Hagen. Der Umgang in Hagen mit öffentlicher Kunst wirkt laienhaft. Für eine notwendige Fachkraft fehlt das Geld, sodass Werke in Vergessenheit geraten.
Zwischen Farbeimern, Besen und Spachtelmasse steht der „Gondoliere“ trocken und warm. Zumindest klimatisch scheint es der Bronzeplastik von Alexander Archipenko in ihrem „Asyl“ im Hausmeisterkeller des Theodor-Heuss-Gymnasiums gutzugehen. Aber ist dies tatsächlich ein angemessener Ort für das Werk eines global geschätzten Künstlers, dessen kleineres Pendant im New Yorker Metropolitan Museum of Art zu bewundern ist und dessen Wert auf etwa eine halbe Million Euro taxiert wird?
In Hagen sind derartige Fragestellungen seit Jahrzehnten verpönt und stoßen auf verschwindendes Interesse. Denn es gibt niemanden, der seitens der Stadt eine Inventarliste über die einst angeschaffte Kunst führt, noch verbindlich Auskunft zum Zustand oder Verbleib der Werke im Besitz der Kommune geben könnte. Umso dringlicher erscheint es, die Stelle einer „Sachbearbeitung Kunst im öffentlichen Raum“ zu etablieren. 30.000 Euro pro Jahr, so wurde vor einem Jahr im Kulturausschuss noch fest zugesagt, sollten im Stellenplan 2024/25 für den 50-Prozent-Posten bereitgestellt werden. Geld, das angesichts leerer Kassen und mit den Stimmen der CDU/Grüne/FDP-Allianz dem Spardiktat jetzt wieder zum Opfer gefallen ist. Mit der Konsequenz, dass wertvolle Kunst, die einen Teil der Stadtgeschichte bildet, auch in Zukunft sich selbst überlassen bleibt.
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Nur 20 Werke auf Inventarliste
Gerade einmal 20 Werke umfasst die Inventarliste des Fachbereichs Kultur – dabei handelt es sich jedoch lediglich um einen Bruchteil dessen, was von der Stadt über die Jahrzehnte angeschafft wurde. Immerhin taucht dort die Archipenko-Plastik aus dem Hausmeisterkeller auf, die einst mit einem Versicherungswert von 400.000 Euro bilanziert und 1960 für das Knabengymnasium am Höing angeschafft wurde. Der tatsächliche Wert könnte heute weitaus höher liegen, denn ein weiterer Guss aus der gleichen Serie der 1,63 Meter großen Figur wurde bereits vor acht Jahren in London bei Sotheby’s für 461.000 Pfund (damals 536.000 Euro) versteigert.
Die THG-Plastik hatte nach einem kurzen Intermezzo im Karl-Ernst-Osthaus-Museum über Jahrzehnte im Innenhof der Schule gestanden und dort nur wenig Beachtung gefunden. Doch als dort 2021 die Abrissarbeiten des Unterstufentraktes begannen, um Platz für einen neuen Anbau zu schaffen, schnappte sich der besorgte Hausmeister angesichts der brachialen Wucht der Baggerschaufeln kurzerhand einige Schüler und schleppte mit deren Hilfe das etwa 100 Kilo schwere Kunstwerk in den Schulkeller.
„Diesen Umgang in Hagen mit solchen Kunstwerken halte ich für einen Skandal“, hält Michael Schuh, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion BfHo/Die Partei, die Einrichtung einer Stelle „Sachbearbeitung Kunst im öffentlichen Raum“ deshalb für mehr als überfällig. Grünen-Sprecher Jörg Fritzsche begründete die Spar-Entscheidung seiner Fraktion derweil mit der Faust in der Tasche: „Eine Stelle zu streichen, die bislang gar nicht existiert, tut nicht so weh wie die Streichung einer bereits bestehenden Funktion.“ „Hier wird ein wichtiges Stück Stadtgeschichte dem Verfall preisgegeben“, konterte Schuh angesichts der zum Teil stattlichen Werte der Kunstwerke prompt.
Ressortchef vermisst Rückenwind
Bei Kultur-Fachbereichsleiter Tayfun Belgin rennt der BfHo-Sprecher mit dieser Forderung offene Türen ein: „Die vollständige Inventarisierung der Werke ist mein Thema, seit ich hier in Hagen bin. Leider hat es in Hagen nie eine Kommission gegeben, die fachgerecht und kritisch über die Qualität der Werke befindet“, vermisst er weiterhin den notwendigen strukturierten Sachverstand für die Thematik und einen roten Faden zur Platzierung und Präsentation der Kunst: „Alles ist bloß dem Zufall unterworfen.“
Entsprechend plädiert auch Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff dafür, endlich eine Fachstelle zu schaffen, um die oft unerkannten Werte zu inventarisieren und zu bewahren. Als geistiger Vater des 2006 im Ardenku-Verlag erschienen Werkes „HagenKunst“ hat er mit Co-Autoren auf mehr als 300 Seiten eine umfassende Grundlage zusammengestellt, die eine wesentliche Basis für eine umfassende Inventarisierung der Hagener Schätze liefern könnte. „Seit Jahrzehnten brauchen wir eine Person, die sich fachkundig und systematisch darum kümmert. Die Stadt Hagen hat gar keine Ahnung von dem, was sie hat“, geht Eckhoff von einer dreistelligen Zahl übersehener oder längst vergessener Schätze aus. „Das ist symptomatisch für den Umgang mit der Kunst“, ärgert sich der Stadtheimatpfleger, „dabei ist Hagen reich an spannenden Denkmälern und Kunstwerken.“ Beispielhaft nennt er weitgehend ignorierte Milly-Steger-Skulpturen auf dem Altenhagener Friedhof oder auch Karel-Niestrath-Reliefs unweit des Kultopias. Andere Kunstwerke an den Häusern von Gebäuden seien wiederum schnöde überpinselt worden oder hinter Dämmplatten verschwunden.
Glaskunst im Container wiederentdeckt
Ein weiteres, alarmierendes Beispiel für den ignoranten Umgang der Stadt mit ihrer Kulturvergangenheit liefert Michael Schuh aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz. 2021 entdeckte er beim Werkhof (Möbel & Mehr) ein gerahmtes, etwa 1,50 Meter hohes Glasfenster des Hagener Künstlers Hans Slavos, dessen Werk zuletzt an der Fernuni wegen eines frauenfeindlichen Sexismus-Rassismus-Kolonialismus-Verdachts hinter einer Milchglasscheibe verschwinden musste. Das beim Werkhof wieder aufgetauchte Motiv aus den später 1940er-Jahren befasste sich mit dem Wiederaufbau der bombenzerstörten Stadt Hagen und war ursprünglich als Teil dreier großer Glaskunstfenster 1949 in den historischen Trakt des Ratssaals im Hagener Rathaus eingesetzt worden.
„Die Erinnerung an den Luftkrieg und die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg bildeten das Hauptthema in dieser Arbeit von Hans Slavos“, skizzierte zuletzt Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive, die Motive, die die Kulisse der ersten Ratssitzung am 18. Januar 1950 bildeten. Was mit den Kunstwerken allerdings geschah, als das alte Rathaus 1960 abgerissen wurde, um Platz für einen Neubau zu schaffen, ist bislang ungeklärt: „Es muss davon ausgegangen werden, dass die Glasfenster des Ratssaals, die aus heutiger Sicht eine große Bedeutung als Beispiele für die Gedenk- und Erinnerungskultur in der frühen Nachkriegszeit besaßen, vernichtet wurden – im Rückblick ein großer Verlust für die Stadtgeschichte“, so die Bewertung von Blank.
Archipenko-Werk kehrt ins Atrium zurück
Allerdings scheint es – wieder einmal aus Unwissenheit und Unkenntnis – zum eigentlichen Sündenfall erst ein halbes Jahrhundert später gekommen zu sein. Offenkundig schlummerten die Kunstwerke seitdem völlig vergessen in irgendwelchen Rathaus-Katakomben. Denn als Mitte der 2010er-Jahren ein Werkhof-Mitarbeiter zufällig durch die Rathausstraße schlenderte, beobachtete er, wie Keller-Entrümpler besagte Glaskunstfenster aus den Tiefen des Verwaltungssitzes zurück ans Tageslicht holten und klirrend in einem Container entsorgten.
Angesichts des robusten Umgangs wurden die Slavos-Werke allesamt zerstört – bis auf eine Ausnahme, die sich der aufmerksame Passant auf Nachfrage sichern und mitnehmen durfte. Aufbereitet und frisch gerahmt kam das Werk in den Verkauf. Um was es sich dabei tatsächlich handelte, hat niemand geahnt – es fehlte auch hier die überfällige Inventarisierung der Kunst.
Apropos: Das Karl-Ernst-Osthaus-Museum reklamiert für sich, die 20 Werke auf der städtischen Inventarliste regelmäßig zu inspizieren. Im Rahmen dessen sei auch der „Gondoliere“ im Jahr 2018 zuletzt in Augenschein genommen worden. „Bezüglich der zwei Jahre späteren Bauarbeiten ist dem Osthaus-Museum keine Mitteilung gemacht worden, sodass von dort auch nicht reagiert werden konnte“, betont die Stadt Hagen. Allerdings werde das Archipenko-Werk im Sommer in einem kleinen Garten-Atrium des Theodor-Heuss-Gymnasiums wieder aufgestellt. „Bei der Neuaufstellung wird das Osthaus-Museum selbstverständlich zugegen sein“, teilt die Pressestelle auf Anfrage mit.