Hagen. Die Räuber lieben die Dunkelheit und die Blücherstraße 8. Auf einmal sind sie da: vermummt, mit gezückter Pistole. Schreien aggressiv „Geld raus“, werfen rücksichtslos Regale um. Der kleine Kiosk sieht dann aus wie ein Schlachtfeld. Bärbel Scholz (67) und ihr Sohn Martin-Andreas (36) haben bereits sechs brutale Überfälle hinter sich.
Die Räuber lieben die Dunkelheit und die Blücherstraße 8. Auf einmal sind sie da: vermummt, mit gezückter Pistole. Schreien aggressiv „Geld raus“, werfen rücksichtslos Regale um. Der kleine Kiosk sieht dann aus wie ein Schlachtfeld. Bärbel Scholz (67) und ihr Sohn Martin-Andreas (36) haben bereits sechs brutale Überfälle hinter sich.
Das Büdchen ist so winzig, dass sich mehr als zwei Personen vor der Theke nicht bewegen können. Süßigkeiten, Säfte, Bier, Zigaretten und – damit es zum Überleben reicht – auch eine Postfiliale. Seit 1996, als sie sich mit der Trinkhalle selbstständig machten, ist dort das kleine eigene Reich von Vater, Mutter und Sohn Scholz auf 25 Quadratmetern. Doch ihr Mini-Arbeitsplatz ist keine Idylle. Von Anfang an gehört die Angst mit zum Alltagsgeschäft: Nirgendwo sonst passieren so viele Überfälle in Hagen wie in diesem Kiosk.
600 Mark Schaden
Schon im Eröffnungsjahr ging es los. Der erste Raub hatte aus heutiger Sicht etwas Makaberes. „Ende 1996“, erinnert sich Bärbel Scholz noch genau, kam abends ein Mann zu ihr ins Büdchen und sagte lapidar: „Kohle raus.“ Da habe sie doch tatsächlich geglaubt, er wolle Grillkohle kaufen. Und freundlich geantwortet: „Haben wir nicht.“
Erst als der „Kunde“ versuchte, ihr einen Revolver gegen die Schläfe zu schlagen, erkannte die Kioskfrau den Ernst der Lage. Es kam zu einem Gerangel mit dem Räuber, Regale kippten um, Flaschen zerbrachen. Der Verkaufsraum glich einem Trümmerfeld. „600 Mark Schaden“, weiß Martin-Andreas Scholz. Der Täter wurde nie gefasst. Das vergisst man nicht.
Viele Demütigungen
Dann war elf Jahre lang Ruhe. Trügerische Ruhe. Der erste Schock überwunden, schien im Büdchen wieder die Normalität eingekehrt. Bis 2008. Da kam der zweite Kapuzenmann mit Pistole – und von da an ging es Schlag auf Schlag. 2010 der dritte, 2011 im November der vierte, im Dezember der fünfte Überfall. Einen Monat später, das Jahr 2012 hatte gerade begonnen, erschien der letzte Räuber.
„Warum tut ihr Euch das noch alles an?“, wird Bärbel Scholz oft gefragt. „Aber was sollen wir denn tun?“, fragt sie dann trotzig zurück, „etwa aufgeben?“ Ihre Stimme zittert, die Nerven liegen blank. Nicht nur, dass sie jedes Mal um ihr Leben bangt. Genauso schlimm, sagt sie, seien die erlebten Demütigungen. „Wenn man die Kasse hergeben muss, dabei auch noch angeschrien und verhöhnt wird.“ Als „deutsche Schlampe“ beispielsweise, oder, wie es Martin-Andreas Scholz jetzt öfter erlebt hat, als „Hurensohn“.
Täter wurden verhaftet
Der Räuber vom Januar wurde inzwischen gefasst. Genauso wie die beiden Burschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft: Mikail S. (18) und sein korpulenter Freund Hakan K. (17) hatten am 13. Dezember das Büdchen mit gezückter Pistole überfallen, 75 Euro Bargeld und Zigaretten im Wert von 200 Euro erbeutet. Sie konnten direkt nach der Tat verhaftet werden.
Zum ersten Mal muss Martin-Andreas Scholz deshalb nun als Zeuge vor Gericht aussagen, Mutter Bärbel begleitet ihn. Sie will dabei sein, wenn das Böse, das sich bisher stets hinter Kapuzen oder Masken mit Sehschlitzen verbarg, erstmals ein dazu gehörendes Gesicht bekommt. Sie will den beiden Räubern auf der Anklagebank in die Augen sehen.
Ledliglich ein Jahr Haft auf Bewährung
Dazu kommt es nicht. Amtsgerichtsdirektor Oliver Hoffmann, ein freundlicher Richter mit viel Verständnis für jugendliche und heranwachsende Angeklagte, schließt „mit Rücksicht auf erzieherische Gründe“ beide Opfer von der Verhandlung aus. Lediglich die Familienclans, Väter, Mütter und Schwester, dürfen im Gerichtssaal bleiben.
So erfahren die Kioskleute erst hier, dass beide Räuber für den Überfall lediglich ein Jahr Haft, ausgesetzt auf Bewährung, erhielten. In deren Alltag dürfte sich durch die brutale Tat eigentlich nichts ändern.
Bei Familie Scholz sieht das jedoch ganz anders aus.