Hagen. . Im Rückblick kaum Vorstellbar: Viele Hagener glaubten am Tag der Invasion an eine Kriegswende zu Gunsten des Deutschen Reiches. Die schenkten der andauernden Propaganda glauben und sahen den D-Day vor 70 Jahren nicht als Anfang vom Ende.
Vielleicht gibt es viele Anfänge von diesem Ende. Jener Tag, an dem die alliierten Truppen in der Normandie landeten, war ein solcher. Vom D-Day ist die Rede. Ein Tag, an dessen Anfang ein grauenvolles Gemetzel an den französischen Atlantikstränden stand. Ein Tag, der auch weitreichende Folgen für die deutschen Städte wie Hagen haben sollte. Und der von Nazi-Größen und weiten Teilen der von Propaganda beeinflussten Hagener Zivilbevölkerung völlig falsch eingeschätzt wurde.
„Im Rückblick mag es eigenartig wirken, dass die Bevölkerung die alliierte Landung erwartete und auch siegesgewiss begrüßte“, sagt der Hagener Historiker Ralf Blank, Fachdienstleiter Wissenschaft, Museen und Archive, „aber das war Ergebnis der seit 1942 laufenden Propaganda. Der Atlantikwall, der auch auf Kosten des zivilen Luftschutzes in den deutschen Städten aufgebaut worden war, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Alliierten wieder ins Meer zurückgedrängt werden konnten. Es herrschte ein überzogenes Vertrauen in dieses Abwehrmittel.“
„Günstige Wende“
Tagebucheinträge und Vermerke, die im Stadtarchiv lagern und sich auf die Invasion beziehen, lassen sich so anders einordnen. „Von der Invasion versprach man sich tatsächlich eine günstige Wende der Kriegslage“, sagt Blank. „Aber die Wirklichkeit in der Normandie sah unterdessen ganz anders aus.“
US-Army eroberte im April 1945 eine zerstörte Stadt
Der D-Day, so schreibt der Hagener Historiker Ralf Blank, war auch für die Stadt Hagen der Anfang vom Ende.
Bereits vor diesem Tag hatte die Hagener Zivilbevölkerung durch mehrere Großangriffe alliierter Bomberverbände die volle Wucht der Krieges zu spüren bekommen.
Im April 1945 eroberten Truppen der US-Army die Stadt.
Als die Soldaten der 56. „Black Hawks“-Divison einrückten, lag die Stadt in Trümmern.
In einem Kriegstagebuch der Luftschutzpolizei Hagen vermerkte der wachhabende Offizier am Vormittag des 6. Juni: „In den frühesten Morgenstunden des 6.6.44 Beginn der Invasion auf die nordfranzösische Küste. Bevölkerung nimmt Nachricht sehr gefasst auf. In den Straßen selbst normaler Verkehr. Man gewinnt den Eindruck, dass alle froh sind, dass es endlich so weit ist.“
Glaube an Überlegenheit
Der Glaube an die Überlegenheit der deutschen Truppen war durchaus verbreitet. Hatte die Gauleitung Westfalen-Süd auch in Hagen noch im Mai 1944 zahlreiche Handzettel verteilt. „Darauf stand zu lesen, dass die Alliierten bei einer Invasion die kriegsentscheidende Niederlage zu erwarten hätten“, sagt Blank, „da traten sogar die Hoffnung auf die bereits im Sommer 1943 angekündigten Vergeltungswaffen in den Hintergrund.“
Das unterstreicht auch der Tagesbucheintrag von Richard Römer vom Invasionstag. Er war Werksmeister und Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront (DAF) bei den Stadtwerken und war dienstlich im Sauerland unterwegs. „Beim Mittagessen hörte ich von der Kellnerin, dass die Invasion im Westen in vollem Gang ist. Mir blieb der Bissen im Halse stecken. Nun ist also der Tag, auf den wir seit Jahren warten, da. Der große Kampf, der nach des Führers Worten mit der Vernichtung Englands enden soll, hat begonnen.“
Aachen im Oktober 1944 erobert
Allerdings gab es auch weitaus kritischere, distanzierte Einschätzungen: „Man ist sich allgemein darüber klar, dass es sich um ein sehr ernstes Ereignis handelt, das für Europa und jeden Einzelnen die schwersten Folgen haben kann“, schreibt Bernhard Petersen, Büroangestellter bei der Accumulatorenfabrik, vor genau 70 Jahren in sein Tagebuch.
Damit sollte er Recht behalten. Die Alliierten rückten immer weiter vor, eroberten Paris und im Oktober 1944 mit Aachen auch die erste deutsche Großstadt. „Im letzten halben Jahr des Krieges fanden mehr Zivilisten und Soldaten auf beiden Seiten den Tod, als in allen vorherigen Kriegsjahren zusammen“, sagt Dr. Ralf Blank.
Pompöse Gedenkfeier
Zu den Toten zählte auch der 36-jährige Fritz Witt. Der in Hohenlimburg geborene Generalmajor der Waffen SS starb am 14. Juni 1944 in der Normandie. Sein Gefechtsstand wurde von schwerer Schiffsartillerie unter Beschuss genommen.
„Witt zählte zur militärischen Elite der Waffen SS“, sagt Ralf Blank, „er wurde mit Eichenlaub und Ritterkreuz ausgezeichnet. Sein Ende in Nordfrankreich wurde zum Heldentod hochstilisiert. Zu seinem Gedenken wurde eine pompöse Feier im Stadttheater veranstaltet. Eine Abordnung der von Witt kommandierten SS-Panzerdivision ,Hitlerjugend’, die man eigens nach Hagener beordert hatte, sollte die Einheit von Front und Heimat unterstreichen.“