Hagen. . Es ist noch gar nicht so lange her, da diskutierte die Republik heftiger als heute über die Rechte von Frauen. Selbstverständlich geworden sind sie auch heute noch nicht – und die junge Generation will nicht immer etwas davon wissen. Eine Bestandsaufnahme in Hagen.
Anfang der Woche feierte die Ikone der Frauenbewegung Geburtstag, Alice Schwarzer. Die heißeste Phase im Kampf um die Rechte der Frauen ist zwar schon vorbei, viele Erfolge wurden bereits verbucht. Doch in vielen Köpfen ist das traditionelle Rollenmodell „Der Mann verdient, die Frau kümmert sich um die Kinder und den Haushalt“ bereits wieder auf dem Vormarsch. Auch in Hagen. Ein Interview mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Anna Vierhaus, sowie der Vorsitzenden des Frauenbeirates, Kirsten Pinkvoss.
Der Kampf um die Frauenrechte scheint ein wenig an Dynamik verloren zu haben, eine Person der Zeitgeschichte wie Alice Schwarzer gilt heute vielen als nicht unbedingt mehr zeitgemäß. Wie erleben Sie die Situation in Hagen?
Vierhaus: Meine Stelle gibt es seit 1986, da war der Höhepunkt der Frauenbewegung schon vorbei. Am Montagmorgen war ich an der Heinrich-Heine-Realschule, und dort habe ich erlebt, dass das Thema Frauenrechte im Geschichtsunterricht behandelt wird. Geschichte, nicht Politik. Das sagt schon was. Aber sicher ist es so, dass das Thema an Aktualität verloren hat – im Bewusstsein, nicht im Alltag. Frauen können alles erreichen, was sie wollen. Theoretisch stimmt das ja auch. Aber das ist so ein bisschen wie in Amerika, wo jeder Millionär werden kann.
Was fehlt Ihnen beispielsweise?
Vierhaus: 95 Prozent der Menschen in Deutschland sind für die Gleichberechtigung, aber die Menschen leben nicht danach. Früher gab es eine ganz wichtige Forderung: Die Hälfte des Himmels gehört uns. Und dazu gehört auch die Hälfte der Macht. In Hagen sind nur rund 29 Prozent der Ratsmandate mit Frauen besetzt, und diese Quote ist rückläufig.
Pinkvoss: Und bei Schlüsselpositionen wie Fraktionsvorsitzende, Dezernenten oder eben Bürgermeister sieht es ganz mau aus.
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Vierhaus: Beim Gender-Ranking 2010 der Fern-Universität Hagen, bei dem bei den wichtigsten Positionen in Politik und Verwaltung einer Stadt gezählt wurde, ob sie von einem Mann oder einer Frau besetzt werden, kam die Stadt Hagen auf Platz 75 – von 79. Bundesweit.
Geht es Ihnen um Gerechtigkeit?
Vierhaus: Es geht nicht nur um die Gerechtigkeitsfrage, sondern auch um die Sichtweise, um andere Lösungswege beim gleichen Thema. Ich sitze ab und zu in Gremien, in der ich die einzige Frau bin. Ein Beispiel: Bei der Stadt gab es eine Familienhebamme, die viele sozial schwache Familien unterstützt hat, aber die hatte nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Meine Aufgabe war es dann, den Herren klar zu machen, warum die Arbeit der Hebamme wichtig war. Ich bringe Argumente vor, mit denen sich viele Männer nicht so sehr beschäftigen.
Ein Tag reicht nicht zum Umdenken
Wie sieht die nachwachsende Generation das Thema?
Vierhaus: Der Frauenanteil in der Politik ist rückläufig, trotz programmatischer Bemühungen, Frauen zu gewinnen.
Pinkvoss: Man müsste überlegen, wo und wie die Frauen durch das Raster fallen. Man spürt, dass es ein Nachwuchsproblem gibt in der Politik. Junge Menschen gehen eher in inhaltliche Vereinigungen für bestimmte Probleme, seltener in Parteien. Für Frauen ist das zum Teil auch ein Zeitproblem. Die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf lässt wenig Zeit für sonstiges Engagement wie Ehrenamt. Gerade in der jüngeren Generation. Wenn man als Politik diese Frauen gewinnen möchte, müsste man überlegen, wie Strukturen geändert werden müssten, damit Frauen aktiv am politischen Leben teilnehmen können.
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Frauen sind häufiger für die Familie verantwortlich, das zeigt auch eine Arbeitslosenstatistik. 96,2 Prozent aller Berufsrückkehrer in Hagen sind Frauen, nur 3,8 Prozent Männer.
Vierhaus: Die Hagener Wirtschaft ist auf verarbeitendes Gewerbe und auf Technik ausgelegt, das sind keine Arbeitsplätze für Frauen. Eine Sache finde ich erschreckend: Wir machen schon seit so langer Zeit Mädchenarbeit, aber die Berufswünsche sind gleich geblieben. Soziales, Gesundheit und der kaufmännische Bereich interessieren Frauen, Männer sind für Technik. Übrigens: über zwei Drittel der geringfügig Beschäftigten in Hagen sind Frauen; also: geringes Einkommen, wenig Rente.
Pinkvoss: Aktionen wie der Girls Day sind in Ordnung, aber ein Tag im Jahr reicht für das Umdenken nicht aus.
Vierhaus: Das Vorbild der Eltern ist entscheidend. Das gleiche gilt beim umgekehrten Thema, wenn Jungs sich für Frauenberufe interessieren, etwa als Erzieher in Kindergärten oder als Lehrer in Grundschulen.
Thema häusliche Gewalt
Wie ist die Situation beim Thema häusliche Gewalt?
Vierhaus: Da hat sich schon was verändert. Insbesondere seit dem Gewaltschutzgesetz ist häusliche Gewalt in der Öffentlichkeit präsent. Die Botschaft ist klar: Es ist keine Familienstreitigkeit, sondern eine Straftat. Null Toleranz bei Gewalt zu Hause. Die Zusammenarbeit am Runden Tisch, bei dem zehn Hagener Institutionen zusammenarbeiten, hat sich, nach anfänglichen Schwierigkeiten, bewährt. Die Hagener Polizei, die die Wegweisungen der gewalttätigen Personen aus der eigenen Wohnung ausspricht, ist gut geschult. Die übrigen beratenden Stellen werden eingebunden.
Im Hagener Frauenhaus gehen die Aufnahmezahlen seit Jahren hoch, im Augenblick liegen sie bei bis zu 100 Fällen pro Jahr. Steigt das Gewaltpotenzial in den Familien oder werden mehr Fälle angezeigt?
Vierhaus: Steigende Fallzahlen, auch bei der Wegweisung, weisen darauf hin, dass mehr Menschen für sich oder andere Hilfe holen. Keine Frau ist absolut sicher davor, geschlagen zu werden.
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Sind die Frauen einer Meinung?
Vierhaus: Auf der einen Seite gibt es die Gruppe derjenigen, die von der Gleichstellung und der Emanzipation profitieren. Aber es gibt auch eine große Gruppe Frauen, die gering qualifiziert sind oder einen Berufsabschluss haben, der nicht mehr so gebraucht wird. Manche greifen dann, auch bedingt durch die Krise, auf das alte Rollenmuster zurück, mangels Alternativen.
Pinkvoss: Die Überlegung „Der Mann ist der Ernährer“ spielt da schon eine Rolle. Viele bleiben aber auch zu Hause trotz hoher Qualifikationen, das ist auch eine Frage der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Egal wie man das bewertet, muss die Möglichkeit der Betreuung jeder Familie offen stehen.