Hagen. . Immer noch werden zu viele Lebensmittel einfach weggeschmissen. Dabei können sie über Foodsharing noch an den Mann gebracht werden.

Niemand wirft gerne Lebensmittel weg. Aber es kommt vor. Weil in den Läden alles super-frisch aussehen soll. Weil wir zuviel eingekauft oder es nicht geschafft haben, vor dem Urlaub den Kühlschrank so zu leeren wie geplant.

Doch es gibt eine Alternative zur Tonne und zum Schnell-noch-alles-in-sich-reinstopfen: teilen. Food-Sharing. Auch in Südwestfalen haben sich Lebensmittel-Retter organisiert.

Facebook-Gruppe für Lebensmittelaustausch

Ina Krebsbach, Lehrerin und vierfache Mutter aus Wenden-Elben, stand im Frühsommer bei einer Bekannten im Garten. Der Kirschbaum trug schon Früchte. Viele. Zu viele.

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Da fiel der 35-Jährigen der eigene Garten ein, in dem immer alle Zucchini auf einmal reif werden. Da dachte sie an alles, was beim Kindergeburtstag und der Familienfeier übrig bleibt. Da erinnerte sie sich an spontane Fehleinkäufe, die Jahre im Schrank verbrachten. Darauf entschied sie sich, eine Facebook-Gruppe als Plattform für einen Lebensmittelaustausch ins Leben zu rufen. Erst für Wenden, dann erweitert auf Olpe.

Angebot reicht vom Fonduekäse bis zur Kokosmilch

Das funktioniert ganz einfach: Man tritt der Facebook-Gruppe bei, postet eine Nachricht mit dem Bild von dem, was man anzubieten hat und wartet, ob sich jemand meldet, der es abholen möchte.

In den paar Wochen seit der Gründung haben sich schon mehrere hundert Mitglieder angemeldet. Die Angebote sind reichhaltig: Fonduekäse und Kokosmilch, Kamillen- und Eistee, Sekt und Fruchtsaft, Zwieback und Schokoriegel, Müsli, Reis und Marmelade. Dazu die Aufforderung, zum Kirschenpflücken vorbeizukommen. Oder Tipps, wo jetzt die Himbeeren reif sind.

Facebook-Gruppen auch im Hochsauerlandkreis

Ob sich immer genügend Interessenten finden, kann Ina Krebsbach nicht sagen. Das ist ja das Schöne: Dass sie damit gar nichts zu tun hat. Dass sich das von selbst organisiert. Sie hat ihr Ziel erreicht: „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich etwas wegwerfe. Das kommt jetzt seltener vor.“

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Für Arnsberg und den Hochsauerlandkreis gibt es eine ähnliche Gruppe. Jennifer Funke aus Neheim, heute 28 und Mutter von zwei Kindern, hat sie vor knapp fünf Jahren gegründet. Weil ihr das Wegschmeißen gegen den Strich ging.

Selbst hat sie öfters Süßigkeiten anzubieten: „Die Kinder bekommen vor allem zu Ostern und zu Weihnachten mehr geschenkt als sie essen können.“ Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt im Raum Arnsberg/Sundern. Funke: „Der HSK ist sehr groß. Da lohnt es sich nicht, für eine Tüte Gummibärchen nach Eslohe zu fahren.“ Auch für Soest und Lippstadt gibt es eine Facebook-Gruppe.

Probleme in Hagen

Auch in Hagen hat das so angefangen: Im Netz konnte jeder anbieten, was er nicht mehr brauchte. Diese Facebook-Gruppe gibt es immer noch. Aber vor einem Jahr hat sich eine Foodsharing-Gruppe gegründet, die nicht nur online aktiv ist, sondern Essen zum Anfassen offeriert. Die Aktiven holen Lebensmittel in Bioläden und bei Vollkornbäckern ab und bieten sie in einem „Fair-Teiler“ an, in „Onkel Jo sein Laden“ in der Mittelstraße.

Ein zweiter war auch schon eröffnet, in der Wiederherstell-Bar in Wehringhausen. „Aber dort mussten wir wieder schließen“, erklärt Silvia van Loosen. „Es gab Probleme mit dem Gesundheitsamt.“ Man ist in Gesprächen, der Oberbürgermeister hat bei einem Treffen Mitte August Unterstützung zugesagt, und Silvia van Loosen gibt sich hoffnungsvoll: „Die müssen eben für sich klären, was wir sind: Handel? Und wie ist die Haftung geregelt?“ Aber sie weiß auch: „Manche Städte sind da kulanter als andere.“ Sie findet: „Eine einheitliche Regelung wäre sinnvoll.“

Keine Konkurrenz zu den Tafeln

Eine einheitliche Foodsharing-Plattform für Deutschland, Österreich und die Schweiz gibt es bereits. Seit 2012 wurden 16 144 344 kg Lebensmittel erfolgreich vor der Tonne gerettet. 4641 Betriebe kooperieren kontinuierlich und 40 778 Foodsaver engagieren sich ehrenamtlich.

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Wer Mitglied werden will, wie es die Initiativen in Hagen und Siegen sind, muss Regeln beachten und ein kleines Quiz bestehen. Was selbstverständlich ist: Man will den Tafeln keine Konkurrenz machen. Man holt kleinere Mengen, für die die Tafeln gar nicht losfahren. Man kümmert sich nicht ums Mindesthaltbarkeitsdatum. Der Zweck ist nicht primär sozial, sondern es geht um das Verhindern von Verschwendung. Und alles wird verschenkt. Bedingungslos.

Container-Szene in Siegen

„In Siegen hat sich das aus der Container-Szene entwickelt“, sagt Lisa Villioth. „Containern“ nennt man das Beschaffen von noch essbaren Lebensmitteln, die Supermärkte wegwerfen. Das Wühlen im Müll-Container ist offiziell verboten, doch bislang sei deshalb noch niemand verurteilt worden, berichtet die Lebensmittelretterin: „Das ist eine Grauzone.“

Die Foodsharer haben das 2016 offiziell gemacht. Erst mit einem Biomarkt und einem Bäcker, dann wuchsen die Gruppe und die Zahl der Betriebe. Eine Erfolgsgeschichte. Drei Fairteiler wurden eingerichtet. Dann begannen im Sommer 2017 die Attacken. Offenbar von Rechtsradikalen. Hakenkreuze, eine tote Ratte, eine tote Katze, ein Eimer Kot fanden sich an den Fairteilern.

Die Täter wurden nicht ermittelt. Das war ein Rückschlag. Aber Lisa Villioth ist überzeugt: „Das hat uns stärker gemacht.“ Die Gruppe wächst wieder. Im Moment gibt es je einen Fairteiler auf dem Uni-Campus Adolf-Reichwein-Straße und in der City am Herrengarten sowie einen mobilen in Geisweid. Man kooperiert mit dem Wochenmarkt und kennt noch viele Betriebe, die gerne mit den Foodsavern zusammenarbeiten würden.

Foodsharing als Form bürgerschaftlichen Engagements

Lisa Villioth untersucht sich sozusagen selbst, denn sie ist auch wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni, wo sie im Sonderforschungsbereich „Medien der Kooperation“ neue Formen bürgerschaftlichen Engagements unter die Lupe nimmt. Foodsharing ist eine. Sie hat Feldforschung in München betrieben, wo die Foodsaver älter sind, Siegen ist eher studentisch geprägt. Identisch ist die politische Motivation: Man arbeitet daran, sich überflüssig zu machen, indem weniger Überschuss produziert wird. Dafür seien die Kunden stark verantwortlich: „Wenn ich um 18 Uhr noch alle Brot- und Brötchensorten beim Bäcker erwarte, bleibt zwangsläufig viel übrig.“

Und wie ist das mit den Medien? „Ohne die digitalen Plattformen ginge das alles nicht. Aber man muss sich hin und wieder auch persönlich zusammensetzen. Das ist wichtig fürs Gruppengefühl.“