Wetter. Lebensmittel in die Mülltonne werfen, weil sie kurz vor dem Verfallsdatum sind oder übrig geblieben sind, gehört in Wetter der Vergangenheit an.

Schon im Kultfilm Dirty Dancing bedauert Familie Houseman, dass die Reste des opulenten Essens einfach in der Tonne landen. Das ist 32 Jahre her. Dennoch bleibt das Thema aktuell und im digitalen Zeitalter, gibt es Menschen, die etwas dagegen unternehmen wollen.

Abgelaufenes MHD heißt nicht, sofort tödlich

Gabi Deußing-Weber gehört dazu. Die Wetteranerin macht sich schon länger Gedanken darum, was mit den Lebensmitteln geschieht, die übrig geblieben sind. „Wir sind selbstständig mit mehreren Tankstellen und haben schon früher verschiedene Lebensmittel an die Tafel abgegeben, aber die dürfen auch nicht alles annehmen.“ Deshalb hat Deußing-Weber in der Vergangenheit auch in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis herum gefragt, ob jemand diverse Lebensmittel haben möchte, auch wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten war. „Ein abgelaufenes MHD heißt ja nicht, ab sofort tödlich“, gibt sie zu bedenken.

Lebensmittelretter aus Hagen

Im Internet stieß sie schließlich auf eine sogenannte „Foodsharing-Gruppe“ in Hagen. Übersetzt bedeutet das nichts anderes als Essen teilen. Das Konzept gefiel ihr und sie wollte es auch auf Wetter übertragen. „Aber ich bin ein normaler Facebook-Nutzer. Ich hatte keine Ahnung, wie ich eine Gruppe gründe und was ich rechtlich beachten muss“, gibt sie zu.

An dem Punkt kam unverhofft Hilfe, in Person von Jan Wagner ins Spiel. Der Hohenlimburger ist schon seit einigen Jahren selbsternannter Lebensmittelretter. „Ich finde es immer schade, wenn Lebensmittel weggeworfen werden. Ich habe schon als Zivi in einer Großküche gearbeitet und seitdem beschäftigt mich das Thema“, sagt Wagner. Er ist Mitglied in einer Hagener Foodsharing-Gruppe, schwört aber auf die Wetteraner.

So einfach geht es

„Sowas habe ich noch nie erlebt, dass so viele Leute in so kurzer Zeit so aktiv sind“, schwärmt er. Nach drei Wochen haben sich fast 450 Mitglieder zusammen gefunden. Das Prinzip ist ganz einfach. Jeder, der Lebensmittel hat, die er nicht mehr gebrauchen kann, zu viel gekauft hat, die nahe oder schon über dem MHD sind, werden dort angeboten. Von der Tafel Schokolade in der „falschen“ Geschmacksrichtung und Babynahrung über Gemüse bis hin zu Konserven ist alles dabei. Die Mitglieder fotografieren die Lebensmittel, die sie abgeben möchten, schreiben einen Ortsteil dazu, wo die Sachen abzuholen sind und schon kann es losgehen. Wer Interesse daran hat, kommentiert den Beitrag oder schickt eine persönliche Nachricht an den Betreffenden. Dann wird intern geklärt, wann die Produkte abgeholt werden können. Die Zeitspanne in der das geschieht, ist recht unterschiedlich. Mal dauert er nur wenige Minute, mal können zwei bis drei Tage vergehen. „Man muss natürlich auch gucken, wie der Kosten-/Nutzenfaktor ist“, gibt Gabi Deußing-Weber zu. Für einen Artikel, der im Laden nur wenige Cent kostet, vom Harkortberg beispielsweise nach Albringhausen zu fahren, wäre manchmal wenig sinnvoll.

Schon den Einkauf überdenken

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Generell sieht die Wetteranerin aber noch einen Vorteil in der Gruppe. „Viele denken inzwischen schon über die Gruppe hinaus und wollen sich beispielsweise schon beim Einkaufen zusammenschließen“, berichtet sie begeistert. Wer von einem Artikel nur eine kleine braucht, das Produkt aber nur in einer größeren Marge erhältlich ist, kann da schon teilen. „Jeder muss sein eigenes Konsumverhalten überdenken“, so Deußing-Weber. Dabei fasst sie sich auch selbst an die Nase, denn einfach ist das nicht. „Als unsere Kinder ausgezogen sind, war so ein Punkt. Ich musste ja nur noch für zwei Personen einkaufen und kochen“, sagt sie und lacht.

Vorbehalte sind normal

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Doch die beiden Administratoren der Gruppe wissen auch, um die Vorbehalte, die eine Foodsharing-Gruppe mit sich bringt. So hätten gerade am Anfang auch viele neue Nutzer gefragt: „Sieht das nicht so aus, als hätte ich kein Geld, wenn ich hier mitmache?“ Doch die Sorge konnte ihnen gleich genommen werden. Denn beim Foodsharing geht es einzig und allein darum, Lebensmittel nicht wegzuwerfen. Wer und warum davon profitiert, sei völlig egal. „Jeder kann auch eine persönliche Nachricht an den Anbieter schicken, dann sieht es niemand in der Öffentlichkeit“, so Gabi Deußing-Weber.

Die Gruppe ist inzwischen ein Selbstläufer. Täglich kommen neue Mitglieder hinzu. Das funktioniert nach dem Schneeballverfahren. Jeder, der jemanden kennt, der daran teilnehmen möchte, kann eingeladen werden.

Stationäre Einrichtung gewünscht

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Was also wünschen die Administratoren noch? „Ich würde mir wünschen, dass das Foodsharing auch über die Facebook-Gruppe hinaus zum Thema wird. Beispielsweise, dass sich Geschäfte beteiligen, dass dort Lebensmittel direkt abgeholt werden können. Frei nach dem Prinzip des ,Fair-Teilers’. Da gibt es dann eine Station, das kann eine Garage oder ein Fahrradanhänger oder einfach nur ein Kühlschrank sein, in dem sich Lebensmittel befinden, die kostenlos mitgenommen werden können“, so Jan Wagner. Allerdings räumt er ein: In vielen Städten scheitert es an der Bürokratie. Ob das in Wetter auch so wäre, weiß er nicht.