Herdecke/Witten. Zwei Gesprächsrunden ohne Einigung: Der Streit um eine neue Psychiatrie in Witten geht auch für das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke weiter.

Als „konträr“ bezeichnete das Gesundheits-Ministerium des Landes Nordrhein-Westfalen die Vorstellungen, wie die psychiatrische Krankenhausversorgung im Ennepe-Ruhr-Kreis künftig laufen soll. Auf der einen Seite strebt das Evangelische Krankenhaus Witten auf seinem Gelände – wie berichtet – einen Neubau mit 79 stationären Plätzen plus Tagesklinik an. Andererseits wollen die bisherigen Pflichtversorger, das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und das Elisabeth-Krankenhaus Hattingen (sowie die Fliedner-Tagesklinik Gevelsberg), ihre Behandlungsmöglichkeiten erweitern. Eine Annäherung ist nach zwei Anhörungen aber nicht in Sicht.

„Wir sind dankbar, dass wir in der letzten Woche konstruktive Gespräche mit dem Ministerium sowie am Dienstag mit dem Gesundheitsamt des EN-Kreises führen konnten“, sagt Julia Chafik, Sprecherin des Gemeinschaftskrankenhauses (GKH). Dabei diskutierten die Beteiligten verschiedene Kompromisslösungen, demnach fand aber kein Vorschlag die Zustimmung aller. „Konsens unter allen Beteiligten ist der Umstand, dass es eines Ausbaus der erwachsenen-psychiatrischen Versorgungsstrukturen sowohl für die Bevölkerung der Stadt Witten als auch für die des gesamten Kreises bedarf“, so Chafik.

Daher habe das GKH gemeinsam mit der Fliedner-Klinik Gevelsberg und dem Krankenhaus Hattingen einen Konzeptvorschlag erarbeitet, der die psychiatrische Versorgung der Menschen in Witten und des gesamten Kreises kurzfristig und spürbar verbessere. „Neben einem Ausbau der vollstationären Bettenkapazitäten sieht dieser zudem den Ausbau der bestehenden tagesklinischen Kapazitäten in Witten und Gevelsberg vor“, so die GKH-Sprecherin. Darüber hinaus sei geplant, kurzfristig die stationsäquivalente Behandlung umzusetzen, die eine psychiatrische Versorgung im heimischen Wohnumfeld der Patienten vorsieht. Chafik: „Auch hier steht Witten im Mittelpunkt der Überlegungen.“

Das GKH ist „überzeugt, dass ein solches gemeinsames Konzept eine deutliche Verbesserung der psychiatrischen Versorgung für die Menschen im EN-Kreis und der Stadt Witten sicherstellt.“

Womöglich droht sogar juristische Auseinandersetzung

Wittens Krankenhaus-Geschäftsführer Bitter nannte den Vorstoß des Ministeriums, nur 50 vollstationäre Betten in Witten zu schaffen, einen „ausgewogenen Vergleichsvorschlag“, der eine juristische Auseinandersetzung vermeiden sollte. Leider hätten das GKH und das Hattinger Elisabeth-Krankenhaus dem Vorschlag nicht zugestimmt und „den stationären psychiatrischen Versorgungsbedarf in Witten generell in Frage gestellt“, so die WAZ.

Die Ärztliche Qualitätsgemeinschaft Witten (ÄQW), die rund 120 niedergelassene Ärzte vertritt, wirft den Gegnern „egoistisches Kirchturmdenken“ vor.

Das Krankenhaus in Westende wiederum will seine Tagesklinik, die das GKH „seit 20 Jahren mit hoher Akzeptanz in der Wittener Bevölkerung etabliert“ hat, nicht schließen. Hintergrund: Gäbe es einen Neubau in Witten, müsste an gleicher Stelle die bestehende Einrichtung in Herdecker Trägerschaft weichen. „Ein Vorschlag, der eine Schließung unserer Wittener Tagesklinik beinhaltet, ist für uns jedoch nicht tragbar“, erklärt Julia Chafik.

Schon vor einiger Zeit hatten sowohl das GKH als auch die Hattinger Klinik zwecks Ausweitung jeweils 40 vollstationäre Plätze an ihren Standorten sowie für die den Tageskliniken je 18 neue Behandlungsmöglichkeiten beantragt. Unter dem Strich wartet nun das Gemeinschaftskrankenhaus „hoffnungsvoll“ wie alle anderen Beteiligten auf eine Entscheidung des Ministeriums. Die soll dem Vernehmen nach noch im September fallen.

Vorschlag mit Hälfte der Plätze

Aus Wittener Sicht, so steht es im örtlichen Lokalteil der WAZ, sei ein anderer Kompromiss-Vorschlag am Veto von Hattingen und Herdecke gescheitert. Demnach hätten die Verwaltungsleiter der beiden Krankenhäuser einen Vorstoß des NRW-Gesundheitsministeriums abgelehnt, statt der geplanten 79 nur 50 vollstationäre Betten in Witten und 20 statt 21 Tagesklinikplätze neu zu schaffen. „Die Kompromissbereitschaft des EvK Witten wurde nicht akzeptiert“, sagt Werner Bitter, der das Evangelische Krankenhaus Witten (EvK) leitet, wo die neue Psychiatrie gebaut werden soll.

Diese Lösung sah dem Vernehmen nach auch vor, dass das GKH und die Klinik in Hattingen-Niederwenigern jeweils nur die Hälfte ihrer Ausweitungsplätze bekommen sollten. Wichtig dabei: Laut Bitter könne bei einer reduzierten Zahl neuer Psychiatrie-Betten in Witten die bestehende Tagesklinik der Herdecker auf dem Gelände des EvK erhalten bleiben. Doch auch das konnte die Verwaltungschefs der Nachbarkliniken offenbar nicht überzeugen.

Nun wachsen demnach die Sorgen in der größten Stadt des Ennepe-Ruhr-Kreises, dass die neue Psychiatrie gar nicht kommt. „Wir können nur hoffen, dass Witten jetzt nicht hinten runterfällt“, sagen Beobachter. Derweil berufen sich die Krankenhäuser in Herdecke und Hattingen mit ihren schon bestehenden psychiatrischen Abteilungen nicht zuletzt auf frühere Beschlüsse der EN-Gesundheitskonferenz. Sie bestehen auf einer Erweiterung der eigenen Kapazitäten und lehnen einen Neubau in Witten ab, schreibt die WAZ weiter.

Kritik und Frust in Witten

Die Entwicklungen kommentiert die Wittener Ärztevertretung mit großem Frust und aggressiver Kritik, da sie ihre Patienten immer wieder ins „schlecht erreichbare Krankenhaus nach Hattingen“ oder auch nach Westende schicken müssen.