Herdecke. Angesichts des Kohleausstiegs sehen die Bürgerinitiative Semberg und Prozessgemeinschaft Herdecke unter Strom Klärungsbedarf zur 380-KV-Trasse,
Die Diskussionen zum umstrittenen Bau einer neuen 380-Kilovolt-Stromtrasse auch durch Herdecke gehen unvermindert weiter. Dabei könnten eigentlich alle Beteiligten auf das abschließende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig Ende 2019 oder im Laufe des Jahres 2020 warten. Doch Netzbetreiber Amprion ist nach der Genehmigung seitens der Bezirksregierung Arnsberg bereits seit Monaten auf dem Abschnitt zwischen Dortmund-Kruckel und Hagen-Garenfeld aktiv, um neue Leitungen zu installieren bzw. vorzubereiten. Derweil sammeln auch die Gegner Argumente, um das Vorhaben mit den vermeintlichen Monstermasten zu verhindern.
„Wir meinen es ernst!“ So steht es über einer Mitteilung der Bürgerinitiative (BI) Semberg und der Prozessgemeinschaft Herdecke unter Strom. Nach dem Hinweis auf die laufende Klage, die der beauftragte Fachanwalt 2018 mit der finanziellen Unterstützung zahlreicher Bürger einreichen konnte, kritisieren die beiden Gruppen, dass beim Neubau im vorhandenen Trassenraum aktuell geltende Abstandsflächen und Grenzwerte missachtet würden. Und das zu Lasten der Anwohner in Ende (Schnee, Schraberg und Semberg) sowie am Herrentisch. Alternative Trassenwege entlang der Autobahn würden ca. 2400 Bürger weniger belasten, wurden demnach aber aus diversen Gründen nicht weiter in Betracht gezogen. „Das ist in Deutschland so“, schreiben die Amprion-Gegner und verweisen auf den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung, die den Bau einer Stromtrasse durch Stadtgebiete im Sommer 2018 genehmigte.
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Nach dem Einreichen der Klage habe sich jedoch in der Stromerzeugung eine gravierende Änderung ergeben: der von der Bundesregierung beschlossene Kohleausstieg. „Nicht nur wir sind der Meinung, dass sich damit die Voraussetzungen für die Planung von Stromtrassen massiv verändert haben muss“, schreiben Vertreter der BI und der Prozessgemeinschaft, die miteinander kooperieren und sich oft austauschen. Sie verweisen auch auf das von Herdeckes Bürgermeisterin Katja Strass-Köster geforderte Moratorium, wonach diese neue Situation auch bei der hiesigen Trassenplanung Berücksichtigung finden sollte.
Strom dezentral erzeugen
Laut Mitteilung stellt sich „nämlich die berechtigte Frage, ob die durch Herdecke geplante Leitung nach dem Wegfall von mehreren tausend Megawatt erzeugtem Kohlestrom im nördlichen Ruhrgebiet (Hamm, Lünen, Gerstein, etc.) nach der Stilllegung von Kraftwerken überhaupt noch notwendig ist“. Die Bürgerinitiative und die Prozessgemeinschaft sehen die Zukunft der Energiegewinnung in der dezentralen Erzeugung des Stroms vor Ort. „Da sind sich Experten einig.“ Damit ließe sich auf lange und verlustreiche Überlandtransporte des Stroms verzichten. „Ein überdimensionaler Ausbau der Stromtrassen verhindert somit sogar den Kern der Energiewende, die Erzeugung vor Ort.“
Die beiden Herdecker Gruppierungen wollen es daher nach eigenen Angaben genau wissen und möchten nun ein Gutachten in Auftrag geben, das die vorgenannten Umstände neutral und seriös untersucht. „Hierzu konnten wir das renommierte Gutachtenbüro von Prof. Lorenz Jarass gewinnen“, heißt es. Dieser Professor ist demnach ein anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet und arbeitet u.a. für die europäische Kommission, die deutsche Bundesregierung und auch für die internationale Energieagentur. „Er ist damit über jeden Zweifel erhaben“, meinen die BI Semberg und die Prozessgemeinschaft.
Die Gegner der geplanten Stromtrasse erhoffen sich von diesem Gutachten Klarheit. Das kostet aber Geld. „Hierzu brauchen wir erneut die Gemeinschaft der Bürger“, schreiben die Semberger und die Prozessierenden. Insgesamt werden dafür rund 8500 Euro benötigt, um ein verwertbares Ergebnis zu erhalten. „Wie das Ergebnis aussieht, können wir nur ahnen. Um auf die Politik in Land und Bund einwirken zu können, brauchen wir aber ein solches Gutachten. Es geht um Herdecke, um Ihre Vermögenswerte in Immobilien und nicht zuletzt um Ihre Gesundheit“, lautet der Appell. „Daher helfen Sie uns, die erforderliche Summe zusammen zu bringen – gemeinsam können wir es schaffen!“
Kontakte und Konto
Wer die Bürgerinitiative und die Prozessgemeinschaft beim neuen Vorhaben finanziell unterstützen will, kann Geld unter dem Stichwort „Gutachten“ auf ein Konto bei der Sparkasse HagenHerdecke überweisen: BI Semberg e.V., DE83 4505 0001 0009 0123 94 (Namen und Adresse im Betreff angeben). Spender erhalten dann dafür eine Spendenquittung.
Wer Fragen hat, kann sich an die Bürgerinitiative (E-Mail: kommunikation@bi-semberg. de), das Ehepaar Heuer (Mail: w.g.heuer@gmx.de, Tel. 02330/ 9708005) oder Lars Strodmeyer (lars@strodmeyer.de, 01578/ 3338880) wenden.
Informationen zum Gutachter Jarass aus Wiesbaden und dessen Vita gibt es im Internet (www.jarass.com).
Reaktionen von Amprion und Minister
Unterdessen hat Amprion darauf verwiesen, dass der gesamte Trassenabschnitt Kruckel-Dauersberg Bestandteil des alle zwei Jahre aufgestellten Netzentwicklungsplanes sei und von der Bundesnetzagentur für alle weiteren Berechnungen bereits als existent vorausgesetzt werde. Dabei würden die jüngsten Analysen zeigen, dass die heutige Netzstruktur kaum ausreichen werde, um die Stromtransportaufgaben 2030 zu bewältigen.
Wie berichtet, hatte auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier eine Stellungnahme zur Moratoriums-Forderung aus Herdecke verfasst. Dabei hatte der CDU-Politiker einerseits Amprion in Sachen Netzausbau zugestimmt, da der aktuelle Entwurf weiterhin einen Bedarf zeige, um bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien am Stromverbrauch zu erreichen. Andererseits verwies er auf Prüfungen der Bundesnetzagentur. Die untersucht den Entwurf der Netzbetreiber daraufhin, ob dieser Bedarf bestehen bleibe, auch wenn die Kohlekapazität im Jahr 2035 auf Null steht.
Gelegenheit für Anregungen
Auch wenn ein Moratorium nicht zum vorgeschriebenen Ablauf innerhalb eines Planfeststellungsverfahrens (dieses ist für den Abschnitt mit Herdecke abgeschlossen und kann eigentlich nur vom Bundesverwaltungsgericht kassiert werden) gehört, signalisierte der Bundesminister somit immerhin, dass es weiterhin Gelegenheit für Anregungen oder Kritik zum Bedarf des Netzausbaus oder einzelner Leitungen geben könne.