Hagen. . 500 Kilometer will der Hagener Henryk Ambrusch laufen - von Hagen nach Berlin. Dabei ist er aufgrund einer Rheumaerkrankung und defekter Sprunggelenke zu 90 Prozent schwerbehindert. Doch Ambrusch will ein Zeichen setzen und aufmerksam machen auf sexuellen Missbrauch. Ein Thema, von dem der heute 41-Jährigen selbst betroffen hat.
Der Blick auf das Mauerdenkmal am Hagener Hauptbahnhof führt Henryk Ambrusch deutlich vor Augen, auf was er sich in den nächsten Tagen und Wochen einlässt. Der Hasper will ab kommenden Dienstag die rund 500 Kilometer bis in die Bundeshauptstadt laufen – und das, obwohl er aufgrund einer Rheumaerkrankung und defekter Sprunggelenke zu 90 Prozent schwerbehindert ist.
„Ich muss diese Aktion jetzt einfach starten. Ich muss endlich ein besonderes Zeichen setzen“, sagt der 41-Jährige, der sich bereits 2009 Gedanken über einen Protestmarsch nach Berlin gemacht hat. Doch damals blieb Henryk Ambrusch in Hagen und organisierte in seiner Heimatstadt erstmals eine Kundgebung gegen sexuellen Missbrauch. Eben jenes Thema, dass den selbst betroffenen Mann, teils am Stock gehend, teils im Rollstuhl sitzend, erneut antreibt.
Aufmerksamkeit erwecken
„Drei Veranstaltungen auf dem Ebert-Platz und zwei Kunstausstellungen habe ich zu dem Tabuthema bislang organisiert. Die haben in den Jahren zwar immer mehr Zuspruch gefunden, aber ich habe das Gefühl, dass das Thema in der Öffentlichkeit immer noch nicht angekommen ist. Das muss es aber, wenn wir unsere Kinder und Jugendlichen aber auch Erwachsene durch mehr Aufmerksamkeit vor sexuellen Missbrauch in jeglicher Form schützen wollen.“
Immer noch werde in Familien, in Institutionen wie der Kirche, in Vereinen – eben in der gesamten Gesellschaft geschwiegen und teilweise sogar weggeguckt, wenn es um sexuellen Missbrauch geht. Damit müsse endlich Schluss sein. Denn die Fälle, die ans Licht kommen und heute fast täglich vor Gericht verhandelt würden, seien doch nur die Spitze des Eisbergs. Dass ein Mann am Stock dafür nach Berlin läuft, soll Aufmerksamkeit erwecken, soll die Menschen wachrütteln. Doch Ambrusch relativiert: „Wir brauchen aber keine Helden, wir brauchen mehr Menschlichkeit. Dass ich den Weg auf mich nehme, soll nicht falsch verstanden werden. Es gibt nämlich noch einen aktuellen Anlass.“
Seit zehn Tagen im Hungerstreik
So befindet sich der Vorsitzende des Vereins „netwerkB“ (das Netzwerk Betroffener sexuellen Missbrauchs), Norbert Denef (63), heute seit zehn Tagen im Hungerstreik. Denef, er liegt zurzeit geschwächt in seinem Haus in Scharbeutz auf dem Sofa, wurde als Kind Opfer fortgesetzten sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Er will mit seiner Aktion erreichen, dass die Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch aufgehoben wird. Seine eindringliche Rede auf dem Bundesparteitag der SPD am 6. Dezember 2011 in Berlin wurde mit Applaus bedacht. Doch sie ist längst verklungen – passiert ist nichts. Auch ihm geht es um ein Signal an die Gesellschaft.
„Was Denef dort im Norden für unsere Sache tut, das hat mir sehr imponiert. Daher habe ich mich jetzt auch spontan zu dem Gang nach Berlin entschlossen.“ Noch ist der Hasper auf der Suche nach Unterstützern. Ideal wäre natürlich ein Wohnmobil, dass ihm auf seinem schweren Weg in die Landeshauptstadt begleiten könnte. „Egal, was bis Dienstag passiert, ich gehe auf jeden Fall. Ob ich damit etwas erreiche, ist eine andere Frage."
An der Ostsee, so berichteten die "Lübecker Nachrichten", hat sich Schleswig-Holsteins SPD-Landesvorsitzender Ralf Stegner mit Denef in Verbindung gesetzt. Er will das Thema Verjährung am 25. Juni auf die Tagesordnung des von ihm geleiteten Arbeitskreises Innenpolitik der Bundes-SPD setzen.