Hagen. . Ihre Musik ruft geradezu nach sinfonischer Ergänzung: Jetzt spielt die Pro-Rock-Band Grobschnitt erstmals mit den Hagener Philharmonikern. Das Theater Hagen wird zu Rockpommel’s Land. Ein Märchen um gestrohlenes Kinderlachen.

Als langmähnige Hippies kann man sie nun wirklich nicht mehr beschimpfen, so wie damals, in den 1970ern. Die Grobschnitt-Musiker sind in die Jahre gekommen, die Haare sind ihnen ausgegangen, die Fans dagegen nicht. Aber wer will von Äußerlichkeiten reden. Tatsächlich ist die Musik der Hagener Pro-Rock-Band genauso jung wie Ernie, der phantasiereiche Junge, der auf einem Papiersegler fliegen kann. Zum ersten Mal nun tritt die „kleine Band“ mit einer „großen Band“ auf, mit den Hagener Philharmonikern in ihrer Heimatstadt. Vier Abende lang verwandelt sich das Theater Hagen in Rockpommel’s Land, alle sind restlos ausverkauft. Sogar aus der Türkei und Kanada, aus Neu Delhi und Singapur reisen die Fans an, um ihre Gruppe live erleben zu können.

Grobschnitt ist die einzige Rockband, die sich je getraut hat, ein Märchen um gestohlenes Kinderlachen zu einem Stück von abendfüllender Länge zu komponieren. 2006 hat sich die Gruppe wiedervereinigt; heute spielen auch die Söhne der Mitglieder mit. Das Crossover mit den Philharmonikern ist keine Zweckehe, sondern eine Liebesbeziehung.

Programm im Format einer Wagner-Oper

Beide Partner haben ein zweiteiliges Programm von Wagneropern-Format entwickelt. Im ersten Teil gibt es Grobschnitt-Klassiker. Die Philharmoniker spielen zum Auftakt „Geschichten aus dem Wienerwald“ – wer hat sich das denn gewünscht? - und „Silent Movie“, ein Sternenstück, das wunderbar zum Grobschnitt-Universum passt. Der zweite Teil ist dann Rockpommel’s Land gewidmet.

Thilo Borowczak, Grobschnitt-Fan der ersten Stunde und inzwischen Oberspielleiter am Theater Hagen, hatte die Idee zu dem Projekt und inszeniert es. So trifft die berühmte psychedelische Wundertüte von Grobschnitts legendären Bühnenshows auf den Zauberkasten Theater, und das Ergebnis ist überwältigend.

Grobschnitt - die Rebellen unter den Rockmusikern

Grobschnitt waren immer die Rebellen unter den Rockmusikern, weil sie eine Musik machen, die Herz und Verstand gleichermaßen anspricht, und die in langen, rauschhaften Wellen explodiert. Die Texte sind politisch, sie entstanden in der Zeit der Friedensbewegung und der Demonstrationen gegen die Atomkraft. Und sie bleiben politisch, weil sie Träume und Phantasie gegen eine durchgetaktete, gleichgeschaltete Welt stellen. Die Musik, mit Akustik- und E-Gitarren, großem Schlagzeug und Piano, ist von der Besetzung und der Komposition so farbig und detailreich, dass sie geradezu nach der Liaison mit einem Sinfonieorchester ruft.

Willi Wildschwein alias Stefan Danielak, Milla (Michael) Kapolke und Toni Moff Mollo (Rainer Loskand) gehören zu den Grobschnitt-Urgesteinen. Die Söhne Manu Kapolke und Nuki (Stefan Danielak jr.) unterstützen sie. Rolf Möller alias Admiral Top Sahne und Demian Hache bedienen Schlagzeug und Percussion, und Deva Tattva ist der Magier am Piano.

Sorgsam eingesetzte Blechbläserakzente

Andres Reukauf hat Rockpommel’s Land für Band und Orchester arrangiert, und das Ergebnis macht Musiker und Zuhörer gleichermaßen glückselig. Da werden die Streicher auch mal zur gigantischen Rhythmusmaschine und treiben die Aktion mit flammenden Beats voran. Die Philharmonischen Schlagzeuger dagegen mit ihrem großen Arsenal an Stabspielen und Röhrenglocken zaubern die Gegenwelt zum grauen Alltag herbei, in der Vogelzwitschern das Stampfen der marschierenden Bässe übertönen kann.

Beate Sobiesinsky-Brandt singt mit ihrer Flöte immer wieder vom Maraboo. geben genau den fetten Kick, bei dem die Seele aufblüht. Dirigent Steffen Müller-Gabriel war Rockmusiker, bevor er Kapellmeister wurde. Er und Willi Wildschwein mögen sich, sie werfen sich mit Anlauf in die Klänge, und WW genießt es von Herzen , als Ko-Dirigent aufzutreten.

Vielfältige Melodien mit gigantischen Spannungskurven 

Robert Schartel erzählt als Mr. Glee die tragische Geschichte der Stadt Severity Town, aus der die Blackshirts das Lachen vertrieben haben. Diese theatralischen Elemente, die in der Musik ohnehin vorhanden sind, lassen sich mit den Mitteln des Theaters natürlich umso spannender einsetzen.

So tritt nicht nur der Verkehrspolizist leibhaftig auf, der die zum Schweigen verdammten Kinder im Gleichschritt über die Kreuzung treibt, auch die Schwarzhemden persönlich trampeln ihren schrecklichen Marsch. Und dann und wann zeigt sich der Maraboo.

Die Mischung aus Balladen und fordernden Rhythmen, der Reichtum und die Vielfalt der Melodien, die weiten Bögen, die sich zu gigantischen Spannungskurven aufschwingen: Grobschnitt schreibt keine Musik, die mit drei Akkorden und drei Minuten auskommt. „Ja, wir haben vieles geträumt, aber nie, dass wir heute Abend hier zum 100-Jahr-Jubiläum des Stadttheaters stehen würden“, schlägt Willi Wildschwein die Brücke zum Heute, in dem Grobschnitt so nötig ist wie je.

Premiere kam gut beim Publikum an

In der Zusammenarbeit mit den Philharmonikern schafft die Band etwas Einzigartiges: Das Publikum vergisst die fiesen Schwarzhemden des persönlichen Elends und kann sich wie Ernie fühlen, der fliegen lernt, weil er Phantasie hat.

Die Besucher applaudierten bei der Premiere sofort im Stehen und wurden mit „Vater Schmidts Wandertag“ als Zugabe belohnt. Die Philharmoniker freuten sich, weil sie nach Sinfoniekonzerten doch selten mit „Oh, wie ist das schön“-Gesängen gefeiert werden. Die öffentliche Party ging dann bis 3 Uhr früh.