Wetter/Witten/Herdecke. Der Natur an der Ruhr soll mehr Raum gegeben werden. In Wengern sind die Renaturierungsarbeiten abgeschlossen. In Gedern soll es 2020 weitergehen

Zurück zu mehr Natur, heißt es seit Juli 2018: Im Sommer vor einem Jahr erfolgte der Spatenstich zur Renaturierung eines 3,7 Kilometer langen Flussabschnitts am Ruhrufer in Wetter und Witten. Bagger entfernten steinige Uferbefestigungen und Schutt, hoben zudem in der Aue Boden aus. Dort konnten sich Tümpel bilden, ein neuer Lebensraum für Pflanzen und Tiere. In Wengern und Bommern sind die Maßnahmen – wie berichtet – abgeschlossen.

2020 sollen die Arbeiten auf der anderen Uferseite in Gedern sowie auf einer Fläche zwischen Nachtigallbrücke und dem Mühlengraben weitergehen. Das Gelände befindet sich zu großen Teilen auf Wittener Stadtgebiet. Einige Rinder, die dort weiden, gehören dem Unternehmer Peter Kasimir (Metall- und Kunststoffhandel Curef, Albringhausen).

In Gedern soll die Ruhr neben der B226 (zwischen dem Tierheim und dem Herdecker Haus Mallinckrodt) ab Juli 2020 renaturiert werden, dort sollen die angelegten Steinufer verschwinden. Projektleiter Jan Stute von der Bezirksregierung Arnsberg: „Die Ruhr wird dann auch zwei Nebenarme bekommen. Das ist gut für die Tier- und Pflanzenwelt.“ Uferzonen mit flachem Wasser sollen zu Kinderstuben für Fische werden, so Stute. „Denn im flachen Wasser fühlen sich Hechte nicht wohl.“ Dezernent Ulrich Detering von der Bezirksregierung sagt: „Wir würden mit diesen Maßnahmen gern im Frühjahr 2020 starten, wenn es bis dahin Geld dafür gibt.“ Bislang sei die Finanzierung noch nicht gesichert. Bisher kostete die Renaturierung in Wetter und Witten ca. 2,7 Millionen Euro, rund 1,5 Mio. kommen in Gedern nochmals hinzu.

„Wir entfesseln das Ruhrufer, gestalten es wieder natürlich“, erklärt Detering. So könnten sich wieder artenreiche Lebensräume entwickeln. Die 50 Hektar große Fläche, die in Wengern und Bommern bis zum Campingplatz Steger „bearbeitet“ wurde, gehört dem Land.

Der rechtliche Rahmen

Mit der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie soll es eine einheitliche Wasser-Politik in der EU geben. Ihr Zweck: Die Politik der Mitgliedsländer soll stärker auf eine nachhaltige und umweltverträgliche Wassernutzung ausgerichtet werden.

Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie soll sich die Ruhr auch zu einem naturnahen, artenreichen Fluss entwickeln. Große Teile der Aue bei Witten und Wetter gehören dem Land Nordrhein-Westfalen.

Die Planung liegt weiter beim Bommeraner Büro ViebahnSell, Experten für Landschaftsplanung, Gewässerentwicklung und Artenschutz. Bauherr ist – im Auftrag des Landes NRW – die Bezirksregierung Arnsberg. Das Bundesland ist Eigentümer der Fläche am Ruhrdeich. Projektpartner ist die Bezirksregierung Düsseldorf. In Gedern ist ein weiterer Aussichtspunkt geplant, der Interessierten einen Blick über die dortige Ruhraue ermöglichen soll. Bislang lief dort eine riesige Gasleitung der AVU quer durch die Ruhraue. Diplom-Biologe Michael Sell: „Die Leitung hat den Fluss eingeengt und wurde daher bereits tiefer gelegt.“

Schon ab 1780 hätten die Preußen den Lauf der Ruhr generalstabsmäßig geplant, erklärt Sell. „Auch bei uns hat man aus der Ruhr einen Kanal gemacht.“ Uferschwalben benötigen aber zum Beispiel zwei bis drei Meter hohe Lehmhänge, in denen sie brüten können und keine von Menschenhand gemachten Steinaufschüttungen am Ruhrufer. Auch Eisvögel brauchen lehmige Steilufer. Die Umgestaltungen an der Ruhr hätten den Eisvögeln bereits genutzt, so Sell. „Wir haben im Bommeraner Bereich mittlerweile sechs Paare.“ Im Naturschutzgebiet Bommern am linken Ruhrufer grasen 22 Rinder.

„Kinderstube“ für Fische

Auch flache Ruhruferbereiche seien wichtig – mit Schotter, den der Fluss ans Ufer spülen kann, nachdem die massiven Steineinfassungen vom Ufer entfernt wurden, so Sell. „Der neue, freie Uferbereich dient Fischen als Kinderstube.“ Zum Beispiel der Barbe. Der Bommeraner Biologe bedauert, dass es von diesem Flussfisch in der hiesigen Ruhr nicht mehr viele Exemplare gibt. Die neu angelegten Tümpel in der Ruhraue, Blänken genannt, werden vom Grund- und vom Ruhrhochwasser gespeist. Sell: „Die Blänken sind typisch für naturnahe Auen.“

Damit auch Passanten einen Blick auf die ökologischen Veränderungen werfen können, gibt es bereits zwei aufgeschüttete Aussichtspunkte am Ruhrtalradweg in Oberwengern und Wengern an der Elbsche-Mündung in die Ruhr. Die Stadtgrenze Wetter/Witten läuft mitten durch die Mündung des Baches, sagt Michael Sell. Vom Aussichtshügel aus hat man einen Blick auf das zu Bommern gehörende Naturschutzgebiet sowie auf die Auenlandschaft rechts und links des Ruhrufers.

Das Ziel für die Bezirksregierung Arnsberg: Laut Europäischer Wasserrahmenrichtlinie muss die Ruhr bis 2027 (chemisch und ökologisch) in einem naturnahen Zustand sein.