Henkhausen. Ein letzter Rundgang durch ein Freibad, das 100 Jahre bestand. Über Liebe, Emotionen, Schweiß und das Heimatgefühl.

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Du bist das letzte Überbleibsel einer Art, für die die Menschen einst Begriffe wie Badeanstalt oder Strandbad schufen. Fast 100 Jahre hast du es geschafft. Nun prusten schwer bepackte Männer durch deine Hallen und Räume, durch dein Becken und deine Umkleiden und löschen dich von der Ortskarte. Was bleiben wird, sind Erinnerungen und Stolz. Ein letzter Brief an dich, liebes Freibad Henkhausen.

Treppenanlage ins Becken der marke Eigenbau.
Treppenanlage ins Becken der marke Eigenbau. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Man hat dir schon so oft diese Schwimmbadfarbe aufgetragen, dass du an einen dieser 100-mal überlackierten Krabbenkutter erinnerst, die immer noch halten und sich jede Nacht auf die Nordsee raus wuchten. Die Oberfläche in deinem leeren Becken sieht aus wie die Haut einer Mumie. Rissig, gespannt, alt. Der Beton an den Außenwänden ist spröde. Es hört sich an, als wenn ein Specht gegen einen Baum klopft, wenn man mit den Fingern dagegen tippt. Vermutlich ist dein Becken an keiner Stelle so tief wie an einer anderen. Das hier ist schließlich Handarbeit.

Wo sie früher saßen und ein Bierchen tranken, regiert jetzt der Abrisshammer.
Wo sie früher saßen und ein Bierchen tranken, regiert jetzt der Abrisshammer. © Mike Fiebig | Mike Fiebig
Das alte Kinderbecken.
Das alte Kinderbecken. © Mike Fiebig | Mike Fiebig
Die Freibadanlage im Henkhauser Hasselbachtal aus der Luft betrachtet.
Die Freibadanlage im Henkhauser Hasselbachtal aus der Luft betrachtet. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

40.000 Liter mussten sie in der Badesaison täglich in dich hineinkippen, weil du sie verloren hast. Irgendwo hingesickert unter die Rasenflächen am Rand der Henkhauser Wälder, wo man so schön sitzt, wenn die Juni- oder Juli-Sonne sticht. Eine Pommes von Kikis Schlemmerimbiss auf der Hand, vielleicht eine Cola, wer möchte, auch ein Bier. Nebenan dieses grelle Prallen, wenn junge Hände gegen Beachvolleybälle schlagen. Und das Gekreische im Kinderbecken, das so hell nach neuem Leben klingt.

40.000 Liter Wasser mussten jeden Tag neu in das Becken eingelassen werden, weil es durch den spröden Boden versickerte.
40.000 Liter Wasser mussten jeden Tag neu in das Becken eingelassen werden, weil es durch den spröden Boden versickerte. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Alles hier ist selbstgemacht

Alles hier ist selbstgemacht an dir. Vor 100 Jahren. 1925 bis 1927 hat man dich erschaffen. Hineingebaut in die enge Schlucht des Hasselbachtales. Das idyllische Gewässer plätschert so friedlich neben dir her. Die alte Krananlage auf einem Podest aus Bordsteinplatten erinnert an die großen Wasserballzeiten in Hohenlimburg. Die Athleten mit Badekappe haben dich geschätzt. Du warst ihre Trainingsstätte, ihr Heimspiel, ihr Rahmen. Jede in die Holzbalken der Gasthaus-Terrasse gedrillte Schraube ist ein Stück Leidenschaft von jemandem, der für diesen Ort gebrannt hat, der helfen wollte.

Toiletten- und Umkelidebereich: kaum noch etwas ist davon übrig.
Toiletten- und Umkelidebereich: kaum noch etwas ist davon übrig. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Ein ewiges Fotoalbum

Nicht nur für sie, sondern den gesamten Hohenlimburger Schwimmverein, ist dein Ende schlimm. Wir sprechen oft mit denen. Immer wieder geht es um die Tradition, die Freundschaften, die langen Abende in der Sonne, das Zuhause-Gefühl, das du den Mitgliedern, den Familien und Freunden vermittelt hast. Schwimmen, feiern, knutschen, leben - echte puristische Freibäder wie du sind wie ein ewiges Fotoalbum, das all jene in Herz und Hirn mit sich tragen, die immer gern gekommen sind. Das Freibad ist die große gemeinsame Erinnerung aller Generationen.

Uriges Wandgemälde im Gaststättenbereich.
Uriges Wandgemälde im Gaststättenbereich. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

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Sie haben Pipi in den Augen, wenn sie an das Ende denken. Gestandene, mitunter auch sehr betagte Männer, die jetzt traurig am Beckenrand stehen und zusehen, wie ein Abbruchunternehmen aus Bielefeld dir den Garaus macht. Es gibt fast 80-Jährige unter ihnen, die bis zuletzt hier gekloppt, malocht und ihren Mann und ihre Frau gestanden haben, damit du leben kannst. Damit Frühschwimmer frühschwimmen können. Damit Kinder hier Kinder-Dinge tun können. Damit du bist, was du immer warst: ein Freibad für alle. Das hat ihnen weh getan. Aber dein Fortbestehen war wie Wundsalbe. Wenn sie abends nach Badeschluss das Feierabendbier tranken, schloss sich immer wieder der ewige Kreis aus Arbeit und Genuss.

Bauzäune statt Kassenklingeln: Das Gelände des Freibades betreten derzeit nur noch Bauarbeiter.
Bauzäune statt Kassenklingeln: Das Gelände des Freibades betreten derzeit nur noch Bauarbeiter. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Zwischendurch ein Politikum

Dass man deinen großen steinernen Cousin, das Lennebad, nicht mehr sanieren kann, weil das viel zu teuer wäre, hat dich in die weite Hagener Öffentlichkeit katapultiert. Du warst plötzlich nicht mehr nur Erinnerungs-Schatzkiste, sondern auch Politikum. Du gegen das Lennebad, das war, was blieb. Dabei seid ihr beide so ortsbildprägend und ein Stück jener Infrastruktur, die die einstige Stadt Hohenlimburg ausmachte. Wenn ihr geht - und das tut ihr -, geht auch das. Für immer.

Der Boden im Becken ist rissig, alt und mitgenommen.
Der Boden im Becken ist rissig, alt und mitgenommen. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Aber sieh es so. Ohne dein Ende gäbe es keinen Anfang. Hätte die kleine und so tüchtige Armee an Ehrenamtlichen dich nicht 100 Jahre am Leben gehalten bis zum heutigen Tag, dann hätte es die Chance, hier ein Ganzjahresbad nach modernen Maßstäben zu bauen, nie geben können. Ja sicher, man hätte vielleicht das Lennebad saniert oder dort neu gebaut. Aber darum geht es jetzt nicht mehr. Der Neubau am Hasselbach wird dein Vermächtnis sein. Und wenn sie klug sind, die Stadtoberen und die Menschen vom Schwimmverein, dann würdigen sie deine Geschichte am neuen Ort. Mit Bildern, Relikten und Erinnerungen.

So soll das neue Ganzjahresbad in Henkhausen aussehen. Der Baubeginn ist für Sommer 2024 anvisiert. Bis Ende 2025 soll der Bau fertig sein. 
So soll das neue Ganzjahresbad in Henkhausen aussehen. Der Baubeginn ist für Sommer 2024 anvisiert. Bis Ende 2025 soll der Bau fertig sein.  © Privat | KRIEGER Architekten | Ingenieure GmbH
Kikis Schlemmerimbiss versorgte die Gäste jahrelang mit Leckereien.
Kikis Schlemmerimbiss versorgte die Gäste jahrelang mit Leckereien. © Mike Fiebig | Mike Fiebig
Original-Gebäude von vor 100 Jahren auf dem Gelände des Freibades. Daran prangt das Emblem des Hohenlimburger Schwimmvereins.
Original-Gebäude von vor 100 Jahren auf dem Gelände des Freibades. Daran prangt das Emblem des Hohenlimburger Schwimmvereins. © Mike Fiebig | Mike Fiebig
Das Schild „Badaufsicht“ erinnert an die wachsamen Augen der Hohenlimburger Schwimmmeister.
Das Schild „Badaufsicht“ erinnert an die wachsamen Augen der Hohenlimburger Schwimmmeister. © Mike Fiebig | Mike Fiebig
Entsorgung statt Party: Ein Tresen mit Zapfhahn liegt zur Abholung bereit.
Entsorgung statt Party: Ein Tresen mit Zapfhahn liegt zur Abholung bereit. © Mike Fiebig | Mike Fiebig
Seitdem die Mitglieder des Hohenlimburger Schwimmvereins die Rasenflächen nicht mehr mähen, holt sich die Natur das Gelände zurück.
Seitdem die Mitglieder des Hohenlimburger Schwimmvereins die Rasenflächen nicht mehr mähen, holt sich die Natur das Gelände zurück. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

Freibad wird Mythos

Eine Erinnerung an schöne Badetage: das Bild stammt aus dem Jahr 2022.
Eine Erinnerung an schöne Badetage: das Bild stammt aus dem Jahr 2022. © WP | Michael Kleinrensing

Die Zeit verklärt ja alles. In zehn oder 20 Jahren wird das ganze Gezerre um Bau- und Sanierungskosten, das Für und Wider von Abrissen und Neubauten für niemandem mehr präsent sein. Es wird dann so sein, wie in Haspe mit dem alten Stadtbad. Oder wie in Boele, wo es ebenfalls ein so schönes Stadtbad gegeben hat. Oder am Ischeland. Die Menschen werden ihren Mythos stricken und um dich wird sich teilweise eine so wehmütige Weißt-du-noch-Erzählung winden. Henkhausen, ja, das war noch ein Freibad. Ohne Schnickschnack, ohne Extras - einfach Henkhausen.

Gute Schwimmer und Nicht-Schwimmer fanden in der Beckenanlage in Henkhausen Schwimmmöglichkeiten.
Gute Schwimmer und Nicht-Schwimmer fanden in der Beckenanlage in Henkhausen Schwimmmöglichkeiten. © Mike Fiebig | Mike Fiebig

„Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde“, heißt es in Hermann Hesses Gedicht „Stufen“. Und ebenda: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“