Hagen. .
Der Eine besitzt ein Briefmarkenalbum, der Nächste interessiert sich für Münzen, der Dritte hortet Bierdeckel. Alles Leidenschaften, die der Sammler Stefan Scheer durchaus nachvollziehen kann – wenngleich seine Objekte der Begierde ungleich größer sind. Der Hagener sammelt Achterbahnen, genauer gesagt: die Fahrten auf solchen Coastern, wie sie unter Experten heißen. In nicht weniger als 285 verschiedenen Achterbahnen hat sich der 42-Jährige im Laufe der Jahre schon durchschütteln lassen. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Wenn jemand die lange Reise nach Kalifornien auf sich nimmt, um dort zwölf Tage fast ausschließlich in Freizeitparks zu verbringen, dann neigt der Außenstehende dazu, an dessen Vernunft zu zweifeln. Doch Stefan Scheer ist ein ganz normaler Typ: Der gelernte Krankenpfleger arbeitet heute als Computer-Experte, ist verheiratet, fotografiert gern und mag Square Dance. Nichts Außergewöhnliches also, gäbe es da nicht noch diese Passion für den Rummel im Allgemeinen und Achterbahnen im Besonderen. „Als Teenager fand ich das schon klasse“, erzählt der Hagener, „doch dann flaute das Interesse zunächst wieder ab.“
„Kirmes und Parks sind ein Stück Kulturgut“
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So ganz verschwand diese Schwäche jedoch nie – und wuchs sogar an, als er im Internet auf den „Freundeskreis Kirmes und Freizeitparks e.V.“ stieß. Fortan besuchte Scheer wieder häufiger Parks und Kirmesplätze, las wissbegierig die Vereinszeitschrift und sieht diese Vergnügungsstätten heute sogar als Kulturgut: „Schließlich gehören sie zu unserem Leben wie Kino oder Theater. Der Verein will ein Bewusstsein dafür schaffen und zudem den Wandel des Rummels im Laufe der Zeit aufzeigen.“ Und noch etwas brachte der Vereinseintritt mit sich: „Ich habe viele neue Freunde gefunden.“
In England 54 Bahnen in neun Tagen abgehakt
Mit denen begibt sich der 42-Jährige einmal pro Jahr auf große Tour; nach Frankreich, Italien, bereits zweimal ins Vereinigte Königreich sowie 2010 in die USA.
Bei seinen regelmäßigen Tagesfahrten in deutsche, niederländische oder belgische Parks ist die Gattin übrigens häufig mit von der Partie; doch so weit, den Gemahl auch auf ausgedehnte Touren in die Ferne zu begleiten, geht die Liebe dann doch nicht. „Das ist ihr einfach zu viel“, sagt Scheer und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Nachvollziehbar, denn beispielsweise in England hakten der Hagener und seine Mitstreiter binnen neun Tagen 54 Coaster ab. Eine Beschäftigung, bei der sich so manchem Normalbürger der Magen umdrehen würde – nicht so bei Stefan Scheer: „Auf einer Achterbahn ist mir noch nie schlecht geworden.
Auf Fahrgeschäften, die sich im Kreis drehen oder schaukeln, gerät der Gleichgewichtssinn schon eher mal durcheinander.“
Auch in Kalifornien prägten wilde Fahrten auf Holz- und Stahlkonstruktionen die Reise: Am ersten Tag wurde noch San Francisco besichtigt, anschließend standen ausschließlich Vergnügungs-Ikonen wie Disney World, Universal Studios oder Six Flags auf dem Programm. Ach ja, den letzten Tag verbrachte die Gruppe dann in Las Vegas: „Aber die Stadt ist ja selbst wie ein großer Freizeitpark.“
Nicht gerade ein preiswertes Vergnügen
Ein ganz billiges Vergnügen sind solche Trips verständlicherweise nicht. Neben den Reisekosten kommen pro Tag noch 40 bis 70 Dollar Parkeintritt sowie häufig ein Zusatzentgelt für VIP-Tickets hinzu. Deren Besitzer müssen nicht in der Schlange vor der Achterbahn warten, sondern können sofort einsteigen. „Und wenn man extra aus Europa angereist ist, dann lohnt sich das“, erläutert der Hagener. Klingt logisch.
Doch warum nimmt man neben den Kosten auch noch blaue Flecken in Kauf? „Die Höhe und die Schnelligkeit sind es nicht“, sagt Scheer, „vielmehr liegt der Reiz in den unterschiedlichen Beschleunigungen, in der Schwerelosigkeit, dem so genannten Out-of-control-feeling.“
Was ein echter Coaster-Freak ist, der kommt angesichts des weltweiten Angebots nicht so schnell zur Ruhe. Florida würde Scheer gern noch mal einen Besuch abstatten, „denn allein bei Orlando gibt es jede Menge Parks.“ Auch China ist (nicht nur) in Sachen Achterbahnen inzwischen eine Reise wert, und in diesem Jahr war eigentlich ein Flug nach Japan geplant, der aufgrund der atomaren Katastrophe in Fukushima allerdings gestrichen wurde. Stattdessen führt die Vereinsfahrt 2012 an die amerikanische Westküste, wo täglich mindestens ein Park, oft sogar deren zwei angesteuert werden. Doch Stefan Scheer ist diesmal nicht mit von der Partie – aus einem einfachen Grund: „Das ist auch mir zu hart.“