Herdecke/Witten. . Bis Mittwochabend reagieren betroffene Anwohner aus Herdecke immer wieder kritisch auf Angaben von Amprion zur geplanten 380-Kilovolt-Stromtrasse.
- Immissionen und Lärm am zweiten Tag großes Thema
- Herdecker sorgen sich wegen Wertverlust ihrer Grundstücke oder Häuser
- Bezirksregierung will Schutzgut Mensch intensiv abwägen
Finale beim komplexen Schlagabtausch zum Bau einer geplanten 380-Kilovolt-Stromtrasse der Firma Amprion. Die Kontrahenten im Saalbau Witten: ein Dutzend Vertreter des Netzbetreibers und 63 Einwender aus Herdecke, die wie am Vortag Vollmachten vorlegen und so für ihre Familienangehörigen oder Nachbarn mitsprechen. Und von ihrer ablehnenden Haltung keinen Deut abrücken.
Die Fortsetzung der Erörterung von der Bezirksregierung Arnsberg beginnt mit Erklärungen von Amprion, da am Vortag Unschärfen bezüglich Häuserabständen zur Trasse aufgetaucht sind. Die Einwender haben Orientierungswerte erhalten, genaue Metermaße will der Netzbetreiber nachliefern. Gleichwohl: „Diese Entfernungsangaben haben keine Auswirkungen auf das Planfeststellungsverfahren.“ Im Übrigen seien alle Daten belastbar und auf der Grundlage fachlich anerkannter Methoden ermittelt. Eine Bürgerin entgegnet: „Es kann aber doch kein Versehen sein und spricht für die Oberflächlichkeit, wenn 90 Meter Unterschied aus dem gleichen Wohnzimmer genannt werden.“
Autobahn
Moderator Werner Isermann greift dann die Alternativtrasse entlang der A45 und A1 auf. Der Fachdezernent der Bezirksregierungs-Abteilung Bergbau und Energie versichert, dass seine Genehmigungsbehörde die menschlichen Betroffenheiten, die in Herdecke um ein Vielfaches höher seien, auch mit Blick auf das Grundgesetz und Urteile des Bundesverwaltungsgerichts „selbstverständlich berücksichtigt“. Bürger regen an, die vorgestellte Trassenführung an der Autobahn zu optimieren. Da es sich dabei um eine Alternative handelt, sei diese laut Isermann nicht so genau dargestellt wie der eigentliche Antrag. Fachanwalt Philipp Heinz kritisiert das und fordert ein neutrales Gutachten.
Optimierungen
Nachdem ein Grundstückseigentümer einen Maststandort auf einer bislang unbebauten Wiese nahe der Dortmunder Landstraße bemängelt hat und dahinter Kostenersparnisse bei der Baustelleneinrichtung vermutet, kommt Unmut auf. Ein Anwohner berichtet nämlich, dass auf sein Grundstück ein Mast kommen soll. Darüber habe ihn bisher aber niemand offiziell informiert. Was Isermann sichtlich erstaunt und „schwer nachvollziehbar“ nennt, begründen Amprion-Vertreter mit ergebnislosen Kontaktversuchen per Post oder Telefon. Wolfgang Heuer von der Prozessgemeinschaft Herdecke unter Strom kritisiert insgesamt ein „eigenwilliges Verhalten wie bei einer Lotterie“ des Antragstellers, da auch andere Betroffene ähnliches erlebt hätten. Und im Sinne heranwachsender Herdecker Kinder, so ein weiterer Einwand, sollte eine neue Höchstspannungsfreileitung nicht durch das Stadtgebiet führen.
Eigentumsfragen
Laut Isermann räumt die Bezirksregierung Grundstücksangelegenheiten (sowohl Privathäuser als Gewerbegebäude) ein hohes Gewicht ein, zumal dies auch in vielen Einwendungen angesichts erheblicher Betroffenheiten stehe. Das Thema Wertminderung sei aber nicht Bestandteil der Erörterung. Daher klärt Anwalt Heinz auf, dass nach ersten Gesprächen zwischen Amprion und Anwohnern im Schutzstreifen (also Maststandort) der Netzbetreiber nach erfolgloser Einigung einen Antrag auf Enteignung stellen könne. Das wiederum können Bürger vor ordentlichen Gerichten beklagen, dabei gehe es aber nur die Höhe des Betrags und nicht um den Planfeststellungsbeschluss. Daher fordert der Jurist, ein unabhängiges Gutachten zur Wertbetrachten von einzelnen Häusern in den Herdecker Wohngebieten.
Immissionsbelastungen
Fast 90 Prozent der Einwendungen beinhalten gesundheitliche Sorgen wegen elektrischer und magnetischer Felder oder Lärm, so Isermann. Dieses schwierige Thema stellt Amprion anhand von Beispielrechnungen in Hagen-Bathey mit der Zusammenfassung vor, wonach Werte des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wie vorgegeben eingehalten würden und tiefer liegende Leitungen darüber befindliche Kabel abschirmen. Auch der Abstand zur Schraberg-Grundschule sei ausreichend, die Topographie spiele laut Untersuchung keine Rolle. Das löst Widerspruch aus, hinzu kommen Verweise auf geringere Grenzwerte im Ausland sowie Studien zu Leukämie-Gefahr oder steigendes Krebsrisiko durch Stromtrassen. Isermann relativiert dies, auch die Strahlenschutz-Kommission habe keinen Nachweis von Krankheiten zu Belastungen ermitteln können. „Daher reicht laut aktueller Rechtsprechung und Gesetzgebung ein Grenzwert von 100 Mikro-Tesla.“ Zudem habe ein neutrales Gutachten des Landesumweltamtes stichprobenartig keine Abweichungen der Amprion-Angaben ergeben.
Das will Fachanwalt Philipp Heinz, der die Bürgerinitiative Semberg und die Stadt Herdecke vertritt, so nicht stehen lassen. Der Berliner Jurist vermisst die Berücksichtigung der Topographie und Werte aus luftiger Höhe (nicht nur am Boden), gerade vom Schraberg und Semberg. Zudem sei diesbezüglich generell die Autobahn-Variante klar zu bevorzugen, da dort keine Menschen direkt überspannt würden. Das führt ihn zur 110-Kilovolt-Leitung für das Koepchenwerk: Für eine Annahme des schlechtesten Falls gelte es angesichts einer langfristig ausgelegten Planung auch, Berechnungen ohne diese Kabel anzugeben. Am Ende sichert Amprion Anwohnern zu, Werte für ihre Grundstücke konkret zu ermitteln.
Lärm
Ähnlich kontrovers verläuft die Erörterung zum Thema Geräuschbelastung. Das Knistern oder Brummen von Stromleitungen nennen Fachleute Koronageräusche, die durch das Entladen entstehen. Amprion hat dazu den TÜV Hessen für ein externes Gutachten beauftragt. Dessen Vertreter bezieht sich auf die Technische Anleitung (TA) Lärm und betont, dass diese Effekte eigentlich nur bei Regen und sonst kaum auftreten. Er beziehe sich auf Niederschlags-Daten aus Breckerfeld. Üblich sei, Lärmwerte nachts und bei Trockenheit zu ermitteln. Auch die Vierfachbündelung der geplanten Leiterseile sorge für leisere Auswirkungen. Zu beachten sei auch der jeweilige Abstand. Insgesamt haben Ermittlungen an drei „maßgeblichen Immissionsorten“ in ergeben, dass der Richtwert der TA Lärm klar unterschritten werde.
Darauf folgt eine Flut von Anmerkungen und Protestmeldungen. Ein Bürger fragt: „Warum hat sich der TÜV den Schnee angeschaut und nicht den Brennpunkt am Landschaftsschutzgebiet Peddenhohl?“ Ein Anwalt, der Anwohner der Erdbrügge vertritt, ist zunächst „erschüttert“ wegen der mangelhaften Lärmangaben. Er vermisst u.a. die Wechselwirkung mit weiteren Elementen wie Staub oder Zement oder Auswirkungen durch Schallverbreitung. Darauf antwortet der TÜV-Mann mit Relevanz-Kriterien. Demgegenüber merkt Jurist Heinz verwundert an, dass der Schraberg nicht genauer untersucht worden sei. Das fordert er für alle Wohngebiete ebenso ein wie er Zweifel an den Regen-Prognosen des TÜV hegt. „Sind Sie ein Wettergott? Die Starkregenereignisse nehmen zu, also können Sie bei Planungen für die nächsten 100 Jahre Ihre Angaben nicht anwenden“, sagt Heinz in Richtung Gutachter und wendet sich an die Bezirksregierung: „So ist das nicht genehmigungsfähig.“ Der TÜV-Vertreter wehrt sich. „Wir können nichts messen, was nicht da ist.“