Hagen-Tücking.
Als Bettina Ermert ihre älteste Tochter im Alter von sechs Monaten zum ersten Mal auf das Pferd hob, da hörte Fee sofort auf zu fressen und machte sich gerade, weil sie mitbekommen hatte, dass da etwas sehr Kleines auf ihrem Rücken saß und sie jetzt vorsichtig sein musste.
Und so ist es bis heute geblieben: verlässlich, freundlich, aufmerksam, treu und beizeiten treudoof: Fee, das Uraltpferd. Die fuchsbraune Stute mit den grauen Stichelhaareinfärbungen ist sage und schreibe 34 Jahre alt. Das ist für Pferde ein wahrhaft biblisches Alter, es entspricht über 100 Menschenjahren.
Zwei Zähne sind Fee schon ausgefallen
Fee ist gut auszumachen in der Herde, was nicht nur an der Blesse liegt, die sich über ihren gesamten Kopf zieht. Fee sieht einfach am ältesten aus. Sie ist ganz schön klapprig geworden mit den Zeiten, zwei Zähne sind ihr schon ausgefallen, und das Herz, sagt die Tierärztin, wenn sie Fee abhört, rassele wie eine Dampflok. „Aber sie ist immer noch das erste Pferd, das aus dem Stall auf die Weide hinausgeht, und kehrt auch als erstes in ihre Box zurück“, berichtet Bettina Ermert von den Gewohnheiten eines langen Pferdelebens.
Die anderen Pferde auf der Weide am Tücking lassen Fee aber nicht aus Respekt vor ihrem Alter den Vortritt, o nein. Sie sind nur nicht so gedankenschnell, aber dafür hinterlistig. Die Haflinger-Dame Liesel etwa pirscht sich gern hinterrücks an Fee heran, um ihr einen Tritt zu versetzen. Und schon eilen Fees Kinder Red Cliff (20) und Fabrice (15) herbei, um ihre Mutter zu beschützen. „Die beiden passen auf sie auf“, berichtet Bettina Ermert. „Fee will ihre Ruhe haben. Sie geht dem jungen Gemüse aus dem Weg.“
Ein alter Gaul
Fee ist ein alter Gaul, das kann man wohl sagen. Bettina Ermert hat ihr eine Regendecke übergelegt, obwohl es gar nicht regnet. Aber in dem Alter weiß man ja nie, und auf dem Tücking geht so ein ordentlich scharfer Wind. Fee soll schließlich keine Bronchitis bekommen, es könnte ihre letzte sein. Außerdem ist die Decke atmungsaktiv.
Nun muss man aber sagen, dass Fee sehr gute Gene mit auf die Welt bekommen hat. Sie stammt ab von Frühlingsball, einem kerngesunden Hengst, sie hat keine Gelenkarthrose und noch nie Hufeisen getragen, das Horngewebe an ihren Läufen ist gesund und robust. Schon Fees Mutter Susanne ist 32 Jahre alt geworden, doch Langlebigkeit vererbt sich nicht immer: Fees ältester Sohn Robertino, eines von acht Kindern, denen sie das Leben geschenkt hat, ist schon mit 18 Jahren gestorben.
Fee frisst gerne und viel
Die einzige Schwäche, die die betagte Pferdefrau besitzt, ist das Essen. Fee frisst gerne und viel. Äpfel sind ihre Leibspeise, Äpfel kann sie auch jetzt, trotz der fehlenden zwei Zähne, noch knacken. Möhren zerkleinert ihr Gebiss dagegen nicht mehr gut, und die Hauptspeise, Heu oder Kraftfutter, kommt eingeweicht in den Trog.
Manchmal benimmt sich Fee gar nicht wie eine alte Dame, dann hat sie Ausbrüche und tollt über die Weide wie ein junges Füllen. Vielleicht erinnert sie sich in diesen Momenten an jene Zeit, als sie selbst als sechsmonatiges Fohlen von Bettina Ermert gekauft wurde.
Aber so eine Aufwallung dauert nie lange. Wenn es im Sommer sehr heiß wird, dann könnte das Herz von Fee vielleicht aufhören zu schlagen, überlegt Bettina Ermert. In dem Alter muss man auf alles gefasst sein. Und das Herz rasselt ja wie eine Dampflok, hat die Tierärztin gesagt.