Hagen.. Starke Stimmen, große Leidenschaft. Das Publikum bejubelt die Inszenierung des Musicals „Jesus Christ Superstar“ in Hagen mit fünfzehnminütigen stehenden Ovationen.
Vom Hosianna bis zum „Kreuziget ihn“ ist der Weg nicht weit. In vielen Oratorien haben Komponisten seit Jahrhunderten die Passion Christi vertont. „Jesus Christ Superstar“ steht als Rock-Musical in dieser Tradition. Das Theater Hagen zeigt Andrew Lloyd Webbers ersten Welterfolg jetzt in einer großartigen Ensemble-Leistung, die bei der Premiere eine Viertelstunde lang mit Beifall im Stehen gefeiert wurde.
Es ist schwer, den Leidensweg Christi zu inszenieren. Zwischen Kitsch und Klischee lauern zahllose Fallen auf Regisseure und Bühnenbildner. Denn Andrew Lloyd Webber stellt die Stationen auf dem Weg nach Golgatha wie mit dem Schneidbrenner heraus. Erzählt wird das Geschehen aber aus der Perspektive des Judas, der den Heiland verrät, weil er meint, ihn so retten zu können.
Mahnmal der Heimatlosigkeit
Regisseur Thilo Borowczak und Ausstatterin Lena Brexendorff verwandeln die Bühne in ein Mahnmal der Heimatlosigkeit: einen Busbahnhof oder Checkpoint mit Treppe, Telefonzelle und Hartschalensitzen. Wie bei gottlob vergangenen Reichsparteitagen bohren sich eiskalte Scheinwerfer-Lichtlanzen hoch aus dem Bühnenhimmel in die Szenerie. Die Hohepriester sind grausame Herren in Grau, deren Armbinden sie als Mitglieder eines Spezialkommandos ausweisen. Herodes tanzt in Gelb vorbei, der Symbolfarbe der Verachteten.
Diese Betonwüste hat keinen Notausgang; Jesus und seine Jünger wirken darin, als seien sie geradewegs aus dem Wolkenkuckucksheim gefallen. Die Apostel saufen und kiffen sich aus der Realität; keiner will mit dem Menschensohn wachen, der ein „Herz Jesu“-Symbol auf seinem T-Shirt trägt.
Hannes Staffler spielt den Jesus als zweifelnden Mann. Und er singt mit einer tief bewegenden Fülle von Farben im Tenor. Er will nicht sterben, und hält dieses „sterben“ so hoch und so lange, dass es die Engel im Himmel rühren möchte. Carsten Lepper als Judas ist die personifizierte Versuchung Christi. Sein Tenor ist präsent, man überhört seine unbequemen Fragen nicht, zum Beispiel, ob der Opfertod wirklich nötig ist. Beide Gäste sind Musicalprofis, aber auch das Hagener Ensemble zeigt eine unglaubliche Leistung. Nach Opernsängern, die sich so leidenschaftlich ins Musical-Metier stürzen, muss man lange suchen.
Wie aus Fans ein Mob wird
Orlando Mason macht den Kaiaphas mit höllentiefem Bass zum bösen Priester. Rainer Zaun wird aktuell als Don Pasquale in Hagen gefeiert und ist nun als Pontius Pilatus so überzeugend, als hätte er sein Lebtag nichts anderes als Musical-Rollen einstudiert – größer kann die Spannbreite eines Bass-Repertoires gar nicht sein.
Die Maria Magdalena wird meist mit einer blutjungen Sängerin besetzt. Hagen wählt für diese Rolle die große Theaterkünstlerin Marilyn Bennett. Ihre Maria Magdalena ist eine Mischung aus Kriegerprinzessin und allzu erfahrener Frau, und mit ihrer schwarzen Schleierkapuze sieht sie aus wie einem Gemälde der Alten Meister entstiegen, auf dem die drei Marien den Gekreuzigten beweinen.
Der Hagener Opernchor wird durch Studierende der Musikhochschule Osnabrück verstärkt; Ballettchef Ricardo Fernando choreographiert mit ihnen, wie aus Fans der Mob wird. Kapellmeister Steffen Müller-Gabriel und die Hagener Philharmoniker, die hinter der Bühne spielen, zeigen mit Elan, wie packend diese Rock-Partitur heute noch ist, die sich wohltuend von den späteren weich gespülten Lloyd-Webber-Musicals abhebt.
Hammerschläge auf Holz
Am Ende hört man ein paar Hammerschläge auf Holz. Man weiß ja seit über 2000 Jahren, dass die Sache nicht gut ausgeht. Dann klagt die Flöte ihr Leid. Und schon ist die Brücke gebaut zwischen Rockmusik und den alten Kirchenkomponisten, die mit diesem Instrument die Verbindung zwischen Seele und Himmel symbolisieren. Im Original betrauert Maria Magdalena Jesus. In der Hagener Inszenierung übernimmt das Judas. Warum, darf sich jeder selbst interpretieren.
Karten: 02331 / 2073218, Internet: www.theaterhagen.de