Hagen. . Hat die Polizei nächtliche Ruhestörer in Hagen-Eilpe in der Nacht zu Mittwoch nur mit großer Mühe zur Vernunft bringen können? Oder haben die Beamten mit Pfefferspray und Handschellen unverhältnismäßig zugelangt? Gegen sechs junge Männer wird ermittelt, und die wollen nun die Polizisten anzeigen.
Hat die Polizei nächtliche Ruhestörer in Eilpe in der Nacht zu Mittwoch nur mit großer Mühe zur Vernunft bringen können? Oder haben die Beamten unverhältnismäßig zugelangt? Diese Fragen stehen im Raum nach der nächtlichen Geburtstagsfeier von sechs jungen Männern in der Hohle Straße, die mit einem massiven Polizeieinsatz mit 16 Beamten endete. Geklärt werden sie wohl allenfalls im kommenden Ermittlungsverfahren. Gegen die jungen Männer sind Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden. Die wiederum haben Anwälte eingeschaltet und wollen die Polizei anzeigen.
Sie hätten sich mit Schnaps extra Mut angetrunken, um die Polizei herauszufordern. Die jungen Männer im Alter von 20 bis 31 Jahren hätten nicht auf Klingelzeichen reagiert, später die Beamten beschimpft und seien so aggressiv gewesen, dass Pfefferspray und Handschellen hätten eingesetzt werden müssen. So war es am Mittwoch im Polizei-Bericht vermerkt, so war es auch in unserer Zeitung zu lesen.
Der Version widersprechen die jungen Männer vehement. Zwei von ihnen sind in die Redaktion gekommen, haben Handy-Videos gezeigt, die zumindest Teile des Abends und auch des Polizei-Einsatzes zeigen. Ein Gesamtbild lässt sich daraus nicht erkennen. Doch die jungen Männer versichern: „Wir waren nicht aggressiv, es gab keine körperliche Gegenwehr.”
Helene-Fischer-Lieder gegrölt
Unstrittig ist, dass eine Ruhestörung vorgelegen hat. Das räumen auch die junge Männer ein, die aus beruflichen Gründen nicht mit ihren Namen in der Zeitung erscheinen wollen. Einer aus der Truppe wollte in seinen 25. Geburtstag feiern. Und zwar in der sich über zwei Etagen hinziehenden Dachgeschosswohnung, aus der er aber wenig Tage später ohnehin ausziehen wollte. Man habe Computer gespielt, auch Alkohol getrunken, Späße gemacht, die Stimmung sei immer lockerer geworden. Das Video zeigt die jungen Männer mit blanken Oberkörpern, es ist heiß in der Dachgeschosswohnung. Schließlich werden Helene-Fischer-Songs gegrölt und es wird laut mitgesungen. Nachbarn beschweren sich bei der Polizei. Im Polizeibericht ist zu lesen, dass die jungen Männer nicht auf Klingelzeichen reagiert hätten.
Sie sagen dagegen, dass man die Klingel in der Zwei-Etagen-Wohnung unterm Dach nicht habe hören können. Das Polizeiprotokoll spricht dagegen detailliert davon, dass die auf der Straße stehenden Beamten massiv aus dem Fenster heraus beleidigt worden seien. Die Männer dementieren.
Pfefferspray eingesetzt
Das Protokoll spricht von einer unübersichtlichen Situation, in der die Männer in der Wohnung immer wieder hoch und runter gelaufen seien. Weil es zu bedrohlichen Situationen gekommen und den Anweisungen nicht Folge geleistet worden sei, habe man Verstärkung anfordern müssen, es sei Pfefferspray eingesetzt und es seien Handschellen angelegt worden. Drei der Männer landeten über Nacht im Gewahrsam.
In die Situation hinein versetzen
Es gibt Kommentare, in denen der Autor ganz klar Stellung beziehen kann. Das ist hier nicht möglich. Weil die Schilderungen des nächtlichen Einsatzes in Eilpe weit auseinander gehen, weil die Ermittlungen abgewartet werden müssen. Aber ein paar Denkanstöße sollten möglich sein.
Ein jeder sollte versuchen, sich in die Situation der Polizisten hineinzuversetzen: Sie müssen jederzeit damit rechnen, dass auch Routineeinsätze kippen können, dass sie von einer Sekunde auf die andere großen Gefahren ausgesetzt sind. Das Ziel von Polizeibeamten muss sein, jederzeit die Situation unter Kontrolle zu haben. In die Waagschale gehört auch, dass sich Polizeibeamte oft Beschimpfungen und Bedrohungen gefallen lassen müssen, obwohl sie einen völlig unverzichtbaren Dienst versehen.
Aber es lohnt sich auch, sich in die Situation der jungen Männer hinein zu versetzen: Sie haben unbestritten zu laut gefeiert. Sie hätten gut daran getan, einfach die Musik auszumachen, sich hinzusetzen und ruhig zu bleiben, bis die Sache geklärt ist. Aber macht man das in solch einer überraschenden Situation wirklich? Die Jungs waren zwar alkoholisiert, aber ausweislich der Promillewerte mehrheitlich nicht sternhagelvoll. Beim Blick auf die Videosequenzen kommen zumindest Fragezeichen, ob der Pfeffersprayeinsatz wirklich verhältnismäßig war.
Jetzt gibt es ein Ermittlungsverfahren, eine Anzeige gegen die Polizisten wird folgen. Das lässt wenig bis keinen Spielraum für ein Gespräch zwischen den Beteiligten, in dem mögliche jeweilige Fehler beleuchtet werden. Vielleicht kann das später geschehen. Damit die Polizisten nicht als übereifriges Rollkommando da stehen. Und die jungen Männer nicht als aggressive Halb-Kriminelle. Michael Koch
Die Feiernden erinnern sich anders: Als der Mieter die Tür geöffnet habe, hätten die Beamten ihn ohne wirklichen Grund körperlich fixiert. Als ein weiterer junger Mann zur Hilfe habe kommen wollen und die Treppe herunter gegangen sei, sei er gleich mit Pfefferspray attackiert worden.
Und so gibt es weitere, sehr widersprüchliche Schilderungen. Und die Aussagen von einem der Feiernden, der türkische Wurzeln hat: „Sie hatten mir Pfefferspray in die Augen gesprüht und mich dann mit Handschellen fixiert. Ich habe mehrfach gebeten, mir doch bitte das Zeug aus den Augen zu wischen, das hat unheimlich gebrannt. Da hat einer der Polizisten zu dem anderen gesagt: ’Der Türke soll sich nicht so anstellen. In seinem Land würde er ganz anders behandelt.’”
Diese Vorwürfe, so Polizeisprecher Ulrich Hanki, werde man derzeit nicht kommentieren: „Wir bleiben bei der bisherigen Darstellung.“ Aber gegen alle sechs jungen Männer seien Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden. „Und in diesem Zuge werden alle die Möglichkeit haben, Ihre Sicht zu schildern und sich auch anwaltlich vertreten zu lassen.” Wenn die jungen Männer Anzeige gegen die Polizei erstatten würden, dann werde natürlich auch gegen die Beamten ermittelt.
Das wird zumindest ein Teil der 20 bis 31 Jahre alten Männer tun. Anwalts-Termine seien bereits vereinbart. Sie fühlen sich in eine völlig falsche Ecke gedrängt. Einer von ihnen ist Automobil-Kaufmann und sagt: „Wir haben alle gutbürgerliche Berufe, sind teils in sozialen Berufen tätig oder machen eine Ausbildung, wir sind keine Kriminellen.” Drei der sechs jungen Männer sind polizeilich schon mal aufgefallen – allerdings nicht in größerem Maße.
Man habe sich auch nicht, wie dargestellt, extra betrunken, um zu provozieren oder sei extrem alkoholisiert gewesen. Das habe auch keiner gegenüber der Polizei zugegeben. Die von der Polizei durchgeführte Alco-Tests ergaben nach Informationen unserer Zeitung einmal einen Wert von 2 Promille, ansonsten von 0,7 über 1,2 bis 1,6 Promille. Einer hatte sogar nur 0,36 Promille. „Ich glaube, die waren total überfordert”, sagt einer der Männer, der als Altenpfleger arbeitet. „Aber da verliert man das Vertrauen in die Polizei.”