Hagen. Das Theater Hagen führt Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ auf ihre musikalischen Wurzeln zurück. Das Publikum zeigt sich begeistert von der Opern-Parodie und feiert ein leidenschaftliches Ensemble.

Jenseits von Ganovenehre und Hurenromantik ist „Die Dreigroschenoper“ in erster Linie eine Opern-Parodie. Beim Komponisten Kurt Weill kriegt jeder sein Fett weg, Händel ebenso wie Mozart und Wagner. Schauspiel-Inszenierungen stellen gerne den Autor Bertolt Brecht in den Vordergrund. Das Theater Hagen führt das populäre Stück aber jetzt mit einem Ensemble aus leidenschaftlichen Sängern auf seine musikalischen Wurzeln zurück.

Obwohl die Nazis das Werk sofort verbieten, ist die „Dreigroschenoper“ der berühmteste Beitrag zum Musiktheater im 20. Jahrhundert – und der erste, der schon kurz nach der Premiere 1928 dank der neuen Massenmedien Rundfunk und Schallplatte ein Eigenleben neben der Bühne führt. Heute erweist sich das Stück trotz der ungebrochenen Popularität als schwer zu inszenieren. Nimmt man Schauspieler, hapert es oft am Gesang. Nimmt man Opernsänger, wackelt es gerne beim Text.

Das Ensemble mit Tanja Schun (Mitte) und Christian Higer (vorne links). Foto: Stefan Kühle
Das Ensemble mit Tanja Schun (Mitte) und Christian Higer (vorne links). Foto: Stefan Kühle

Außerdem sind nur die Lieder Hits, die Dialoge dazwischen jedoch häufig quälend, und es gelingt praktisch keinem Regisseur, diese Längen flott zu überspielen. Auch Thomas Weber-Schallauer nicht, der in Hagen die gängigen Dreigroschen-Klischees vermeiden will. Daher lässt er alle Akteure mit weiß-rotwangig geschminkten Pantomimen-Gesichtern auftreten. Und sein Mackie ist kein charismatischer Mörder, sondern ein schmieriges Kerlchen mit einer Vorliebe für baumlange Nutten.

Im Gegenzug rutscht Weber-Schallauer allerdings häufig in andere Klischees ab, indem er die Figuren ohne Zwischentöne wie Operetten-Karikaturen anlegt: Polly zum Beispiel muss wie eine Dreijährige trotzen und heulen, und Mackie soll immer brüllen, wenn ihm etwas nicht passt.

Auf der anderen Seite stehen in Hagen Solisten auf der Bühne, die begeisterte Darsteller sind und sich besonders im satirischen Fach auskennen. Werner Hahn ist ein gemütlicher Bettlerkönig Peachum mit österreichischem Akzent. Zu gemütlich denkt man, bis Hahn mit boshaftem Vergnügen hinter der jovialen Fassade des Kirchgängers gerissene Gewinngier entblößt: „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.“

Dreigroschenoper im Theater Hagen

Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett (r) und Evelyne Wehrens.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett (r) und Evelyne Wehrens. © Stefan Kühle / Theater Hagen
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Tanja Schun (Mitte), Christian Higer (vorne links) und Orlando Mason.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Tanja Schun (Mitte), Christian Higer (vorne links) und Orlando Mason. © Stefan Kühle / Theater Hagen
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Evelyne Wehrens und Christian Higer.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Evelyne Wehrens und Christian Higer. © Stefan Kühle / Theater Hagen
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Orlando Mason (oben) und Werner Hahn.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Orlando Mason (oben) und Werner Hahn.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Christian Higer.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Christian Higer.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen:  Ensemble mit Christian Higer (oben) und Horst Fiehl.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Christian Higer (oben) und Horst Fiehl.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Christian Higer, Tanja Schun und Maria Klier.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Christian Higer, Tanja Schun und Maria Klier.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett und Werner Hahn.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett und Werner Hahn.
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Marilyn Bennett ist als Mrs. Peachum eine abgestiegene Kleinbürgerin, die zwischen Schnaps und Pelzkragen ihren Vorteil durchaus zu wahren weiß: „Wer kocht ihn ab, der alle abkocht: Weiber.“ Evelyne Wehrens verkörpert als Spelunkenjenny nur scheinbar den Prototyp der Nutte mit dem großem Herzen. Sie weiß, dass Tugenden schädlich sind, wie es im Salomon-Lied heißt.

Und ein Schiff mit acht Segeln

Tanja Schun interpretiert gerne Chansons und schreibt auch selber welche. Das kommt ihr als Polly zugute. Ihr Barbarasong ist ein Grenzgang zwischen zuckersüßer Sopranseligkeit und eiskalter Berechnung: „Ja, da muss man sich doch einfach hinlegen.“ Und die Ballade von der Seeräuberjenny wird zur Persiflage auf Sentas Ballade im „Fliegendem Holländer“.

Das Ensemble mit Tanja Schun (v.l.), Werner Hahn und Marilyn Bennett . Bild: Stefan Kühne
Das Ensemble mit Tanja Schun (v.l.), Werner Hahn und Marilyn Bennett . Bild: Stefan Kühne

Die entzückende Maria Klier rast als Pollys Rivalin Lucy vor „Eifersucht, Wut und Häme“, was aus Mozarts „Don Giovanni“ stammen könnte – nur dass Donna Elvira kein Rattengift verwenden würde. Gegen diese Weiber hat Christian Higer als Mackie keine Chance: ein Zuhälter, dem der Bandenboss-Anzug eine Nummer zu groß ist, weshalb er immer wieder zur Mutti flüchtet: „So hielten wir’s ein gutes halbes Jahr in dem Bordell, wo unser Haushalt war.“

Rostige Kathedrale

Wie sehr sich das Ensemble in die Aufgabe wirft, zeigt das erste Dreigroschen-Finale „Über die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse“. Marilyn Bennett, Tanja Schun und Werner Hahn tanzen und singen, als wollten sie nie mehr damit aufhören. Jan Bammes hat eine seiner wunderbaren Bühnen gebaut. Bettler und Diebe residieren in einer rostigen Industrieruine, kathedralengleich und doch genauso abgewrackt wie das Personal.

Kurt Weills Ouvertüre ist eine augenzwinkernde Verbeugung vor der Barockoper, und die philharmonische Dreigroschenband unter Alexander Ruef hat alle Hände voll damit zu tun, im Fugato nicht rauszufliegen. Denn Weills rhythmisch scharf akzentuierte Partitur muss sauber intoniert werden, um typisch schräg zu klingen. Sobald sie sich warmgespielt haben, zaubern die Musiker allerdings jene aufregenden Klänge, die die „Dreigroschenoper“ zum Welterfolg machen.

Wieder am 8., 11., 18. Mai, 19., 23., 26. Juni, 4., 12. Juli. Karten: 02331 / 2073218 oder www.theater.hagen.de