Hagen. . Ludwig Brandes hat ein Dialektgeographie für Südwestfalen zusammen getragen. Dass das Plattdeutsche praktisch im Raum zwischen Hagen und Iserlohn ausgetorben ist, kann er aber auch nicht mehr rückgängig machen. Es bleibt eine Menge Wehmut zurück.

Am Anfang stand ein Bauernhof. Und zwar einer in Hagen-Dahl. Dort wurde der kleine Steppke Ludwig Brandes ganz alltäglich und ganz natürlich mit dem dort gesprochenen Plattdeutsch konfrontiert. Zwei Jahrzehnte später, beim Englisch-Studium in Münster, kam dem angehenden Lehrer angesichts des Altenglischen die heimatliche Mundart wieder sehr präsent in den Sinn.

Und noch ein halbes Jahrhundert danach hat der inzwischen pensionierte Studiendirektor eine umfassende Doktorarbeit über eben jene „Mundarten des Raumes Breckerfeld - Hagen - Iserlohn“ verfasst.

2000 Vokabeln abgefragt

Ab 1988 begann Ludwig Brandes mit den systematischen Befragungen von mehr als 100 Bauern, Handwerkern und Akademikern der betreffenden Region. Anhand von 2000 Vokabeln entstand auf diese Weise ein dialektgeographischer Flickenteppich, den Brandes in seinem Buch auf mehr als 400 Seiten sprachwissenschaftlich ausgebreitet hat. Die erforschte Mundartentwicklung umspannt einen historischen Bogen von 1500 bis in die Gegenwart - in der die Mundarten nun allerdings so gut wie völlig ausgestorben sind.

Für den Laien ist es dabei besonders erstaunlich, wie kleinteilig die Mundarten über die Jahrhunderte hinweg überlebten. Soll heißen, schon an der nächsten Dorfecke sprachen die Menschen in mehr oder weniger großen Teilen unterschiedlich. In der untersuchten Gegend ist gegenwärtig das Platt allenfalls noch im Raum Breckerfeld in gewisser Weise lebendig: „Dort ist man in der betreffenden Sprachentwicklung etwa 30 Jahre zurück“, erklärt Ludwig Brandes. Schon ab 1800 habe das Hochdeutsche mehr und mehr die Überhand gewonnen. Brandes: „Man schämte sich des Plattdeutschen; es gehörte sich einfach nicht mehr.“ Aus der Schriftsprache schon längst verbannt, gab es die Mundart allenfalls noch im Privaten, im Gesprochenen.

Mindestens sechs Stunden hat Ludwig Brandes pro Befragten für seine Vokabellisten gebraucht. 63 Sprachkarten hat er dazu erstellt, die von politischen wie psychologischen Sprachengrenzen ebenso künden wie von Zusammengehörigkeitsgefühl und konfessionellen Unterschieden.

Mit Fleiß und Wehmut

Ein Lebensretter der Mundarten ist Ludwig Brandes mit seiner Fleißarbeit nicht geworden. Ganz nüchtern sieht er selbst seine Tätigkeit als „Beitrag zum archivischen Bewahren unserer Mundarten, eine Erinnerung an etwas einst sehr Lebendiges.“

Natürlich schwingt da bei dem Sprachforscher auch eine gute Portion Wehmut mit: „Das Plattdeutsche in all seinen Facetten vegetiert nur noch unter den älteren Generationen der unteren Schichten“, resümiert Brandes. Schon in kürzester Zeit werde die Standardsprache die einstmals westfälische Umgangssprache vollends ausgelöscht haben, ist sich der 77-jährige Pädagoge und Linguist sicher.

Der jüngste Zeitzeuge, der noch das Plattdeutsche als Muttersprache lernte und erlebte, ist heute auch schon 71 Jahre alt. Er stammt übrigens nicht aus Breckerfeld, sondern aus Iserlohn-Oestrich. Nach einem halben Jahrtausend verabschiedet sich nun ein Stück heimatlicher Kultur hinweg in die Schatten des Vergessenen. Es sei denn, man nimmt das Buch von Ludwig Brandes zur Hand.