Hagen-Eppenhausen. . Die Hagenerin Kerstin Gorny hat sich nach dem Abitur erstmal eine Auszeit gegönnt. Auf der faulen Haut hat sie trotzdem nicht gelegen. Sie heuerte für den Bundesfreiwilligendienst beim Pflegeheim Wohlbehagen an und hat seitdem nicht nur selbst viel gegeben, sondern auch einiges zurückbekommen.

Elfriede hört schlecht. Kerstin Gorny muss sich zu ihr hinunterbeugen. So nah, dass zwischen ihren Worten und Elfriedes linkem Ohr nur noch zwei Zentimeter liegen. Rufen muss Kerstin trotzdem. Ob Elfriede Lust auf eine Spazierfahrt durch den Garten habe, will sie wissen. Elfriede guckt die junge Frau mit großen Augen an, kurz scheint es so als hätte sie nicht verstanden. Dann aber nickt die Dame im Rollstuhl und lächelt. „Ja, gerne. Ist doch so schönes Wetter.“

Bewohner durch den Garten spazieren fahren, das ist eine der leichteren Übungen im Pflegeheim Wohlbehagen. Etwas mehr Überwindung kosten da schon die anderen Aufgaben: Bewohner waschen, duschen – und ja, das Gesäß abputzen gehört auch dazu. Trotzdem bereut Kerstin Gorny ihre Entscheidung keine Sekunde. Die 20-Jährige ist „Bufdi“ in der Altenpflege.

Statt Zivi nun also Bufdi

Buf-was? Das fragte sich Kerstin selbst noch vor einem Jahr. „Ich kannte den BFD gar nicht, nur das FSJ.“ BFD, FSJ – wer sich freiwillig sozial engagieren will, kriegt es mit Abkürzungen zu tun. Während es das FSJ, das freiwillige soziale Jahr, schon seit 1964 gibt, ist der BFD, der Bundesfreiwilligendienst, eine junge Erfindung. 2011 führte ihn die Bundesregierung ein, um die Aussetzung des Zivildienstes zu kompensieren. Statt Zivi nun also Bufdi.

Den Bewohnern und ihren Angehörigen ist der Name egal. Sie haben ihre eigene Bezeichnung für Kerstin: „Entschuldigen Sie, Schwester. . .“ Eine Dame mit akkurater blonder Kurzhaarfrisur und quietschgelber Bluse steckt ihren Kopf hinaus in den Flur. „Darf ich Sie bitten, uns eine Tasse Kaffee zu bringen? Für meinen Bruder Werner?“ „Ja, gerne. Mit Milch und Zucker?“

Nächste Herausforderung: Studium

„Schwester“ Kerstin springt überall ein, wo sie gebraucht wird. „Ich bin vor allem helfende Hand“, sagt die 2012er-Abiturientin, die sich nach der Paukerei eine produktive Auszeit gegönnt hat. „Ich wollte erstmal selbst Geld verdienen, mich umhören, ob ein Studium das Richtige ist oder doch lieber eine Ausbildung.“ Inzwischen ist klar: Ein Studium soll es sein. „Entweder Jura oder Informatik.“

Kerstin serviert Werner den frisch gebrühten Kaffee. Seine Schwester hat Kirschtörtchen mit Sahne mitgebracht. „Das ist lieb“, sagt die Dame in Gelb. Werner sagt nichts, greift stattdessen Kerstins Hand und scheint sie gar nicht mehr loslassen zu wollen. Mit ihren langen schwarzen Haaren erinnert Kerstin ihn an seine Tochter.

Bufdi kann sich bezahlt machen

Nicht jedem Bewohner wird der Abschied leicht fallen, wenn Kerstins BFD Ende August ausläuft. Doch vielleicht ist es kein Abschied für immer. „Mein Chef hat mir angeboten, neben dem Studium weiter hier zu arbeiten“, sagt Kerstin. Sollte sie einen Studienplatz in der Nähe bekommen, wäre die Finanzierung also schon gesichert. Auch so kann sich der BFD bezahlt machen.

Kerstin hat er aber noch mehr gegeben: „Ich hab’ mich auch menschlich verändert, bin viel mehr aus mir rausgekommen.“ Früher sei sie eher still gewesen. Das gehe im Pflegeheim nicht, „weil die Leute meistens nicht von selbst auf einen zukommen.“ Oder auch nur, weil sie schlecht hören.