verpflegung und der Umgang mit den sowjetischen Zwangsarbeitern scheinen im Vergleich relativ menschlich gewesen zu sein. Trotzdem hatte Wasil Sowtschuk kein Glück. Gut sechs Monate nach seiner Ankunft in Herdecke war er tot. Er starb am 6. Juni 1943 im Allgemeinen Krankenhaus in Hagen, wohin er seitens der Firma zur Behandlung gebracht worden war, an tuberkulöser Gehirnhautentzündung, wie es in einem Schreiben der Dörken AG vom Dezember 1949 heißt.
20 Arbeitskräfte starben
Insgesamt starben in Herdecke im Verlauf des Krieges mindestens 20 ausländische zivile Arbeitskräfte. Unter den Opfern finden sich Frauen und Männer aus der Sowjetunion, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Polen. Das jüngste Opfer, der 6-jährige Viktor Tschapilowa, Sohn einer Zwangsarbeiterin, starb bei einem Bombenangriff im Februar 1945, das älteste Opfer, die 80-jährige Maria Mohalowitsch von der Krim, im März 1945.
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