Herdecke. . Im Interview erklärt der Verfahrensleiter, wieso die Bezirksregierung Amprion den Bau der 380-Kilovolt-Stromtrasse durch Herdecke genehmigt hat.

Werner Isermann, zuständiger Verfahrensleiter der Bezirksregierung für die Genehmigung der Amprion-Stromtrasse auch durch Herdecke, erklärt den Beschluss.

Warum konnte die Stromleitung in diesem dicht besiedelten Streckenabschnitt genehmigt werden?

Werner Isermann: Die Planfeststellung haben wir nach eingehender Prüfung und Abwägung erteilt, weil alle erforderlichen Nachweise zum Schutz von Mensch und Natur erbracht wurden und die Leitungstrasse die schonendste Lösung ist. Ein wesentlicher Aspekt bei der Abwägung war, dass der gewählte Trassenkorridor bereits bis zu vier parallel verlaufende Stromleitungen aufweist, von denen die Verbindungen in der Mitte demontiert werden und Platz für die neue Leitung schaffen.

Warum sind die vorgeschlagenen Alternativen nicht als bessere Lösung bewertet worden?

Die beiden vorgeschlagenen großräumigen Alternativen entlang der A45 und A1 sind mit Blick auf alle berührten Belange vollständig durchgeprüft worden. Wesentlich war dabei, dass mit den Alternativen völlig neue Trassen ohne vorhandene Stromleitungen entstehen würden, dies auch mit Annäherungen an einzelne Wohnbereiche und durch teilweise hochwertige Waldstücke, die bislang von Leitungen nicht betroffen waren. Damit mussten diese Alternativen entlang der Autobahnen in Übereinstimmung mit der Rechtslage und der aktuellen Rechtsprechung als mehr belastend bewertet werden.

Wie wurde auf den Schutz des Menschen Rücksicht genommen?

Die Wohnbevölkerung entlang der neuen Leitung ist ausreichend geschützt. Natürlich haben wir die vorhandene große Belastung gerade im Nahbereich der bereits vorhandenen Leitungen und die neuen deutlich höheren Masten in Trassenmitte mit stärkerer 380-kv-Stromleitung gesehen und bewertet. Ein Faktor war dabei, dass die weitaus größte Zahl der Häuser erst im Laufe der Zeit an die vorhandene Trasse herangebaut wurde. Trotzdem stellten wir fest, dass die visuellen Belastungen erträglich sind und die Grenzwerte für elektrische sowie magnetische Felder überall sehr deutlich unterschritten werden. In zahlreichen Bereichen wurden trotzdem auf Vorschlag der Einwender Trassenänderungen zur Anpassung an private Bedürfnisse vorgenommen. Es kam dabei auch zu kleinräumigen Trassenverschwenkungen. Diese Verbesserungen spiegeln sich in den sieben Planänderungen wider.

Könnte es zu einer Klage kommen?

Ich bin überzeugt, dass die geprüfte und im vorhandenen Trassenkorridor genehmigte Leitung mit den Anpassungen an private Bedürfnisse die insgesamt schonendste Lösung für die Wohnbevölkerung und Natur darstellt. Ich sehe keinen überzeugenden Grund, gegen den Beschluss zu klagen. Falls es trotzdem dazu kommt, bin ich überzeugt, dass unser Beschluss auch vor dem Bundesverwaltungsgericht bestehen bleiben wird.

Hintergrund

Nein, Freunde hat sich die Bezirksregierung Arnsberg mit ihrer Genehmigung der neuen Amprion-Stromtrasse in Herdecke sicher nicht gemacht. Dessen ist sich auch Verfahrensleiter Werner Isermann bewusst. Allein die rund 950 Einwendungen plus 1039 Unterschriften aus der Ruhrstadt zeigten ihm schon im Herbst 2015, wie brisant die Entscheidung ist. „Das waren viel mehr Bürgereinsprüche als üblich. So viele hatten wir meines Wissens nach bei solch einem Verfahren noch nie.“

Nach Erhebungen der Bürgerinitiative Semberg leben 2000 Herdecker in der 200-Meter-Zone der Trasse. Auch vor diesem Hintergrund habe das Team der Bezirksregierung (Ingenieure, Juristen, Ökologen, Verwaltungsfachleute) den Amprion-Antrag geprüft, parallel läuft ein Trassen-Check für 380-Kilovolt-Leitungen u.a. in Hohenlimburg oder im Raum Siegen.

Dabei haben Isermann und Co. viel zu berücksichtigen, beispielsweise den Landesentwicklungsplan. Dieser besagt u.a., dass Waldgebiete – wie bei der von Herdeckern gewünschten Alternative – nur dann den Zuschlag erhalten sollen, wenn keine andere Lösung in Sicht ist. Ein vorhandener Trassenraum ist dem aber vorzuziehen. Erdkabel wiederum seien im Energieleitungsausbaugesetz nur über Pilotprojekte rechtlich zulässig.

43 Erörterungs-Anträge ebenfalls geprüft

Die Bezirksregierung hat nach eigenen Angaben alle 43 Anträge aus dem zweitägigen Erörterungstermin im März 2017 geprüft und dazu im Beschluss für jeden Antrag eine Entscheidung gefällt, beispielsweise ergänzende Gutachten zu einer weiteren Alternative sowie zum Natur- und Lärmschutz erstellt.

Ergebnis: Alle umweltrechtlichen Anforderungen seien erfüllt, die im Antrag und im Beschluss festgelegten Schutz- und Minderungsmaßnahmen reichen demnach für die Menschen sowie die Natur aus.

Bleibt die Frage nach dem so genannten Schutzgut Mensch. Dabei beruft sich die Bezirksregierung auf Werte des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv), wonach der deutsche Immissions-Grenzwert bei elektrischen/magnetischen Feldern von 100 Mikrotesla in Herdecke bei Weitem nicht überschritten werde. Die höchste Belastung liege demnach auf einem direkt überspannten Grundstück bei 32,4, der 30-er-Wert sei bei mehreren Häusern in Trassennähe zu erwarten. „Die dann unter der neuen 380-Kilovolt-Verbindung liegende Leitung hat abschirmende Wirkung und verringert das Ausmaß zum Boden“, erklärt Isermann.

Vorbelastung als Argument

Die Sichtbetroffenheit durch neue bis zu 87 Meter hohe Masten sei unstrittig, durch die Vorbelastung der bestehenden Trasse laut Bezirksregierung aber „zumutbar. Zudem werden einige Masten ja auch zurückgebaut, eines Tages stehen dann auch in Herdecke weniger“.

Wie geht es denn nun weiter? Die Genehmigung beinhaltet laut Behörde eine „Duldungsverfügung“ bzw. „enteignungsrechtliche Vorwirkung“. Heißt konkret: Vermesser können ab sofort Grundstücke zu Planungszwecken betreten, vereinzelt haben das Herdecker bisher verweigert. Theoretisch könnte Amprion sofort mit dem Bau beginnen. Jedoch könnte im Falle einer Klage ein Eilentscheid des Bundesverwaltungsgerichts bewirken, dass Amprion vor dem Urteil keine Fakten schaffen darf.

Nach Einschätzung von Verfahrens-Beteiligten sei bei einem normalen Verlauf (ohne richterliche Einschränkungen) davon auszugehen, dass die Bauarbeiten um das Jahr 2020 beginnen, je nach Abschnitt ca. zwei Jahre dauern und der Gesamtbetrieb 2023 startet.