Herdecke/Wetter. Die Flüchtlinge haben viel erlebt. Kunst kann ihnen bei der Verarbeitung helfen. Das Projekt „Heimat Europa“ will das möglich machen.
Ist es das Abendrot oder eine kriegerische Feuersbrunst? Beides könnte passen bei dem Bild von Thorsten Fuhlert, das wie eine Alltagsszene daher kommt und eine Schreckensvision sein könnte. Gerade steht es auf einer Staffelei in der Ruhrgalerie im Kulturhaus an der Herdecker Goethestraße. Aber es ist auch auf dem Flyer zur Ausstellungseröffnung für Sonntag zu finden. Ein Luftdrachen mit der Europaflagge nimmt direkt Bezug zum Projekttitel „Heimat Europa“. Die Nachbarschaftsnetzwerke in Herdecke und die Kunstakademie Wetter haben dafür zusammen gefunden.
Schon mehrfach hat es in Wetter und Herdecke städteübergreifende Projekte über die alte Heimat von Flüchtlingen, ihre Odyssee und ihr Ankommen in Deutschland gegeben. Diesmal sollten Menschen in Verbindung gebracht werden, die selbst Fluchtgeschichten zu erzählen haben oder Flüchtlingen gerne unter die Arme greifen. Das eine kann mit dem anderen zusammen fallen: Schon vor 2015 hat Deutschland Flüchtlinge aufgenommen, früher mal aus dem deutschen Osten, dann aus dem Osten Europas. Eigene Fluchterfahrungen können den Hilfswillen beflügeln. Die Phantasie beim Malen so wie so.
Galerieraum reicht nicht aus
Und doch: Gerade die Neuankömmlinge der letzten Jahre haben am Ende nicht ganz so viel zu Pinsel und Farbe gegriffen wie es ihnen möglich gemacht worden wäre. Andreas Disselnkötter von den Nachbarschaftsnetzwerken nennt dafür einen Grund: „In der Zeit des Ankommens steht das künstlerische Schaffen nicht an erster Stelle.“ Sehr nah ist die Erinnerung, sehr groß der Orientierungsbedarf in der neuen Welt. Einige Bilder haben die Zugewanderten aus dem Nahen Osten oder dem Norden Afrikas aber doch beigesteuert, und das Essen bei der Vernissage am Sonntag ab 11 Uhr liegt fest in ihrer Hand – gekocht wird arabisch.
Vor und neben der Kunst gab es Gespräche über diese „Heimat Europa“. „Wir wollten den Flüchtlingen Mittel zur Hand geben, die eigenen Traumata mit Hilfe der Kunst aufzuarbeiten“, hat Olga Vinnitskaya, Leiterin der Kunstakademie, vor einigen Wochen gesagt. Auch künftig will sie Mitgliedern der Nachbarschaftsnetzwerke kostenlos ihre Malkurse öffnen. Zur Ausstellungseröffnung kann sie sich über rund 50 gemalte Bilder freuen, dazu kommen Skulpturen und einige Fotos. Die künstlerische Ernte ist so reichhaltig, dass der eine große Raum der Ruhrgalerie gar nicht ausreicht. Im Flur zwischen Onikon und früherer Kulturverwaltung wie auch im Treppenhaus sind nun die Wände mit Bildern geschmückt.
Einsam in der Ferne
Gibt es so etwas wie einen roten Faden? Olga Vinnitskaya hebt zunächst die„absolute Vielfalt der eingesetzten Techniken“ hervor. Und doch lassen sich Bilder und Fotos und Skulpturen auch zu thematischen Grüppchen zusammen führen. Andreas Disselnkötter nennt Flucht und Verfolgung, den Rückblick auf die alte Heimat, das Ankommen in einer neuen Umgebung, die Einsamkeit oder den Traditionsverlust. Manchmal gebe es auch eine ironische Brechung.
Kommentar zur Flüchtlingspolitik
Bei einem Foto von Manuela Pavlovskis aus Wetter lohnt der Blick auf die Farben: Grün, Weiß und Rot ziehen sich über die Fläche, die Nationalfarben Italiens – das Grün steckt im Himmel, das Weiß in einem Rettungsring im Zentrum, das Rot verteilt sich über einen Strand aus Sand. Lampedusa ist das nicht. Wellenbrecher zeigen, dass die Aufnahme vom Atlantik stammt. Das Massensterben auf dem Mittelmeer hat Manuela Pavlovskis aufgewühlt: „Ich wollte eine schäumende See.“
Susan Schöne aus Dortmund setzt dem eine große Leichtigkeit gegenüber. Sie hat auf eine quadratische Fläche Gesichter gemalt von Menschen aus vieler Herren Länder. In der Mitte ist ein kreisrundes Loch – Platz für die Besucher, sich unter all diese Menschen zu mischen, als einer von vielen, als einer von vielen Verschiedenen.