Hagen. . Was bedeutet Jesus heute? Werner Hahn, Leiter des Hagener Jugendtheaters, erkundet diese  Frage  mit  40 Jugendlichen unterschiedlicher Religionen. Das Ergebnis ist ein spannendes Theaterprojekt zur Passionszeit: „Who the hell is Jesus“

Dieser Jesus ist eine Nervensäge, ein Besserwisser. Es dauert lange, bis er begreift, dass Menschen Fehler machen und trotzdem liebenswert sein können. „Aber denken darf ich doch noch, dass sie blöd sind“, entgegnet Katharina Müller als Jesus ihren Partnerinnen Fabienne Hahn und Kübra Sekin, die Glaube 1 und Glaube 2 darstellen. „Who the hell is Jesus“ (Zum Teufel, wer ist Jesus?), so lautet die Frage eines spannenden Projektes am Hagener Kinder- und Jugendtheater.

Dessen Leiter Werner Hahn hat mit rund 40 Schülerinnen und Schülern verschiedener Glaubensrichtungen aus drei Hagener Schulen eine sehr bewegende und ganz heutige Passionsgeschichte entwickelt. Aufführungsort der unbedingt sehenswerten Inszenierung ist die Produktionshalle der Hagener Firma Bandstahl Schulte & Co. Bei der Premiere gab es langen Beifall im Stehen für das engagierte Ensemble.

Von Akteuren selbst angesprochen

Dabei geht es nicht darum, dass der Regisseur den Jugendlichen die Texte von oben herab ins Gebetbuch schreibt. Die Probleme und Themen, um die sich die Handlung dreht, sind von den Akteuren selbst angesprochen worden. In 12 Stationen werden collageartig Bibelstellen kritisch auf ihre Gültigkeit für das Hier und Jetzt überprüft.

„Die Jugendlichen sind total gemischt, ein repräsentativer Querschnitt durch die Hagener Jugend mit mehreren Religionen, mehreren Nationen und vielen Sprachen“, beschreibt Werner Hahn die Darsteller seines Stücks. „Es verbindet sie eines: Sie leben gemeinsam in dieser Stadt, sie erobern sich gemeinsam diese Stadt. Am Ende bleiben niedergerissene Zäune am Boden liegen, und es ist schön, dass es so etwas gibt.“

Gefangen im Scheinwerferlicht

Ausstatter Jeremias H. Vondrlik arbeitet hauptsächlich mit Licht, um in der kargen Industriearchitektur Spannung und Emotionen zu erzeugen. Die Menge tanzt zu aggressiven Rhythmen, gefangen in der Gitterstruktur der rasend rotierenden Schweinwerfer. „You blocked me on facebook. And now you’re going to die“ erklingt aus den Lautsprechern, während auf der Video-Leinwand Bomben explodieren und Soldaten marschieren: „Schuf Gott den Menschen? Bin ich ein Gotteskind?

Faszinierend ist, wie sich die uralten Menschheitsfragen in der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen spiegeln. Das @-Zeichen ist das goldene Kalb der Postmoderne, die Jugendlichen tanzen für sich alleine um es herum, jeder ausschließlich mit seinem Handy beschäftigt.

Mobberei, Ausgrenzung und Gewalt

Und auch die Versuchungen und Anfechtungen, denen der biblische Jesus ausgesetzt war, werden übersetzt. Ein Mädchen kann es nicht mit ansehen, dass ihre Kameradin auf einem veralteten Mobiltelefon herumtippt, weil deren Vater kein Geld hat, um ihr ein neues zu kaufen. Sie will ihres verschenken, weil sie ein aktuelles Gerät kriegt und macht daraus eine riesige Show. „Wer Gutes tut, soll nicht darüber reden“, wirft Jesus ein, der Spielverderber. Es gibt die alltägliche Mobberei, Ausgrenzung und Gewalt, die Verzweiflung der Außenseiter, die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Coolness.

Auch interessant

Zwei Büchertürme begrenzen die Spielfläche. Sie stehen für hergebrachtes Wissen, Regeln, Gebote - und werden skeptisch erkundet, denn „der Zweifel ist eine positive Kraft“. Was hat das zu bedeuten, dass er um des Friedens willen für uns gestorben ist, „der komische Typ vom Gerüst“? Erlösungsbedürftig jeder. Selbsterkenntnisse und Beichten wechseln sich ab mit flapsigen Bemerkungen über den Wunderheiler und seine seltsame Nächstenliebe: „Bloß nicht die Migrantennummer“ und „Jeder macht mal Fehler, man muss nur darauf warten können.“

Die knapp anderthalbstündige Inszenierung wird von Diana Ivancic flott choreographiert. Die Schülerinnen und Schüler treten in einer Art Uniform auf – schwarze Hosen und rote Kapuzen-Sweatjacken. „Wer hat uns gemacht?“ Diese Frage führt zwangsläufig zum „Wer bin ich selbst?“, zur Individualisierung in der Masse.

Vielstimmige Fragen

„Es ist ein riesiges Unterfangen, dem Geheimnis, wer dieser Jesus von Nazareth für uns heute ist, auf die Spur zu kommen“, sagt Werner Hahn. „Das hat ja zuletzt kein geringerer als Joseph Ratzinger versucht zu ergründen. Und bei uns bleiben zuletzt genauso viele Punkte offen wie bei dem emeritierten Papst.“ Genau diese Haltung macht das Stück so sympathisch. Es gibt keine festbetonierten Gewissheiten, aber es gibt vielstimmige Versuche, herauszufinden, was uns menschlich und einzigartig und wertvoll macht.

Das Theater Hagen muss ja allen Erfolgen und Leistungen zum Trotz immer wieder seine Existenz rechtfertigen. Wer wissen will, warum eine Stadt wie Hagen eine Bühne braucht, sollte sich „Who the hell is Jesus“ ansehen.