Wetter/Herdecke. Auch Getränkefachgroßhändler in Wetter und Herdecke bekommen das Kneipensterben zu spüren. Sie müssen sich neue Geschäftsmodelle überlegen.
Die alteingesessenen Getränkefachgroßhändler Hustert, Wenmakers und Schuchardt kennen die damaligen Kneipen in Wetter und Herdecke von Berufswegen. Sie haben unmittelbar erlebt, wie eine nach der anderen dichtgemacht hat. Einen Grund dafür sehen sie unter anderem in den gestiegenen Nebenkosten.
„Wenn einer eine Wirtschaft haben wollte, musste er sich bei der Brauerei bewerben. Da gab es Wartelisten“, erzählt Günter Wenmakers (76) von einer Zeit, als die Kneipen boomten. Vor 16 Jahren hat er seinen Getränkehandel an Jürgen Buschmann (60) übergeben, der seit 35 Jahren im Geschäft ist. Buschmann erinnert sich an die vielen Kneipen im Schöntal: „Mittags durften wir da gar nicht liefern, weil die Wirte so viel zu tun hatten. Die haben in der halben Stunde mehr verdient als an einem Abend.“
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Hohe Nebenkosten machen es den Wirten schwer
Heute seien die umsatzstarken Gaststätten, die damals von den Lieferanten hart umworben waren (auch auswärts), weg. Günter Wenmakers bezeichnet das Kneipensterben als ein „langsames“. Früher hätten die Eigentümer noch selbst hinterm Tresen gestanden, „aber irgendwann kam die Pacht“, so der 76-Jährige. Und die sei oft viel zu hoch und dem Markt nicht angepasst, sagt Jörg Hustert (64) von der W. Hustert GmbH in Herdecke. Er hat den Großhandel 1988 von seinem Vater übernommen.
Dazu kämen die hohen Nebenkosten wie Strom, Wasser, zweite Miete und die Krankenversicherung. Letztere ist für selbstständige Unternehmer wie Kneipiers es sind sehr teuer. Herdecke habe zudem die Besonderheit, dass der Gewerbesteuer-Hebesatz bundesweit einer der höchsten sei.
Und dann gab es ja noch das Rauchverbot: „Kneipe war immer schon am Rand der Wirtschaftlichkeit, und dann kommt noch so eine politische Entscheidung dazu“, so Jörg Hustert. Die Wirte konnten nicht mehr die nötigen Umsätze erzielen, sagt Helmut Schuchardt (76), der von 1968 bis 2002 einen Getränkehandel an der Schöntaler Straße betrieben hat.
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„Cocooning“ statt Kneipe
Des Weiteren habe sich das Ausgehverhalten geändert. „Wir hatten keine Handys. Wenn ich jemanden gesucht habe, bin ich in die Kneipe gegangen“, erzählt Günter Wenmakers. „Heute gibt es Cocooning“, spricht Jörg Hustert den aktuellen Trend an, sich vermehrt aus der Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben zurückzuziehen. In den Großstädten des Ruhrgebiets gebe es zwar noch mehr reine Bierkneipen, „aber da haben wir auch noch eine klassische Arbeiterschicht, das ist ein anderes Klientel“, erklärt Hustert.
Alle vier Herren beobachteten, dass der Bierabsatz immer weiter zurückging. Wenmakers: „Früher verbrauchte jede Kneipe in Wetter mindestens 20 Hektoliter im Monat.“ Jörg Hustert spricht sogar von 300 bis 400 Hektoliter im Jahr. Heute wären 120 bis 150 hl schon gut. „Wir haben das Geld mit Kneipen gemacht. Da fiel schon was weg“, sagt Günter Wenmakers.
Der niedrige Bierabsatz hat natürlich auch Auswirkungen auf die Händler: „Wir haben ein strukturelles Minus an Fassbier von 5 bis 6 Prozent pro Jahr bedingt durch den Verlust von Kneipen oder die Verlagerung auf andere Getränke“, erklärt Hustert. Er hat seinen Kundenstamm deshalb auf Hotels und Speisegastronomien erweitert. Etwa 120 Betriebe beliefert er im Ruhrgebiet.
Vermietung von Bierwagen als neues Geschäft
„Man muss heute über die Stadtgrenzen hinaus Geld verdienen“, sagt auch Jürgen Buschmann, der in Wetter selbst nur noch eine Handvoll Kunden hat. Sein Betrieb konzentriert sich zudem auf das Geschäft mit Festen und anderen Veranstaltungen. Er und Günter Wenmakers haben in Bierwagen investiert. „Früher haben wir die von den Brauereien gemietet“, erzählt Wenmakers. Mittlerweile gehören dem Großhandel 15 eigene solcher Bierwagen, die vermietet werden.
Zwar sei die Situation mit den Kneipen in Herdecke „ähnlich“, doch profitiere die Stadt von ihrer Lage und Struktur: „Das kann man mit Wetter nicht vergleichen“, so der ehemalige Getränkefachgroßhändler Helmut Schuchardt (76), der ebenfalls viele Kunden verloren hat. „Ich habe viele Gaststätten beliefert, die nach und nach bröckelten.“ 15 bis 16 seien es anfangs in Wetter gewesen, später nur noch fünf oder sechs. „Man konnte besser Privatleute beliefern“, ist seine Erfahrung.
Bei ihm war dann aber die Konkurrenz ein Problem. Als in der Nähe seines Geschäfts an der Schöntaler Straße ein Getränkemarkt eröffnet hat, habe er das deutlich gemerkt: „Die Leute gingen darüber. Dort war es bis zu 1,50 Euro billiger. Da wurde quasi zu meinem Einkaufspreis verkauft.“
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Ein weiteres Problem sei heute die Warenbeschaffung, sagt Jürgen Buschmann: „Es fehlen die Lkw-Fahrer, die früher von der Bundeswehr ausgebildet wurden.“ Dazu kommen lange Standzeiten bei den Brauereien. Bis zu zehn Stunden könne es dauern, bis der Fahrer die Ware laden kann. Vergütet werde die Wartezeit nicht.