Wetter/Herdecke. . In der Kunstakademie beschäftigen sich Flüchtlinge und Malschüler mit der gemeinsamen Heimat Europa - Vortrag an Pfingsten, Ausstellung im Herbst
Die Wochen und Monate der Flucht liegen schon ein paar Jahre zurück. Und doch sind die Bilder nicht aus dem Kopf zu kriegen, so sehr die Geflohenen auch versuchen, ihre neue „Heimat Europa“ anzunehmen. Heimat Europa heißt ein Projekt, für das sich die Kunstakademie Wetter und die beiden Nachbarschaftsnetzwerke in Herdecke zusammen getan haben. Im September soll es eine große Ausstellung geben. Angelaufen ist das Projekt aber bereits: In der Akademie in Haus Hove zeugen die ersten Bilder von der Auseinandersetzung mit der alten Heimat und der neuen Bleibe. Und an Pfingstsonntag gibt es einen Vortrag über „Kunst durch das Prisma der Zeit“. Um den 1. Weltkrieg wird es dabei gehen und das, was der Schrecken der Schützengräben in deutschen Künstlern ausgelöst hat. Die Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten werden sich darin wieder finden können: Khadija Katja Wöhler-Khalfallah soll den Vortrag ins Arabische übersetzen.
Sehnsuchtsort oder Problemfeld?
Lange haben die Menschen aus dem Iran, aus Syrien oder dem Norden Afrikas gehofft, dass sie bald schon wieder in eine befriedete Heimat zurück kehren können. Jetzt sagen sich immer mehr von ihnen: „Es kann sein, dass wir hier bleiben werden.“ Andreas Disselnkötter von den Nachbarschaftsnetzwerken in Herdecke spricht von diesem Perspektivwechsel und sagt: „Mittlerweile geht es ums Ankommen.“ Ums Ankommen in Europa. Mit welchem Bild von diesem Kontinent sind die Geflüchteten losgezogen? Ist Europa weiter ein Sehnsuchtsort, oder wird es als Problemfeld empfunden? Und was hat es mit den Europäern gemacht, dass sie millionenfach Menschen aufgenommen haben, die vor Bomben und Gewalt geflohen sind?
Viele Partner und Aktionen
Neben Kunstakademie und Nachbarschaftsnetzwerken sind als Projektpartner an Bord der Caritas Verband, die Stadt Herdecke und die Bürgermeisterin, Friedrich-Harkort-Schule und Realschule mit Besuchergruppen, das Kino „Onikon“ und Fotografin Manuela Pavlovskis.
Ab 1. September sollen in der Ruhrgalerie im Herdecker Kulturhaus Bilder ausgestellt werden, dazu Fotos und Infotafeln zum Thema Flucht und Europa.
Ebenfalls im September sind zwei Konzerte geplant. Aktionskünstler Joe Kiki tritt auf, ebenso das Mian Ensemble mit Musikern aus Syrien, Iran, Bulgarien, der Türkei und Deutschland.
„Wir wollen den Flüchtlingen Mittel zur Hand geben, die eigenen Traumata mit Hilfe der Kunst aufzuarbeiten“, sagt Olga Vinnitskaya. Die Leiterin der Kunstakademie ist aus Russland nach Deutschland gekommen, aus einem Teil Europas in einen anderen Teil. Aber sie weiß aus eigener Erfahrung, wie lange es dauern kann, bis es klappt mit dem „Ankommen“ in einer neuen Heimat. Maryam Farmaniyeh ist auf diesem Weg gut vorangeschritten. Der Iran ist ihre alte Heimat. Die Bilder der Vergangenheit, der Menschen, die sie zurücklassen musste, sind weit hinten im Kopf abgelegt und treten doch immer wieder hervor. „Heimat Europa“ heißt für sie, sich neu zu orientieren, auszuhalten, dass sie allein, ohne ihre Familie ist. Ein Kunstwerk, das das umfasst, muss Gefühle zum Ausdruck bringen, sagt sie und hat auch schon eine Idee für eine Skizze: Von einem dunklen Raum spricht sie, von dem Lichtschalter, der nicht zu finden ist, und dazu die bange Frage: „Finde ich den Weg?“ Ein weiteres Bild hat sie vor ihrem geistigen Auge: „Das ist wie eine lange Brücke, deren Ende man nicht sieht.“
Reden ohne Worte
Claudia Runge hat nicht eine Heimat gegen die andere austauschen müssen. Aber ihre Heimat Europa hat sich geändert auch unter dem Einfluss der Flüchtlinge. „Ich lebe doch in der Welt“, erklärt die Malschülerin von Olga Vinnitskaya, warum sie bei diesem besonderen Kunstprojekt gerne dabei ist, „und Flüchtlinge gehören dazu“. Flüchtlinge sind für die Wetteranerin keine Medienerscheinung und nicht ein Massenphänomen: „Auch bei uns in der Gemeinde sind sie angekommen“, sagt Claudia Runge, angekommen und angenommen worden als Menschen, die Hilfe brauchen.
Das geht nicht immer ohne Probleme. Das weiß auch Simon Willhardt. Der Sozialpädagoge aus Hagen hat mit Kindern von Flüchtlingen gearbeitet. Und gerade weil er gelernt hat, wie begrenzt die Möglichkeiten des Redens sind, hofft er auf die Sprache der Kunst: „Man kann mit Bildern sagen, was sich nicht mit Worten ausdrücken lässt.“ Im September dann bei der Ausstellung in der Ruhrgalerie werden die Gedanken und Gefühle zur neuen oder auch alten Heimat Europa Gestalt angenommen haben.