Hagen. . Was ist das bloß für ein merkwürdiger Politiker? Nach der Wahl gilt für ihn, was er vor der Wahl versprochen hat: Das Wir-Gefühl stärken, mehr Lust und Stolz auf die eigene Stadt erzeugen, Mut machen. Oberbürgermeister Erik O. Schulz zieht nach 100 Tagen eine erst Bilanz.

„Wirtschaftliche Entwicklung hängt nicht nur von Gewerbeflächen, Standortmarketing und prosperierender Entwicklung ab, sondern vor allem von der Zufriedenheit der Menschen“, hält Erik O. Schulz, inzwischen seit 100 Tagen auf dem Sessel des Oberbürgermeisters, an seinen Maximen aus dem Duell gegen Horst Wisotzki fest.

Dabei haben ihn nahezu vom ersten Tag an jene schmerzlichen Hagener Realitäten eingeholt, die auch schon seinen Amtsvorgänger regelmäßig in Atem hielten. Mit dem Thema „Derivate“ galt es gleich, ein Stück unverdautes Hagener Seelenunheil aufzuarbeiten (Schulz: „Mit Blick auf die Risiken war es die richtige Entscheidung, nicht erneut zu klagen.“). Ähnlich unpopulär die verhängte Haushaltssperre, selbst in einer Nothaushaltskommune die absolute Notbremse (Schulz: „Diese Entscheidung ist auch ein Teil der im Wahlkampf versprochenen Ehrlichkeit und Authentizität und macht den Alltag sicherlich nicht lustiger.“).

Enervie-Jahrhundertthemen

Obendrein haben den Verwaltungschef die Enervie-Jahrhundertthemen „Zukunft der Strom- und Wassererzeugung“ voll vereinnahmt: „Dass man bei Enervie quartalsweise nicht nur Schnittchen isst, hatte ich schon erwartet. Aber allein 30 Termine in dieser Zeit sind schon opulent.“

Terminkalender immer proppenvoll

Erik O. Schulz, der am 23. Juni das Oberbürgermeisteramt von Jörg Dehm übernahm, ist jetzt seit 100 Tagen im Amt.

Von acht Tagen Südtirol-Urlaub während der Sommerpause mal abgesehen, hat er seitdem erst an einem Tag einen freien Terminkalender gehabt.

Doch der 49-Jährige OB wusste, worauf er sich einlässt: „Wer einen hohen Wert auf Work-Life-Balance legt, sollte bei den Stellenanzeigen lieber weiterblättern.“

Aber der 49-Jährige will gar nicht klagen. „Ich wusste ja worauf ich mich einlasse“, macht seine Familie bislang noch gute Miene, wenn er häufig erst gegen Mitternacht abgekämpft nach Hause kommt und sich noch Aktenordner als Bettlektüre mitgebracht hat. Die Begegnung mit den Menschen nutzt der seit Wochen dauererkältete Oberbürgermeister als Vitaminspritze.

Gerne bei den Menschen

Neben seinen dienstlich motivierten Antrittsbesuchen bei den Kollegen in den Nachbargemeinden, beim Regierungspräsidenten, beim Gericht, beim Fernuni-Rektor oder auch Behörden, von denen Schulz zuvor noch nie etwas gehört hatte, lässt er sich vor allem an den Wochenenden von der Frage leiten: „Wo sind die Menschen? Denn interessante Leute, mit denen man etwas gestalten kann, laufen überall herum“, ist ihm die Rückmeldung aus der Bürgerschaft bislang mindestens ebenso wichtig wie aus den Reihen der Kollegen im Rathaus. „Aber auch hier habe ich in den ersten Tagen bereits so viele Mitarbeiter kennengelernt, die einfach einen klasse Job machen.“ Dazu passt sein Anspruch, eine wertschätzende Führungskultur als Teil eines Werteprozesses bei der Mitarbeiterführung voranzutreiben. „Ich will einen Common Sense in die Truppe bringen“, setzt er auch auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Gesamtpersonalrat.

Von dieser Kultur des Miteinanders – dazu bedarf es keiner besonderen OB-Sensibilität – ist der neue Rat noch meilenweit entfernt. Vor allem das spezielle Verhältnis zwischen dem in den Augen der Genossen abtrünnigen Verwaltungschefs, der ihn stützenden CDU/Grüne/FDP-Allianz und den Sozialdemokraten sorgt immer wieder für atmosphärische Spannungen, die zur Versachlichung der Themen bislang wenig beitragen. „Wenn diese alten Verletzungen verheilt sind, habe ich schon den Anspruch, als Moderator und Brückenbauer auch außerhalb der Allianz zu agieren. Mein Ziel bleibt es, anhand der Sachthemen zusammenzuführen.“

Rat als schwieriges Terrain

Eine integrierende Grundhaltung, die auch bei den Hagenern gut ankommt. Egal ob beim Day of Song, bei Ausstellungseröffnungen, Schlossspielen, Kulturkonferenzen oder auch bei Oktoberfest-Veranstaltungen – Schulz nimmt das Feedback aus der Bürgerschaft immer gerne auf. Wohl wissend, dass den notorischen Nörglern meist der Mut fehlt, ihm Kritik direkt ins Gesicht zu sagen. Aber die verbalen Scharmützel im Rat sind es in seinen Augen kaum, mit denen sich die Hagener begeistern lassen: „Mit Blick auf die Wahlbeteiligung wünsche ich mir nicht immer, dass die Sitzungen im Internet übertragen werden . . .“

Jetzt endlich mal ein langes Wochenende. Am Sonntag möchte der Dauerkarteninhaber Schulz gerne den Phoenix-Heimauftakt miterleben: „Mal sehen, ob ich es schaffe.“