Hagen-Eppenhausen. Das Neubaugebiet „Auf der Gehre“ nimmt Gestalt an. Doch die Dimensionierung der Einfamilienhäuser kommt nicht bei allen Anwohnern gut an.
Wenn Andreas Schomborg morgens am Frühstückstisch sitzt, hat er bereits nach wenigen Minuten den Kaffee auf. Denn sein Blick aus dem stattlichen Panoramafenster seines Bungalows an der Gehrstraße in Eppenhausen fällt seit ein paar Wochen nicht mehr auf eine schmucke Grünfläche, die einst Heimat vieler Schrebergärtner und Kleintiere war. Stattdessen muss er mit der roten Rohbau-Ziegelwand eines neuen Nachbarn vorliebnehmen, der in dem neuen Baugebiet „Auf der Gehre“ seinen Traum vom Eigenheim verwirklicht. Und das in einer Dimensionierung, wie es sich die alteingesessenen Anwohner selbst in ihren skeptischsten Befürchtungen kaum vorzustellen vermochten. „Natürlich konnten wir nicht davon ausgehen, dass die schöne Grünfläche auf der gegenüberliegenden Straßenseite bis in alle Ewigkeit bestehen bleibt“, zeigt auch Anrainerin Silke Schreiber sich durchaus als Realistin. Aber sie erinnert sich zugleich daran, dass man seitens der Stadt Hagen stets kommuniziert habe, eine hochwertige, sensible Bebauung umsetzen zu wollen. Selbst von Klimaneutralität sei die Rede gewesen: „Damit hat das, was sich jetzt vor unseren Haustüren auftürmt, wenig zu tun.“
Die Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft (HEG) hatte die 28 Grundstücke auf dem Hang-Areal bereits vor fünf Jahren versucht, interessierten Einfamilien-Häuslebauern schmackhaft zu machen. Dazu wurde die attraktive Lage zwischen einem kleinen Wäldchen und der Innenstadt mitsamt der unmittelbaren Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten, Kita und Grundschule angepriesen. Eine ideale Wohnlage an einem Sonnenhang, legte die HEG potenziellen Interessenten gleich die Märkische Bank als Vermarkter der zwischen 489 und 898 Quadratmeter großen Grundstücke (Preis: 300 Euro/qm) ans Herz. Und die Genossenschaftsbanker scheinen einen guten Job gemacht zu haben: Trotz des gehobenen Preisniveaus sind bis auf allerletztes Grundstücke sämtliche Parzellen vergeben. Allerdings hat es im vergangenen Jahr auch einige Rückläufer gegeben, wo sofort aber neue Interessenten von der Warteliste zugegriffen haben. Dass hier das gestiegene Zinsniveau und die erheblich in die Höhe geschnellten Baukosten triftige Gründe für die Rückzüge sein könnten, hält die Märkische Bank für naheliegend.
Anwohner fühlt sich verschaukelt
Andreas Schomborg ist Geograf, arbeitet für ein Verkehrsplanungsbüro und weiß natürlich, dass die Theorie der Stadtplanung eine Verdichtung der Wohnbebauung empfiehlt, statt auf weitere Zersiedelung zu setzen und in die Peripherie zu expandieren. Doch er hatte sich als Nachbar darauf verlassen, dass die Worte von Planungsdezernent Henning Keune gelten, der einst gegenüber der Politik eine hochwertige und sensible Bebauung zugesagt hatte. „Da fühlen wir uns von der Stadt wirklich verschaukelt“, appelliert er an den Ressortchef, bei den künftigen Baugenehmigungen genauer hinzusehen.
Als Beispiel zieht er die Firsthöhe des in die Höhe geschossenen Eigenheims vor seinem Fenster heran, dass ihm künftig zumindest in den Nachmittagsstunden die Sonne nimmt. „Angeblich aus entwässerungstechnischen Gründen wurde die Immobilie auf einem extra angeschütteten, 1,5 Meter hohen Plateau errichtet und bettet sich so gar nicht in die Hanglage ein. Es tritt wie ein sakraler Bau heraus, und wir haben jetzt einen elf Meter hohen Klotz vor der Nase, bei dem der Architekt offenkundig alle Limits des Bebauungsplanes maximal ausgereizt hat.“
Stadt hat keine Bedenken
Baurechtlich sei alles korrekt abgewickelt worden, verweist derweil Georg Thomas, Leiter der Bauordnung im Hagener Rathaus, auf gewissenhafte Prüfungen der Vermesser. Zugleich zeigt er Verständnis, dass die Veränderungen bei den alteingesessenen Eppenhausern durchaus Unmut erzeugen. Er macht in einer Korrespondenz aber auch deutlich, dass Schomborg weder einen Abwehranspruch habe und ihm gegenüber seitens der Stadt keine Auskunftsverpflichtung bestehe.
„Es sollte doch in unser aller Interesse liegen, dass die Bebauungsvorgaben korrekt umgesetzt werden und am Ende ein neues Wohngebiet entsteht, das den Nachbarn untereinander ein vernünftiges Miteinander ermöglicht und zugleich ein Vorzeigequartier entstehen lässt“, erinnert der verärgerte und frustrierte Nachbar Schomborg an den Geist des Bebauungsplanes. Dieser sieht unter anderem auch begrünte Dächer vor, sofern eine Neigung von 20 Grad nicht überschritten wird. Doch bei den bislang fertiggestellten Objekten sind die Dächer angesichts der jüngsten Kostenexplosionen in der Baubranche durchweg steiler, sodass eine nachhaltige Begrünung bislang lediglich ein frommer Wunsch der Planer bleibt. Thomys mahnt derweil zu etwas mehr Geduld: „Dort, wo eine Dachbegrünung einzubauen, aber noch nicht zu sehen ist, muss man bedenken, dass das Baugebiet ja erst im Entstehen begriffen ist und die Dachbegrünung oft erst am Ende kommt.“
„Die Stadt Hagen hätte hier im Hinblick auf Klimaneutralität und nachhaltiges Bauen einen positiven Akzent für die gesamte Stadtentwicklung setzen können“, ärgert sich hingegen Silke Schreiber, „das gelingt so nicht“. Gemeinsam mit Andreas Schomborg hofft sie darauf, dass zumindest bei den nächsten Einfamilienhäusern auf der Gehre, die auf den noch freistehenden Parzellen errichtet werden, mit mehr Sensibilität und ökologischem Fingerspitzengefühl agiert wird. Vielleicht schmeckt dann eines Tages der Kaffee am Frühstückstisch auch wieder ein bisschen besser – obwohl der Schatten des Nachbarhauses die Sonnenstrahlen verschlingt.