Breckerfeld. . Vor 70 Jahren sprengte eine Rollbombe die Mauer der Möhnetalsperre. Ein Angriff auf die Ennepetalsperre scheiterte in gleicher Nacht.

Dichter Nebel lag am frühen Morgen des 17. Mai über der Ennepetalsperre. Nebel, der ein wahrer Segen war. Für Tausende Menschen, die entlang des Tals zwischen Breckerfeld und Hagen lebten und arbeiteten.

Gigantische Flutwelle

Es war am 17. Mai 1943 als eine Lancaster des britischen Bomber Command um 3.37 Uhr eine Rollbombe über der Breckerfelder Talsperre abwarf. Die todbringende Waffe sollte die 51 Meter hohe und 275 Meter lange Staumauer treffen und zerstören. Sie hätte in der selben Nacht, in der die britischen Bomber die Staumauer des Möhnesees trafen und die Wassermassen im Ruhrtal Tausende von Menschen in den Tod rissen, eine weitere gigantische Flutwelle ausgelöst. Dreimal aber musste die Maschine wegen Bodennebels die Talsperre anfliegen. Der Angriff scheiterte schließlich.

„Hätte das Bomber Command in der Nacht auch die Ennepetalsperre sowie die ebenfalls angegriffene Sorpe- und Listertalsperre zerstört, wären die Auswirkungen von biblischen Ausmaß gewesen“, sagt Dr. Ralf Blank, Historiker und Fachdienstleiter Wissenschaft, Museen und Archive bei der Stadt Hagen. „Im Fall der Ennepetalsperre wäre Hagen direkt betroffen gewesen, die Wasserflut der Listertalsperre hätte auch das Lennetal bei Hohenlimburg getroffen.“

Mehrjährige Planungen des Angriffs

Blank, Dozent am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum, hat die Angriffe auf die Talsperren des Sauerlandes, die sogenannte „Operation Chastise“ (Züchtigung), intensiv untersucht. „Dem Angriff gingen mehrjährige Planungen und Vorbereitungen voraus“, sagt Blank, „bereits im Oktober 1937 werden die Talsperren Möhne und Sorpe als potenzielle Luftangriffsziele in den Zielunterlagen des britischen Air Ministry erwähnt. Aber erst 1943 verfügte das Bomber Command über eine Bombe, deren Sprengkraft groß genug war, um die Staumauern zu zerstören. Vor dem Angriff auf die Talsperren wurden auf britischer Seite mehrere Studien erstellt, wie sich die geplante Zerstörung auf die ,Kriegsmoral’ der Zivilbevölkerung sowie auf die Wirtschaft auswirken würden.“

So sah die Mauer der Ennepetalsperre einst aus. Vor 70 Jahren wurde sie Ziel einer Rollbombe.
So sah die Mauer der Ennepetalsperre einst aus. Vor 70 Jahren wurde sie Ziel einer Rollbombe. © WP

An Modellen wurden die Wirkungen der verschiedenen Abwurfmethoden getestet. Allein für die Möhne, so die Experten, würde eine Bombe mit einem Explosionsgewicht von zehn Tonnen benötigt. Eine Waffe, die kein Flugzeug tragen konnte. „Im Dezember 1942 hatte der Flugzeugkonstrukteur Barnes Neville Wallis schließlich eine Rollbombe mit einem Gewicht von 4200 Kilogramm entwickelt, die bis zur Produktion von 50 Exemplaren im April 1943 modifiziert wurde“, so Blank. „in ihrer letzten Version glich sie optisch einem Fass.“

Wie ein flacher Stein über dem Wasser

„Upkeep“, so der Name der Waffe, musste vor dem Abwurf in Rotation versetzt und in ganz bestimmter Höhe und Distanz zum Ziel abgeworfen werden. Der Plan sah vor, dass sie wie ein flach geworfener Stein über das Wasser und damit über die Torpedonetze hinweghüpfen sollte.

Vom Hauptquartier des britischen Bomber Command wurde für die Mission eigens ein Spezialverband zusammengestellt. Wing Commander Guy Penrose Gibson, damals 25 Jahre jung, hatte den Befehl über das neu formierte 617. Bomb Squadron. „In einem sechswöchigen Training wurden die Mitglieder auf ihren Einsatz vorbereitet“, erklärt Blank, „die Besatzung der Maschinen übte die Manöver unter anderem über Talsperren in der englischen Grafschaft Derbyshire.“ Am 15. Mai wurden Piloten, Navigatoren und Bombenschützen von 21 Maschinen über die Details der Operation informiert.

19 Bomber starteten in Richtung der Talsperren

„Der Angriff auf vier Talsperren im Sauerland sowie auf die Edertalsperre erfolgte auf dem Höhepunkt des ,Battle of the Ruhr’“, so Blank über die Luftoffensive zwischen März und Juli 1943. In der Nacht starteten 19 der ursprünglich 21 eingeplanten Flugzeuge. „14 viermotorige Lancaster-Bomber der ersten und zweiten Angriffswelle starteten am 16. Mai zwischen 21.29 und 22.01 Uhr auf dem Fliegerhorst Scampton in Ostengland. Im Tiefflug über das Festland hinweg näherten sie sich ihren Zielen – der Möhne- und der Edertalsperre.“

Erst beim sechsten Anflug gelang es einer Lancaster, um 0.49 Uhr die Möhnestaumauer zu zerstören. Knapp drei Stunden später schlug in einer dritten Angriffswelle die Bombardierung der Mauer der Ennepetalsperre fehl.

Mehr als 1570 Todesopfer

„Die nach der sogenannten Möhnekatastrophe einsetzende Legendenbildung reicht bis in die Gegenwart“, so Blank. „Geht man den Legenden auf den Grund, stellen sie sich teilweise als haltlos und unwahr heraus. So werden beispielsweise immer wieder 1294 Todesopfer, darunter rund 800 Zwangsarbeiter genannt. Auch wird behauptet, der Angriff und die Zahl der Toten sei von den Nationalsozialisten verschwiegen worden. Beides ist falsch. Schon am 1. Juni veröffentlichten die Zeitungen die Zahl von über 1570 Todesopfern, darunter mehr als 1000 Ausländer. Mit dieser Offenheit versuchte das NS-Regime den Gerüchten entgegenwirken, da im Reichsgebiet von 30.000 Toten durch den Angriff die Rede war.“

Das britische Bomber Command verlor in der Nacht acht von 19 Lancaster. 53 Besatzungsmitglieder starben. Drei gerieten in Kriegsgefangenschaft. 77 kehrten zurück und wurden mit Orden dekoriert. Die 617. Bomb Squadron trug fortan den Beinamen „Dambusters“. Das Staffelabzeichen zierte den Spruch „Après moi, le déluge“ (Nach mir die Sintflut).