Herdecke. Während am 11. September ein Bürgerdialog zur Stromtrasse ansteht, blicken Herdecker, Amprion und Behörden auf einen Gerichtstermin in Leipzig.

Nun herrscht Klarheit, aber es bleibt spannend: Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hat den Herdecker Einspruch gegen den Bau einer neuen 380-Kilovolt-Stromleitung durch das Stadtgebiet terminiert. Ist die Genehmigung der Bezirksregierung rechtens, darf Netzbetreiber Amprion die Arbeiten fortsetzen – oder fällt das Urteil zugunsten der klagenden Bürger aus? Diese Fragen will der zuständige Senat ab Donnerstag, 12. Dezember, klären.

Unterdessen lädt der Bürgerdialog Stromnetz (eine Initiative für den offenen und transparenten Austausch zwischen allen Beteiligten rund um den Ausbau der Leitungen) am Mittwoch, 11. September, zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung ein. Im Herdecker Kanu-Club an der Mühlenstraße erläutern laut Mitteilung Experten ab 19 Uhr am Beispiel der hier geplanten Leitung, wie die Stromnetzplanung für die Energiewende funktioniert. Moderiert wird die Veranstaltung, bei der es auch um den Ausstieg aus der Kohle- und Kernkraft sowie um Erneuerbare Energien geht, von Dr. Peter Ahmels vom Bürgerdialog Stromnetz. Das Publikum ist demnach eingeladen, mitzudiskutieren und Fragen zu stellen. Anmeldung erbeten: 030/ 2400867969 (oder per Mail: veranstaltungen@buergerdialog-stromnetz.de).

Zum Gerichtstermin hat die Lokalredaktion die Beteiligten um Stellungnahmen gebeten.

Der Anwalt der Kläger

Philipp Heinz vertritt bekanntlich die klagenden Bürger. Der Rechtsanwalt mit einer Kanzlei in Berlin steht auch im engen Austausch mit der Prozessgemeinschaft Herdecke unter Strom, der Bürgerinitiative Semberg und der Stadtverwaltung. „Wir gehen mit der Erwartung nach Leipzig, dass dort detailliert geprüft wird, ob die massive Belastung des Herdecker Stadtgebietes inklusive der Überspannung von Wohngebieten für die voraussichtlich nächsten 100 Jahre notwendig und rechtmäßig ist“, so Heinz. „Wir haben hieran nach wie vor erhebliche Zweifel.“

Anhörung vermutlich an einem einzigen Tag

Die Verfahrens-Beteiligten vermuten, dass die mündliche Verhandlung innerhalb eines Tages abgeschlossen werden kann.

Anwalt Heinz geht von einem „wohl intensiven Tag“ aus. Ob es sofort zu einem Urteil kommt, lasse sich nicht vorhersagen. „Denkbar wäre auch ein Beweisbeschluss und daraufhin ein weiterer Termin“, sagt der Jurist.

Die Verhandlung soll im großen Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichts stattfinden. Der ist laut Heinz „tatsächlich extrem groß und irrsinnig ausgestaltet“.

Aus Sicht der Kläger wurden demnach weder andere Möglichkeiten zum Trassenbau ausreichend ermittelt noch abgewogen. Der Fachanwalt erwähnt auch den Schutz vor elektromagnetischer Strahlung sowie die Erfordernis, nicht mehr in das Landschaftsbild und die Natur einzugreifen, als unbedingt erforderlich. Zudem gehe es darum, nicht mehr privaten Grund und Boden zu enteignen, als zwingend notwendig. „Wir sind gespannt, wie das Gericht dies sehen wird.“ Da der Netzbetreiber auf eigenes Risiko mit Bautätigkeiten begonnen hat, begrüßt Heinz, dass das Gericht verhältnismäßig zügig den Termin angesetzt hat. „Dass Amprion den Prozess nicht abwartet und einfach Fakten schafft, ist aus unserer Sicht sehr zu kritisieren.“

Die Stadt Herdecke

Auch Vertreter der Verwaltung wollen nach Leipzig fahren, auch wenn die Stadt Herdecke nicht unmittelbar an dem Verfahren beteiligt und am 12. Dezember hier vor Ort eine Ratssitzung angesetzt ist. Die laufenden Arbeiten von Amprion im Stadtgebiet führe der Netzbetreiber bekanntlich auf eigenes Risiko aus, da der Planfeststellungsbeschluss wirksam ist. „Aus Sicht der Stadtverwaltung ist es sehr bedauerlich, dass Amprion jetzt schon Fakten schafft und nicht das abschließende Urteil abwartet. Gerade vor dem Hintergrund des geforderten Moratoriums hätten wir es begrüßt, wenn der Netzbetreiber mit den derzeitigen Arbeiten an der Höchstspannungsleitung pausiert hätte.“ Sollte der Beschluss der Bezirksregierung vom Bundesverwaltungsgericht als nicht vollziehbar erklärt werden, müsste Amprion alles wieder zurückbauen.

Die Bezirksregierung

Laut Verfahrensleiter Werner Isermann ist der 12. Dezember auch für die Arnsberger Behörde „ein wichtiger und besonderer Termin, an dem man nicht jedes Jahr teilnehmen kann, denn die Bezirksregierung erhält nicht jedes Jahr eine Klage gegen einen Stromleitungs-Beschluss.“ Er rechnet mit Fragen zum Natur- oder Artenschutz, zur Alternativenprüfung oder zum Schutz der anwohnenden Menschen vor Immissionen. „In der Verhandlung wird es vor allen Dingen darauf ankommen, die angesprochenen Sachverhalte deutlich und erschöpfend zu klären bzw. zu beantworten. Zu den Erfolgsaussichten kann und sollte sicher niemand spekulieren.“

Dem Beschluss der Behörde im Sommer 2018 sei eine lange, intensive rechtliche und fachliche Prüfung unter Einbeziehung aller relevanten Fachbehörden voraus gegangen, die auch die Prüfung und gerechte Abwägung jeder erhobenen Einwendung umfasst habe. Isermann: „Zur Vorbereitung werden wir uns in alle in der Klage angesprochenen Sachverhalte intensiv einlesen.“

Der Netzbetreiber

„Unser Ziel ist, dass wir das Gericht von unserer inhaltlichen Auffassung überzeugen“, sagt Amprion-Sprecherin Mariella Raulf. „Wir gehen zuversichtlich in die mündliche Verhandlung.“ Der Netzbetreiber beschäftige sich intensiv mit den fachlichen Fragen des Verfahrens und kann vorige Erfahrungen am Bundesverwaltungsgericht nutzen.

Derweil hat Amprion Anwohner des Ortsteils Schnee nach eigenen Angaben frühzeitig darüber informiert, dass nun vorbereitende Maßnahmen für die Demontage der 220-kV-Leitung Koepchenwerk-Gersteinwerk (RWE-Dampfkraftwerk in im Werne) beginnen.

Nachfolgend stehen dann die ersten Arbeiten für den Neubau der 380-kV-Leitung Kruckel-Dauersberg an. Es könne einen erhöhten Baustellenverkehr geben. „Wir sind bemüht, die Auswirkungen der Bauarbeiten für die Anwohner so gering wie möglich zu halten“, sagt Raulf abschließend.